piwik no script img

Nicht kompatible LebensweltenGendern op Platt?

Unser Autor gendert inzwischen nicht nur unter Genoss:innen, sondern sogar unbewusst im Traum. In realen Kleinstädten ist es hingegen ziemlich mühsam.

Keine Ahnung, wonach die suchen. Aber Gendersternchen werden sie hier jedenfalls nicht finden Foto: Holger Hollemann/dpa

E s gibt zwei handschriftliche Zettel mit wichtigen Notizen für diese Kolumne. Beide habe ich letzte Woche verloren. Sie steckten gefaltet in einem Block, der mir wohl in der U-Bahn aus der Tasche gerutscht sein muss. Darauf stehen zwei Listen: eine mit Themenideen für schlechte Zeiten und eine mit Sachen, über die ich nach längerem Hin und Her dann doch nicht geschrieben habe, weil sie im Nachhinein wenig bis gar nichts mit dem Landleben zu tun hatten.

Warum man sich sowas überhaupt aufschreiben sollte, weiß ich auch nicht. Ich könnte mich auch gar nicht erinnern, in den mittlerweile eineinhalb Jahren „Speckgürtelpunks“ mal in der Liste gelesen zu haben. Länger wurde sie trotzdem. (Vergeblich) gesucht hatte ich die Zettel allerdings, weil ich diesmal was streichen wollte: das Gendern nämlich von der Kein-Thema-Liste.

Nun zählt die Debatte zwar schon eine ganze Weile nicht mehr zu den aufregenderen, aber mit Stadt und Land hat sie dann doch mehr zu tun, als ich dachte.

Was den Glottisschlag – oder: die Gender-Pause – angeht, stehe ich irgendwo kurz vor Level 2. Das heißt: Ich gendere nicht mehr nur dann, wenn ich gerade mal dran denke, sondern manchmal auch automatisch. In der Stadt jedenfalls.

Auf dem Land geht's gar nicht

Und das ist der Punkt. Ich kann mich zwar sogar an vereinzelte Träume erinnern, in denen jemand gegendert hat, aber an der kleinstädtischen Käsetheke oder beim Abholen vom Kindergarten ist die Pause ein echter Kraftakt.

Umgekehrt habe ich mich in Berlin neulich fast ein bisschen geschämt, als mir im Gespräch über Theater ein „Männerkörper“ rausgerutscht ist, woraufhin mich mein feministisches Gegenüber (seelenruhig und superfreundlich) korrigierte: „Ich fand’ ja ganz interessant, was du da gerade über den MÄNNLICH GELESENEN Körper gesagt hast!“

Es geht gar nicht um richtig oder falsch. Mir ist wirklich komplett egal, wie Sie das machen. Spannend finde ich aber, wie selbstverständlich sich auch der unbewusste Teil der Veranstaltung den Gegebenheiten anpasst. Und was das mit Denkräumen macht! Es ist nämlich nicht so, dass ich außerhalb der Stadt plötzlich wie so’n Werwolf im Mondlicht zu einer Art Mario Barth würde und lauter hirnloses „Frauen-dies, Männer-das“ in meine Gespräche kübeln würde. Ich rede hier draußen einfach insgesamt nicht so viel über Genderfragen.

So paradox das klingen mag: Die komplizierte Sprache macht es einfacher und intuitiver, komplizierte Sachverhalte zu verhandeln. Noch mal: Ich glaube nicht, dass ein schlechter Mensch ist, wer nicht gendert, oder dumm, oder ignorant. Ich bin nur verblüfft, wie hartnäckig sich der Irrglaube hält, das eine käme authentisch aus dem Bauch, während das andere schlimm verkrampfter Cancel-Horror wäre. Es geht nur um Gewöhnung und Sicherheit – und die Frage, wo man unter Freun­d:in­nen ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteur und CvD
Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Plattdütsch statt Generkroam.

  • Üm Platt güng dat man nich!







    Nich na em un nich na ehr, de Artikel.







    Gendern deiht nich nötig, wo jedeen weet, wer nich as Keerl oder Fruu "leest" warrn will.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Bildunterschrift: "Keine Ahnung, wonach die suchen."



    Sie suchten einen Wiesen-Schnäpper.



    Dann überrollte sie ein Riesen-Schlepper.



    Das Unglück raffte sie dahin. -



    Platt gegendert ohne Sinn.

  • Liggers. “Gendern op Platt?“

    Jung! Gah mi aff - gah mi los!



    Un - Lang mi mol denn Mess an!



    Hol wiss - un lot mi an Lann.

    kott - Rein tonn katolsch warrn •

  • Da steckt eine wirklich gute Idee drin! Ich gender ja (gelegentlich) in der Hoffnung, dass sich irgendwann echte und praktikable generische Formen herausbilden.

    Denn z.B. Carolin Emcke gendert, so weit ich es überblicken kann, sehr wenig. Also wenn's sein muss, klar, dann schon, aber irgendwie kommt es mir so vor, als umschiffe sie regelmäßig die schroffsten Klippen.

    Und da könnten Dialekte eine echte Fundgrube und Hilfe sein. Sie hatte z.B. neulich "jemand, wer" statt 'der'.

    Aber wenn wan (das soll übrigens von Englisch 'one', also auch z.B. 'jewand', someone, abgeleitet sein) sich nicht zu fein ist, sich wie etwa Jürgen Klinsmann anzuhören, drängt sich statt 'wer' das schwäbische 'wo' auf, also z.B. jewand, wo gendert ('who')...

    Und möglicherweise finden sich ja weitere Möglichkeiten. Ja, z.B. 'jenge', rheinisch für niemand, z.B. - zwar südlich der Benrather Linie, aber verwandt mit skandinavisch 'ingen', 'ingenting' (niemand, nichts)

    Luther hat seinerzeit die Hochsprache seiner Bibelübersetzung hauptsächlich aus dem Sächsischen entwickelt, das wan als späten, kolonialistischen Dialekt eigentlich als ein Konglomerat aus den vielen älteren deutschen Dialekten sehen muss: so nochmal beim Gendern ansetzen, bis es irgendwann nicht mehr so gräßlich ungereimt bzw -reimbar durch Texte stolpert?