Reichelt gegen Reschke: Kampf der Framings

Julian Reichelt ist juristisch gegen „Reschke-Fernsehen“ vorgegangen. Doch damit hat der Wettstreit um Deutungshoheit erst begonnen.

Anja Reschke mit ihren Füssen auf dem Schreibtisch

Anja Reschke: Reingezogen in die Schlammschlacht um Reichelt Foto: Thorsten Jander/dpa

Ben Irle, der Rechtsanwalt des früheren Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt, hat viel zu tun: Springer klagt die Rückzahlung von Reichelts Abfindung und eine Vertragsstrafe ein. Und die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrugs gegen Reichelt. Irle hat angekündigt „gegen jede Verletzung der Rechte meines Mandanten entschieden vorzugehen“.

Vorgegangen ist Irle zuletzt gegen die NDR-Sendung „Reschke Fernsehen“. Er erwirkte am Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung. In ihrer Sendung vom 16. Februar hatte Anja Reschke über die Machtmissbrauchvorwürfe mehrerer Frauen gegen Reichelt berichtet, die ihm bei Bild unterstellt waren. Der NDR hat angekündigt, Widerspruch einzulegen. Von den 16 beanstandeten Passagen hat das Gericht 11 vorerst für unzulässig erklärt, hauptsächlich anonymisierte Zitate ehemaliger Mitarbeiterinnen.

Es geht darin etwa um das angeblich private Interesse Reichelts an einer ihm unterstellten Mitarbeiterin. Auch eine vom WDR übernommene Schlagzeile über vermeintlichen Drogenkonsum am Arbeitsplatz darf der NDR vorerst nicht mehr verbreiten.

Der Gerichtsentscheid bedeutet nicht unbedingt, dass die Zitate inhaltlich falsch sind, sondern dass der NDR sie nicht ausreichend glaubhaft machen konnte – etwa durch eidesstattliche Versicherungen. Doch NDR und Reichelt liefern sich zusätzlich zur juristischen Auseinandersetzung einen Kampf um die mediale Deutungshoheit. In einer Pressemitteilung vom 2. Mai behauptet Irle, dass der „frei erfundenen Vorwurf des Machtmissbrauchs“ untersagt sei. Der NDR bestritt Irles Darstellung wenige Stunden später, das Gericht habe die „Berichterstattung über den Verdacht des Machtmissbrauchs durch Julian Reichelt als zulässig erklärt“.

Pressemitteilungen liefern immer ein Framing: Durch die Wortwahl, indem sie bestimmte Inhalte in den Vordergrund rücken und andere absichtlich weggelassen. Der NDR geht vor allem auf Passagen ein, die für zulässig erklärt wurden, während Irles Mitteilung sich um die untersagten Teile dreht. Beide werfen der anderen Seite in ihren Mitteilungen vor, Unwahrheiten zu verbreiten.

Frei erfunden ist der Vorwurf des Machtmissbrauchs nicht. In seinem Beschluss erklärt das Gericht „die Verdachtsäußerung, der Antragsteller habe diverse Affären mit Mitarbeiterinnen gehabt“ für zulässig. Auch die Aussage, dass Reichelt während des Compliance-Verfahrens gegen ihn im Frühjahr 2021 „Zugang zu Informationen hatte, die er nie hätte haben dürfen“, sei haltbar.

Kurz nachdem der NDR die Sendung vorläufig aus der Mediathek genommen hatte, suggerierte Reichelt auf Twitter, die Löschung zeige die Unglaubwürdigkeit des NDR. Reschkes Reaktion folgte, nachdem eine bearbeitete Fassung wieder hochgeladen worden war. „Zurück in der Mediathek“, verkündete sie auf Twitter und betonte, dass der Vorwurf des Machtmissbrauchs unstrittig sei.

Auf Instagram teilte Reschke dann gegen Reichelt aus: „Bei allem Streit ist es gut, in einem Staat zu leben, wo das Recht für alle gleich vom Staat gewährt wird. Im Gegensatz zu manchen Menschen behandelt das Grundgesetz nämlich alle ihm Unterstellten gleich und gut.“

Das größere Risiko geht dabei der NDR ein, denn die Öffentlich-Rechtlichen stehen gerade unter verschärfter Kritik. Der NDR kann es sich nicht leisten, die Angriffe Irles zu ignorieren. Gleichzeitig darf es der NDR mit seiner Öffentlichkeitsarbeit nicht übertreiben, denn der Programmauftrag lautet: seriöser Journalismus. Man erwartet von den Öffentlich-Rechtlichen ausgewogene Berichterstattung. Das mediale Ego des NDR, das vorrangig daran interessiert ist, die eigene Berichterstattung in einem möglichst guten Licht darzustellen, kollidiert mit der journalistischen Rolle.

Reichelt dagegen gilt als rechtspopulistischer Krawall-Journo, der es mit der Wahrheit nicht immer genau nimmt, weshalb sein Image von dem Rechtsstreit kaum berührt werden dürfte. Sein ehemaliger Arbeitgeber Springer hatte ihn mit der Begründung gefeuert, er habe den Vorstand belogen, was Reichelt bestreitet. Laut dem Spiegel soll er in seiner Bild-Zeit gar eine Scheidungsurkunde gefälscht haben.

Der Framing-Kampf tobt auch darum, wie gehaltvoll die Sendung nach Überarbeitung noch ist. Nachdem Irle im Tagesspiegel vom „unumstößlichen Fakt“ gesprochen hatte, „dass von der Berichterstattung nach Herausschneiden der untersagten Äußerungen nicht mehr viel übrig bleibt“, urteilte Reschke auf Instagram über ihre Sendung: „Kann man sich gut anschauen.“ Im Gegensatz zu anderen „umkämpften Fakten“ kann man sich von dieser Sache selbst ein Bild machen: Die bearbeitete Fassung ist seit dem 9. Mai in der ARD-Mediathek abrufbar.

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