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Abschluss des Theatertreffens in BerlinDie Macht des Spiels erfahren

Hamlets Knochen und Handke im Altenheim: Starker erzählerischer Zugriff und großartige Ensemble-Leistungen prägten das Theatertreffen.

„Die Eingeborenen von Maria Blut“ von Maria Lazar, von Lucia Bihler am Burgtheater Wien inszeniert Foto: Susanne Hassler-Smith

Theater aus Wien? Das kann gerne etwas bös und schwarzhumorig sein. Dieses Bild erfüllten nun gleich zwei der Inszenierungen, die zum Theatertreffen in Berlin eingeladen waren. Beide vom Wiener Burgtheater, beide von einer Regisseurin Mitte dreißig.

„Die Eingeborenen von Maria Blut“ beruht auf einem Romantext von Maria Lazar, einer in Österreich wiederentdeckten Autorin. Der Roman, von Lazar 1935 im dänischen Exil geschrieben, erzählt von einer Dorfgemeinschaft: In der Inszenierung von Lucia Bihler tragen die Schau­spie­le­r:in­nen dabei Janker und Kniehosen aus Plastik, das verdächtig nach Schlachthaus aussieht. Ihre riesigen Puppenköpfe stecken sie tuschelnd und tratschend zusammen.

Ein Bild von falscher Naivität und Süßlichkeit, das sofort von ihren bösartigen Kommentaren, die von anderen Schauspielern am Bühnenrand gesprochen werden, unterlaufen wird. Das sind großartige Vignetten der Missgunst und der schnellen Bereitschaft zu Verdächtigungen und Unterstellungen.

Eine Fabrik geht pleite, ein jüdischer Anwalt wird als Schuldiger ausgemacht, ein Hausmädchen, das die Verleumdung aller Juden nicht mitmachen will, zur Ausländerin gemacht und ausgewiesen, ein Sohn, der sich von seinem Vater als Versager abgestempelt sieht, zum Anführer eines rechten Jungenbundes. Was Katholizismus und Aberglaube war, schlägt hier in wenigen Szenen in Antisemitismus und Nationalismus um. Ratzfatz, so schnell ist eine Geschichte des Austrofaschismus selten erzählt.

Die Verführbarkeit des Menschen

Manchmal ist zwischen den schnell, geradezu brutal abrupt geschnittenen Szenen aus dem Off eine kurze Passage des Romans zu hören, die ahnen lässt, dass er noch andere, nicht so schnell in der Karikatur aufgehende Facetten hat, eine poetische Sprache zum Beispiel und trauernde Reflexionen, die in der Inszenierung kaum zum Tragen kommen. Die zielt auf das Parabelhafte, stellt die Verführbarkeit des Menschen aus, die Bereitwilligkeit zum Verrat, wenn ein kleiner Vorteil dabei herausschaut. Was dann doch etwas mehr stereotypes Bild denn historische Analyse ist.

Trotzdem war diese Inszenierung ebenso ein Highlight der letzten Woche des Theatertreffens – das zehn von einer Kritikerjury ausgewählte Stücke zeigt – wie „Das Zwiegespräch“ nach einem Text von Peter Handke, inszeniert von Rieke Süßkow. Schauspiellegenden vom Burgtheater wie Martin Schwab und Branko Samarovski spielen mit, als Bewohner eines Altenheims, mit dem das Pflegepersonal immer wieder ein makabres Spiel spielt:

Stuhlpolka, lange „Reise nach Jerusalem“ genannt, bis der Zynismus daran auffiel. Wer keinen Platz auf einem der Stühle findet, um die alle im Kreis tanzen, scheidet aus. In der Inszenierung von Rieke Süßkow wird er dabei durch eine Tür geschoben, die ins Reich des Todes führt. An einer anderen Stelle kommt seine Urne heraus.

Süßkows Bilder sind streng rhythmisiert, die gestylten Pflegerinnen halten die Alten an einer kurzen Leine. Eine bewegliche Ziehharmonikawand, für die übrigens die Bühnenbildnerin Mirjam Stängl dieses Jahr den 3sat-Preis erhielt, beengt ihren Raum zusätzlich.

Elaborierte Demenz

Dieses Setting ist von der Regisseurin als Rahmen erfunden für Handkes Text. Der ist eine Art elaborierter Demenz. Erinnerungen werden ausgetauscht, Erinnerungen, die sich auflösen im Erzählen. Es geht um Großväter, und wie sie in weiteren Generationen weiterspuken. Es ist ein Text voller selbstironischer Spitzen, der der Überhöhung der Kunst nicht mehr über den Weg traut. Gesucht wird ein Theatererlebnis, das das Leben verändert, aber dann erinnert man sich doch nur an das Dekor und nicht mehr an die Geschichte. Gesucht werden Bilder, die Geborgenheit versprechen, aber dann tritt doch ein Großvater durch eine falsche Tür und hat eine Leiche im Keller.

Handke rechnet in diesem altersmilden Text auch ein wenig, vielleicht nicht sonderlich scharf, mit sich selbst ab. Das Bühnensetting macht daraus eine Abrechnung zwischen den Generationen, eine Rache an denen, die uns bis heute zu den Erben des Faschismus machen. Eine Rache, die, so erzählt es die Inszenierung, letztlich auch nicht gelingt, denn als Geister kommen die Entsorgten zurück.

