piwik no script img

Wo die Brandmauer bröckelt

Fast hätte die AfD im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree an diesem Wochenenden den neuen Landrat gestellt. Dass das Ergebnis so knapp und die Wahlbeteiligung so niedrig war, ist Ausdruck einer besorgniserregenden Tendenz

Das Gasthaus „Ulmenhof“ im Dorf Steinhöfel im Kreis Oder-Spree ist ein Treffpunkt des rechten Flügels der AfD. Auch Rainer Galla kommt hier hin. Aufnahme von einem Protestschild aus dem Jahr 2021 Foto: Christian Mang

Von Tanja Tricarico und Gareth Joswig

Als die ersten Hochrechnungen zur Stichwahl um den neuen Landrat im Landkreis Oder-Spree aufploppen, kann Janina Messserschmidt die Ergebnisse erst gar nicht glauben. AfD-Kandidat Rainer Galla liegt zu dem Zeitpunkt, kurz nach 18.30 Uhr am Sonntagabend, noch vorne in vielen Gemeinden. SPD-Mann Frank Steffen auf Platz zwei. Am Ende des Tages wird Steffen zwar als Sieger hervorgehen, aber mit nur geringem Vorsprung vor Galla.

„Ein solch krasses Ergebnis habe ich nicht erwartet“, sagt Messerschmidt. Sie sitzt für die Linke in der Gemeindevertretung von Steinhöfel im Landkreis Oder-Spree. Sie vermutet, dass es in der Gemeindeverwaltung und in Behörden kein Thema ist, dass der Landkreis den ersten AfD-Landrat bundesweit hätte stellen können. „Eine Partei, die mit Alltagsrassismus arbeitet, die Ängste bei den Menschen schürt, macht offenbar nur einigen ehrenamtlich arbeitenden Vereinen Sorgen“, sagt Messerschmidt. Nicht einmal ihr Aufruf über die Verwaltung an die Bür­ge­r:in­nen, überhaupt zur Wahl zu gehen, wurde weitergeleitet. „Dafür gibt es offenbar keine Priorität.“

Die AfD hat in dem Landkreis bei einer Stichwahl am Sonntag nur um Haaresbreite ein Landratsamt verpasst. Es wäre das erste gewesen für die extrem rechte Partei. SPD-Kandidat Frank Steffen gewann nur hauchdünn mit 52,4 Prozent gegenüber Rainer Galla von der AfD, der 47,6 Prozent der Stimmen bekam. Ohne Briefwahlstimmen gäbe es nun einen AfD-Landrat. Das liegt auch an einer erschreckend niedrigen Wahlbeteiligung, die bei nur 38,5 Prozent lag.

Im September 2022 hatten sich in einer ähnlichen Situation bei der Bürgermeisterwahl in Cottbus noch alle demokratischen Parteien hinter einen SPD-Kandidaten gestellt, der daraufhin mit 68,6 Prozent die Abstimmung gewann.

Kritik richtete sich jetzt insbesondere an die CDU, die, wie die Freien Wähler vor Ort, nicht den SPD-Kandidaten in der Stichwahl mit voller Kraft unterstützte. Wie viele andere Regionen Brandenburgs kämpft auch der Landkreis Oder-Spree mit Abwanderung. Damit, dass Treffpunkte, wie der alte Konsum, die Kneipe, der Jugendclub, schlicht nicht mehr da sind. Aber im Vergleich zu anderen Regionen im Osten geht es dem Landkreis nicht schlecht. Objektiv betrachtet. Fürstenwalde und einige umliegenden Dörfer haben sich zum Speckgürtel Berlins entwickelt. Etliche An­woh­ne­r:in­nen pendeln zur Arbeit in die Hauptstadt. Mit Tesla als dem Jobmotor in Grünheide hat der Landkreis einen weiteren Coup geschafft. Die Nachfrage nach Wohnraum, nach Kita- und Schulplätzen, nach Einkaufsmöglichkeiten ist enorm. Mit der hohen Nachfrage steigen auch die Anforderungen an die Kommune.

