Queerfeindliche Übergriffe in Hannover: Hass und sexualisierte Gewalt
Beim Christopher Street Day in Hannover gab es wohl mehr Übergriffe, als zunächst bekannt. Auch von einer Vergewaltigung ist die Rede.
Eineinhalb Wochen nach dem Christopher Street Day (CSD) in Hannover werden immer mehr Übergriffe bekannt. „Am Rande der Demo wurden offenbar von einem Anwohner Eier auf die Teilnehmenden geworfen“, sagt Corinna Weiler vom CSD-Veranstalter „Andersraum“. Zudem habe es an diesem letzten Mai-Wochenende queerfeindliche Beschimpfungen gegeben. Erfahren habe der Verein das durch Nachrichten der Betroffenen, Mails und Kommentare in den Sozialen Medien.
Es soll außerdem zu zwei sexualisierten Übergriffen gekommen sein, am Rande von Demo und Party am Opernplatz in Hannovers Innenstadt – darunter eine Vergewaltigung. „Wir wissen da leider nicht mehr zu“, sagt Weiler, „wir haben keinen Kontakt zu der betroffenen Person.“ Der Arbeiter-Samariter-Bund habe das gemeldet, weil sich die Betroffene danach an die Organisation gewandt habe. Der zweite Vorfall sei am Sonntag, dem zweiten Tag der Veranstaltung, passiert. „Ich habe die Person auch gesehen, wie sie danach in einem Rettungswagen war, um telefonieren zu können.“
Beide Übergriffe wurden von der Polizei bislang nicht bestätigt. Eine Sprecherin schrieb der taz, dass es sich nach derzeitigem Ermittlungsstand nicht um Nötigung oder Vergewaltigung gehandelt habe. „Aufgrund des Alters der involvierten Personen werden keine genaueren Auskünfte erteilt.“ Sie wies außerdem darauf hin, dass nicht sicher gesagt werden können, ob den Straftaten ein queerfeindlicher Ursprung zugrunde liege. „So kann es zu Sexualdelikten gekommen sein, die im Rahmen des CSD aufgenommen wurden, deren Hintergrund jedoch keinen Bezug zur gesellschaftlichen Aussage der Veranstaltung hat.“
Gegen den Kopf getreten
Unmittelbar nach dem CSD war lediglich von einem queerfeindlichen Angriff die Rede: Am Samstagabend sind nach Angaben der Polizei eine 18-jährige nicht-binäre Person und ein 17-jähriger trans*-Mann direkt vor dem Hauptbahnhof von zwei Tätern beleidigt, verletzt und bestohlen worden. Die Täter äußerten sich zunächst queerfeindlich gegenüber insgesamt vier Teilnehmer*innen des CSD. Sie schlugen die 18-jährige Person, dann auch den 17-Jährigen, der schlichten wollte. Sie schubsten ihn zu Boden und traten ihm mehrmals gegen der Kopf, sein Handy nahmen sie mit. Der 17-Jährige wurde ins Krankenhaus gebracht. Dort sei er aber nicht stationär aufgenommen worden, sagt Weiler. Weil die Angegriffenen am CSD teilgenommen haben, ermittelt der Staatsschutz mittlerweile wegen queerfeindlicher Hasskriminalität.
Die Gewalt gegen die beiden jungen Erwachsenen wurde auch aus der örtlichen Politik verurteilt. „So etwas ist nicht hinnehmbar“, twitterte Belit Onay, Hannovers grüner Bürgermeister. „Solange es solche Angriffe gibt, müssen wir weiterhin gemeinsam auf die Straße gehen, um für die Rechte aller zu protestieren.“
Onay nahm nicht nur am CSD selbst, sondern auch an der Kundgebung teil, die am Sonntag als Reaktion auf die Gewalt von Andersraum veranstaltet wurde. Ebenso waren Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens und Regionspräsident Steffen Krach (beide SPD) dabei. „Einige Teilnehmer*innen haben uns geschrieben“, berichtet Weiler, „dass sie ermutigt aus der Kundgebung rausgegangen sind und die Solidarität gespürt haben.“ Vorher seien viele vor allem wütend und ängstlich gewesen.
Weiler spricht von einer „Verrohung der Gesellschaft“: „Das erleben wir das ganze Jahr über. Vom Gefühl her sind die Übergriffe mehr geworden, vor allem queerfeindliche Beschimpfungen.“ Die Vorfälle fielen aber auch mehr auf, weil mehr Energie in die Sicherheit investiert werde.
Für die Sicherheit beim CSD auf dem zentralen Veranstaltungsort am Opernplatz in Hannover seien unter anderem Security und ein Awareness-Team zuständig gewesen. Das Problem des Konzepts zeige sich an dem Angriff am Hauptbahnhof, so Weiler: „Das ist gar nicht weit weg, aber da haben wir überhaupt keine Handhabe.“ Man wolle sich daher gemeinsam mit Polizei und Stadt überlegen, was man nächstes Jahr verbessern könne – ohne den CSD „martialisch zu schützen“. Sie weist auch darauf hin, dass „sexualisierte Übergriffe kein Einzelfall beim CSD“ seien. „Es ist wichtig, dass man die gesellschaftliche Dimension sieht.“
Veranstalter*innen, auch über den CSD hinaus, hätten „schon sehr das Gefühl, dass es eine hohe Queerfeindlichkeit gibt“, sagt auch Anna Rießen vom Veranstaltungsort Pavillon Hannover, wo sie das Projekt „We take care“ für ein diskriminierungsfreies Nachtleben koordiniert. „Die Fälle sind sichtbarer als früher.“ Ob das an der Wahrnehmung liege oder tatsächlich an der steigenden Anzahl der Vorfälle, sei nicht klar.
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