Die Wahrheit: Mein Leben als Deutsche Bahn
Noch ne Kolumne über das lahme Zukunftsunternehmen? Aber ja, es ist halt ein leichtes Opfer.
N eulich habe ich auf der Zugtoilette nachgedacht. Zunächst über den Satz „Bitte verlassen Sie diese Toilette so, wie Sie sie vorzufinden wünschen“. Ein Satz, der Vandalen nicht von ihrem Tun abhalten wird, aber mit ausgetauschtem Objekt – Mann oder Frau statt Toilette – durchaus als T-Shirt-Aufdruck tragbar wäre: „Bitte verlassen Sie diesen Mann so, wie Sie ihn vorzufinden wünschen.“ Nämlich sauber und rein, mit Hang zur Automatik.
Über diese Automatik, besser: Elektronik, dachte ich im Folgenden nach, weil ich weder das Wasser zum Laufen noch den Seifenspender zum Spenden von Seife bringen konnte. Auch war die Zugtoilette ein Behinderten-WC – bitte den Begriff selbst durchstreichen und durch den entsprechend korrekten Begriff ersetzen. Jedenfalls hatte das WC eine elektronische Tür: Man musste erst den einen, dann den anderen roten Knopf drücken, damit sie sich verriegelte. Was keinesfalls als sicher gegeben war.
Es ist ja so bekannt wie komplett irre, dass sich Sanitärdekorateure in Bahn-, Hotel- oder Gastronomietoiletten austoben dürfen. Was, dachte ich, ist aus dem guten alten Wasserhahn geworden? Rot für warm, blau für kalt? Aufdrehen – und es kommt Wasser! Wäre eine Rückkehr zur einfachen Mechanik nicht auch gut gegen die Klimakrise? „Mehr Digitalisierung“ forderte irgendein Verkehrspolitheini neulich im Fernsehen. Tatsächlich wäre weniger Elektronik die bessere Antwort.
Aber die Deutsche Bahn ist immer dankbares Opfer, jede Zeitung könnte eine tägliche Kolumne über dieses lahme Zukunftsunternehmen einrichten, langweilig würde es nie. Verwirrung stiften, am besten elektronisch, das kann die Bahn nämlich sehr gut.
Ende des Textes wird in 5 Zeilen erreicht, nein, in 8, nein, in …
Ist der Zug zum Beispiel verspätet, erfährt man das als Online-Käufer zuerst per Mail, bis auch real eine Durchsage kommt – gern mit einer Erklärung à la „Grund ist eine Verzögerung im Ablauf“ – und die Verspätung auf dem Bordbildschirm vermeldet wird. „Wir erreichen Nürnberg in 5 Minuten“ steht nach einer 20-minütigen Verspätung dann da, was in den nächsten 20 Minuten fortlaufend nach oben korrigiert wird, bevor der Zug 5 Minuten nach den auf dem Bildschirm versprochenen 20 Minuten Verspätung tatsächlich am Bahnhof hält.
Dass ich nicht übertreibe, versteht sich mittlerweile von selbst. Das beste Erlebnis hatte ich, als ich pünktlich meinen Bahnsteig erreicht hatte, bevor mir die Bahn per Mail mitteilte, dass mein Zug ausfiel. Zufälligerweise stand ich neben zwei Bahnern, die mich darauf hinwiesen, dass der Zug keineswegs ausfiel, sondern nur einen anderen Namen und eine geänderte Wagenreihung bekommen hatte. Das stand nur so nicht in der Mail.
Mehr Digitalisierung! Genau! Hilft bestimmt! Über Lärmschutzwände statt Landschaften und den 49-Euro-Nepp schreibe ich dann das nächste Mal, es sei denn, die Kolumne fällt aus. Aus betrieblichen Gründen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“