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Debatte um Suizidbeihilfe im BundestagEs braucht kein neues Gesetz

Gastkommentar von Michael De Ridder

Das bestehende Strafrecht schützt Patient*innen und Ärzt*innen bereits gut vor den Gefahren durch eine unverantwortliche Suizidhilfe.

„Wir brauchen kein neues Gesetz“ Foto: Friso Gentsch/dpa/picture alliance

Z u einer gesetzlichen Neuregelung für den 2020 außer Kraft gesetzten § 217 StGB hatte das Verfassungsgericht den Gesetzgeber weder aufgefordert noch verpflichtet: Der Bundestag könne eine solche beschließen, muss es aber nicht – und wenn, dann nur in „strikter Beschränkung“.

Das Grundrecht auf Suizid und Sui­zid­bei­hilfe prinzipiell im Strafrecht (Entwurf Castelucci) zu verankern würde bedeuten, es zu missbilligen und mit einem Drohpotenzial zu versehen. Dies liefe der Intention des Verfassungsgerichtsurteils zuwider und käme faktisch einem Suizidhilfeverhinderungsgesetz gleich, weil es freiverantwortliche Sui­zid­ent*innen ebenso wie zur Suizidbeihilfe bereite Ärz­t*in­nen abschreckte. Das kann und darf nicht gewollt sein.

Vulnerablen, also nicht freiverantwortlichen Menschen Suizidhilfe zu leisten, war, ist und bleibt eine Tötung in mittelbarer Täterschaft, die die bereits bestehenden Strafgesetze mit weit höheren Strafen belegen, als es der vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärte § 217 StGB je vorsah! Dies schützt Pa­ti­en­t*in­nen ebenso wie Ärzt*innen, die sich schon aus Gründen des Selbstschutzes hüten werden, Suizidhilfe anzubieten, wenn die Freiverantwortlichkeit des Suizidenten (fester Wille, Freiheit von Zwang, Nachhaltigkeit des Suizidwillens) nicht sichergestellt ist, im Zweifel durch ein psychiatrisches Gutachten.

„Eine freie Entscheidung“, so das BVerfG, „setzt zwingend eine umfassende Beratung und Aufklärung hinsichtlich möglicher Entscheidungsalternativen (z. B. Palliativmedizin oder Psychotherapie) voraus, um zu gewährleisten, dass der Suizidwillige nicht von Fehleinschätzungen geleitet wird.“ Damit ist Suizidbeihilfe in Fällen psychischer Krisen wie Liebeskummer ausgeschlossen.

Michael de Ridder

ehemals Chefarzt der Rettungsstelle des Klinikums Am Urban und Gründer eines Hospizes, gehörte zu den Klägern gegen das Verbot ärztlicher Suizidhilfe (§ 217 StGB), das vom Bundesverfassungsgericht 2020 für nichtig erklärte wurde. 2021 erschien sein jüngstes Buch „Wer sterben will, muss sterben dürfen“ (DVA).

Mein Plädoyer: Wir benötigen kein neues Gesetz, vielmehr Respekt vor dem Intimraum von Arzt und Pa­ti­en­t*in und Vertrauen in ärztliches Urteilsvermögen; und mehr Ärzte, die sich dem Anliegen nachvollziehbarer Suizidbeihilfe ihrer Pa­ti­en­t*in­nen öffnen.

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2 Kommentare

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  • Es ist nicht zu fassen, dass es immer noch üblich ist, das vergiftete Wort "Suizidbeihilfe" zu verwenden. Denn Beihilfe bezieht sich im Strafrecht auf rechtswidrige Handlungen. Aber weder Suizid noch Suizidhilfe sind verboten. Hört endlich auf, Suizidwillige und Suizidhelfer sprachlich zu kriminalisieren!

  • Suizidbeihilfe im Bundestag. Die Überschrift ist so richtig schön doppeldeutig:)