„Die AfD schürt bei den Menschen die Angst, etwas zu verlieren“, sagt Markus Klein, Geschäftsführer von Demos, dem Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung. Die Unterbringung von Geflüchteten, der Ausbau von Windrädern, die Debatte um den Heizungstausch, die Finanzierung von Waffen im Ukraine-Krieg: Ganz gleich welches Thema, es wird den Menschen vor Ort schaden, so lautet das Narrativ. Und dieses Narrativ trifft auf ein Gefühl des Frusts, auf ein Gefühl des Nicht-Wahrgenommenwerdens in der Region. „Bundespolitische Themen spielten dann plötzlich eine große Rolle, obwohl es sich, wie im Fall von Oder-Spree, um eine sehr lokale Wahl handelt“, so Klein. Desinformationskampagnen fieln auf fruchtbaren Boden, verstetigten und festigten sich. Sicher ist für Klein, dass der Fall Oder-Spree kein Einzelfall bleiben wird.

David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus vom Verein Miteinander e.V. in Magdeburg befürchtet, dass der Landkreis Oder-Spree in der bundespolitischen Debatte bald wieder vergessen ist – obwohl das zutage getretene Problem grundsätzliche Fragen aufwirft. „Das ist mehr als ein regionales Ereignis. Es wirft die Herausforderungen auf, die uns besonders mit Blick auf die 2024 anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen beschäftigen sollten.“

Tatsächlich erlebt die AfD derzeit ein Umfragehoch wie zuletzt 2018 und 2019. Begrich sagt, das Wahlergebnis sei Ausdruck eines ostdeutschen Pegida-Grundrauschens, das gefüttert werde, indem demokratische Parteien Themensetzungen der AfD aufgriffen. „Die Brandmauer muss nun wirklich hochgezogen werden – und sie muss den ersten Bränden auch Stand halten“, fordert Begrich. „Das funktioniert aber nur dort, wo der AfD diskursive Grenzen gesetzt werden: Man führt keine rassistischen Diskurse über Flüchtlinge und auch keine Debatten über regressive ostdeutsche Identitätspolitik.“

Von Linke bis zur CDU müssten ein paar politische Tabus entwickelt werden, um dem Erstarken der AfD etwas entgegen zu setzen, glaubt Begrich. Man müsse sich fragen, ob man sich wirklich an rechten Debatten um Dragqueens in Kindergärten beteilige oder sich stattdessen mal der Frage widme, warum man zu wenig Lehrer und Kindergärtner habe. „Niemand hat die Pflicht, das aufzugreifen, was die AfD veranstaltet“, sagt Begrich.

Demokratische Parteien müssten vielmehr wirkliche Probleme und Nicht-Wähler ansprechen: „Wie erreicht man Leute, die nicht zu Wahl gehen und vom Partizipationsrecht kein Gebrauch machen?“, fragt er. Begrich verweist darauf, dass die AfD auf richtige Fragen keine Antworten hat und bei Sozial- und Arbeitsmarktpolitik schlecht aufgestellt ist – zumal die AfD keinerlei regionale Verankerung wie andere Parteien. Schlagkraft entwickele die AfD nicht über Kompetenz, sondern mit Kampagnen zu Themen, über die im Kreistag nicht entschieden werde, so Begrich: „Nach dem Motto: ‚Wir haben beantragt, im Himmel sei Jahrmarkt, aber die Schweinebacken haben es abgelehnt.‘“

Hinzu komme beim Wiedererstarken der AfD die Rückkehr ihres Leib- und Magenthemas: Flüchtlinge und sozialdarwinistische Verteilungsfragen. „Die AfD macht ständig Vorschläge, wer kein Geld bekommen soll.“

Tatsächlich hat die AfD vor Ort nicht nur mit bundespolitischen Themen wie Ukraine-Krieg und Grünen-Bashing mobil gemacht, sondern auch Unterstützung von der Parteispitze bekommen: Am Samstag war AfD-Chef Tino Chrupalla in den Landkreis gereist und hatte ein AfD-„Frühlingsfest“ in Müllrose besucht. Begrich mahnt: „Man sollte nicht in Panik oder Entwarnung verfallen, ob die AfD bei 24 oder 28 Prozent steht. Der gesellschaftliche Resonanzraum, den sie erreicht, ist ohnehin breiter oder größer. Die anderen Parteien müssen sich vielmehr überlegen, wie Nicht-Wählerinnen und Wähler erreicht werden können.“