Zwischen dem Text und der Inszenierung, das ist das Positive, tun sich nach und nach immer mehr Parallelen auf. In den Erinnerungsfetzen des „Zwiegesprächs“ geht es um die Figur des Spielers, seine Allmachtsfantasien, Rollen und Regeln zu entwerfen. Und Rollen und Regeln entwirft dann eben auch die Regisseurin, in einem gegenläufigen Rahmen.

Allerdings, und das ist ein Manko in diesem Entwurf, hat die Generation der jungen Schauspieler:innen, die als die Pflegenden auftauchen, dabei mehr eine dekorative Funktion, Statisten in einem Ritual. Auch wenn sie die Texte der Alten teilweise mitsprechen, so bekommen sie doch keine eigene Individualität.

Kritik am Auswahlverfahren

Doch solchen Schwächen zum Trotz: Die Arbeiten der beiden Regisseurinnen können auch als Beleg dafür gelten, dass Regiefrauen in ihren Stärken gefördert werden, wenn man ihnen auch die große Bühne und einen guten Etat gibt. Diese These war Sabine Leucht wichtig, Theaterkritikerin (auch für die taz), die zu den sieben Ju­ro­r:in­nen des Theatertreffens gehört und mit Kolleginnen an einem Nachmittag ihr gemeinsames Buch „Status Quote“ vorstellte.

Seit sechzig Jahren gibt es das Theatertreffen: Dass hier Theaterkritiker die Auswahl treffen, aus über 460 gesichteten Inszenierungen eine Liste von 30 bis 40 Stücken bilden, über die sie dann lange diskutieren, und zehn schließlich auswählen, wird auch immer wieder kritisiert. Sie bilden eben kein Kuratorium, das zunächst eine Liste des inhaltlich Wünschenswerten aufsetzt und dann die entsprechende Kunst sucht. Sondern sie bilden ihre Kriterien aus dem Befund des Bestehen.

So kann es kommen, wie in diesem Jahr, dass Stücke mit einem starken Gegenwartsbezug, mit Thematisierung der Klimakrise oder des Krieges in der Ukraine in ihrer Auswahl vermisst werden, wie es sich in der Schlussdiskussion des Theatertreffens zeigte. Solche Arbeiten habe man durchaus diskutiert, verteidigte Jurymitglied Eva Behrendt die Auswahl, aber letztendlich dann nicht als stark genug empfunden.

Was die Jury an gutem Theater schätzt, ließ sich etwa an zwei Shakespeare-Inszenierungen ansehen: „Ein Sommernachtstraum“, den Antú Romero Nunes in Basel inszeniert hat, ein „Hamlet“, den Philipp Preuss am Anhaltischen Theater Dessau auf die Beine gestellt hat. Beide Inszenierungen fügen zwar den Lesarten Shake­speares nicht unbedingt neue Varianten hinzu. Aber sie sind großartige Ensemble-Leistungen, die das Miteinanderspielen, -denken und -arbeiten in den Vordergrund rücken.

Pädagogen als Elfen und Esel

In der Komödie des Sommernachtstraums ist der fiktive Rahmen diesmal, dass eine Gruppe von Lehrern, die sich zunächst etwas linkisch und etwas eitel, erkennbar in ihren Reibereien und Rollenzuweisungen, vorstellen, das Stück zusammen inszeniert. Die Rollen, die sie dann in den Liebeswirren zwischen adeligen Paaren, eifersüchtigen Elfen und verliebten Eseln annehmen, schimmern bald durch als Gegenbilder zu ihrer Existenz als besorgte Pädagogen, zu ihrem Wohlverhalten als Vorbild. Es ist liebevoll und sehr lustig erzählt, wie hier das Theaterspielen zu dem Freiraum wird, um Grenzen zu überschreiten und sich selbst zu überwinden.

Hinter jeder Shakespeare-Inszenierung liegt ein langer Echoraum der Thea­terge­schichte. Er ist vielleicht so lang und tief wie der Tisch, den die Bühnenbildnerin Ramallah Sara Aubrecht für den „Hamlet“ entworfen hat. Es ist die Tafel für das Begräbnis von Hamlets Vater, Laufsteg für Ophelia und den Mörder Claudius. Sie alle spielen das Stück, aber sprechen auch Hamlets Texte, loopen seine Gedankenschleifen, die sich immer enger um seinen Handlungsspielraum ziehen.

Niklas Herzberg und Felix Axel Preißler spielen Hamlets ­Figur wie die zweier Freunde, die ihre düsteren Überlegungen teilen. Und dabei eher vernünftig als wahnsinnig wirken. Das Stück dampft den Text ein und kondensiert ihn, merkwürdigerweise wird es nicht langweilig in den Wiederholungen. Sie scheinen am Ende wie die bleichen Knochen, die übriggeblieben sind vom Leib der Geschichte durch das Wieder-und-wieder-Erzählen. Theatergeschichte frisst das Stück auf.

Hinweis: In der 3sat-Mediathek kann man die Aufzeichnungen sehen von drei Produktionen, als „Starke Stücke“ von 3sat ausgewählt: „Die Eingeborenen von Maria Blut“, „Kinder der Sonne“ und „Ein Sommernachtstraum“.

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