Die Stichwahl trieb tatsächlich auch die Spitzenpolitik um. Allem voran, dass die CDU und die Freien Wähler, anders als Linke und Grüne nicht explizit zur Wahl des SPD-Kandidaten aufgerufen hatten: So klang der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert am Montagmorgen leicht zerknirscht – obwohl die Sozialdemokraten am Abend zuvor in Bremen einen deutlichen Wahlerfolg in Bremen gefeiert haben. Scharfe Kritik formulierte er gegenüber der CDU: „In Brandenburg, wo im kommenden Jahr Kommunal- und Landtagswahlen stattfinden, bekommt die CDU die Zähne nicht auseinander, wenn die Demokratie gegen ihre Feinde verteidigt werden muss“, sagte Kühnert der taz. „Wo ist die sogenannte Brandmauer nach rechts, die Friedrich Merz und andere in ihren Sonntagsreden fleißig beschwören, wenn es wirklich darauf ankommt?“ Für Kühnert sind CDU-Mitglieder „Schönwetter-Demokraten“.

Auch der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil zeigt sich sehr verwundert über das Verhalten der Konservativen, wie er am Montag sagte: „Die CDU konnte sich weder vor Ort noch auf der Bundesebene dazu durchringen, sich zu positionieren. Es hat keine Wahlempfehlung der CDU gegeben.“

Der CDU-Landeschef Brandenburg Jan Redmann räumte am Montag immerhin Fehler ein: Man habe die Stichwahl unterschätzt, sagte er. Von den eigenen Anteilen am AfD-Ergebnis sprach er hingegen weniger. Er sagte nur, das Wahlergebnis müsse nun ein Weckruf sein. „Einfach nur Unterhaken gegen die AfD ist zu wenig, um sie klein zu kriegen“, so Redmann, wobei sich seine Partei ja nicht einmal untergehakt hatte.

„Das Wahlergebnis ist Ausdruck eines ostdeutschen Pegida-Grundrauschens“

David Begrich, ­Rechtsextremismus-Experte

Die AfD, die schon länger auf einen Erfolg bei Landratswahlen im Osten schielt, aber noch nie so knapp verlor, schwört sich weiter darauf ein, Kräfte auch für Kommunalwahlen zu bündeln. Mit besonderem Fokus auf Gegenden, in denen die AfD trotz ihres Rechtsextremismus weitgehend normalisiert ist. So schrieb der Rechtsextremist und Thüringenchef Björn Höcke noch am Sonntagabend neben eine Gratulation zu den „sensationellen 47,6 Prozent“: „Jetzt geht der Staffelstab nach Thüringen: Am 11. Juni wählt der Landkreis Sonneberg einen neuen Landrat.“

Warum gehen überhaupt so wenig Menschen zu einer Landratswahl, gerade dann, wenn es wirklich um etwas geht? Bei vielen Vereinen, kirchlichen Initiativen oder Un­ter­stüt­ze­r:in­nen von Geflüchteten im Landkreis ist der Wahlausgang ein großes Thema. „Reden, reden, reden“, sagen die einen. „Laut werden die anderen.“ Im schlimmsten Fall den Rückzug antreten.

Klein beobachtet bei den demokratischen Parteien eine Hilflosigkeit gegenüber der AfD. „Es braucht eine bessere Kommunikation, um verständlich zu machen, wofür die einzelnen Parteien stehen“, sagt er der taz.

In dieser Legislaturperiode lässt sich wohl nicht mehr viel ändern, vermutet Janina Messerschmidt aus der Gemeindevertretung Steinhöfel. Sie arbeitet derzeit an einem Grundsatzprogramm, um mehr Beteiligung zu schaffen in der Gemeinde für alle. Sie will Allianzen schmieden, fraktionsübergreifend, und so Strukturen verändern. Und sie will „Blasen aufbrechen“. „Wir brauchen Austauschräume, wir brauchen Kneipen, Feste und Vereine, also Orte, in denen wir in die Auseinandersetzung gehen können, nicht nur mit denen, die frustriert sind, sondern auch mit denen, die Politik bisher nicht interessiert.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen