Vietnamesisches Programm der BBC: Gefährliche Umstrukturierung
Das vietnamesische Programm der BBC umging die Zensur in Vietnam. Jetzt baut der britische Sender um. Mitarbeitende könnte das in Gefahr bringen.
Die Krönungsfeierlichkeiten von König Charles. Putins Parade auf dem Roten Platz in Moskau, Chinas Rolle in der Weltpolitik: Die Themen auf der Website des vietnamesischen Dienstes der BBC sind zwar nicht belanglos, als kritischen Journalismus möchte man sie aber auch nicht bezeichnen.
Der vietnamesische Dienst ist eines von 41 Fremdsprachprogrammen der BBC, die unter anderem auch auf Arabisch und Russisch angeboten werden. Die Themen auf der Website sind keine originär selbstproduzierten Beiträge. Die vietnamesische Redaktion kann innerhalb der BBC auf englischsprachige Inhalte zurückgreifen und sie ins Vietnamesische übersetzen. Berichte zu Vietnam selbst muss man jedoch mit der Lupe suchen.
Diejenigen, die man findet, behandeln oft historische Themen, etwa die Analyse der Waffensysteme der Viet Minh in den 1950er Jahren im Krieg gegen Frankreich. Geschrieben hat den Text ein in Paris lebender vietnamesischer Autor. So ein Beitrag hätte es sogar durch die Pressezensur in Vietnam geschafft.
Das war eigentlich nie der Anspruch, den der vietnamesische Dienst der BBC an sich selbst stellte. Das 1952 gegründete Programm war noch bis vor wenigen Wochen ein Flaggschiff der weltweiten Gegenöffentlichkeit zu den staatlich zensierten Medien in Vietnam.
Kritik, die es sonst nicht gibt
Bis es 2011 vom Radio ins Internet wechselte, saßen überall in der Welt vietnamesische Muttersprachler pünktlich zu den mehrmals pro Woche ausgestrahlten Radioprogrammen an ihren Mittelwellengeräten, denn die BBC bot Sendeinhalte, die es in Vietnams Staatsmedien nicht gab. Auslandsthemen hielten sich auf der Website die Waage mit Politik und Menschenrechten in Vietnam. Die Seite lieferte wichtige Kritik, die es in Vietnam sonst nur selten in die Medien schafft.
Denn in Vietnam ist es mit Pressefreiheit nicht weit her. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ steht das südostasiatische Land auf Platz 178 von 180 Staaten weltweit. Nur in China und Nordkorea geht es noch restriktiver zu. Alle staatlichen Medien in Vietnam sind zensiert, unabhängige Blogger, die es bis vor wenigen Jahren noch im Untergrund arbeiteten, sitzen entweder in Haft, haben mit dem Schreiben aufgehört oder sie müssen aus dem Ausland berichten.
Ausländische „Feindsender“ in vietnamesischer Sprache wie die BBC kann man in Vietnam nur über eine Firewall anwählen. Da hilft es, die Inhalte über Facebook, Youtube und Twitter zusätzlich zu verbreiten. Diese Medien sind in Vietnam nicht grundsätzlich blockiert, werden aber immer wieder behindert.
Noch vor wenigen Monaten hatte das vietnamesische Programm der BBC Biss: Es gab neben den Nachrichten aus aller Welt Diskussionsrunden über Verurteilungen vietnamesischer Menschenrechtler, exklusive Berichte aus den Machtzirkeln in Hanoi – eine umfangreiche Berichterstattung zu Themen, die in den Staatsmedien nicht vorkommen.
Doch als letzten Monat der vietnamesische Blogger Thái Văn Đường in der thailändischen Hauptstadt Bangkok plötzlich verschwand und kurz darauf in einer vietnamesischen Haftanstalt wieder auftauchte, berichtete die BBC schon nicht mehr investigativ. Das übernahmen der vietnamesische Dienst des von der US-Regierung finanzierten Senders Radio Free Asia sowie das private Onlinemagazin Thoibao aus Berlin.
Sie sprachen mit dem Bekanntenkreis des Bloggers, mit dem UNHCR, der Polizei in Thailand. Sie werteten Videos von Überwachungskameras aus und fanden viele Indizien dafür, dass der Mann durch den vietnamesischen Geheimdienst entführt wurde.
Medium der Beliebigkeit
Was ist in den wenigen Monaten mit dem vietnamesischen Dienst der BBC geschehen? Warum entwickelte sich ein Flaggschiff der Pressefreiheit zu einem Medium von Beliebigkeit?
„Im April wurden alle Mitarbeiter in London gekündigt“, sagt ein Mann, der bis vor Kurzem für die BBC arbeitete und nicht namentlich genannt werden will. „Die sieben Redakteure wurden nach einer Übergangsfrist arbeitslos. Einzelnen wurde angeboten, nach Bangkok umzuziehen und in Zukunft von dort aus zu berichten.“
Weil die BBC nach dem Brexit sparen muss, so der Mann, habe sie die Redaktion im teuren London aufgegeben zugunsten von Arbeit im preiswerten, aber wenig Sicherheit versprechenden Bangkok. Keiner der Londoner Mitarbeiter habe seines Wissens das Umzugsangebot angenommen. „Nicht nur, weil sie mit ihren Familien in London leben und kein Thailändisch sprechen. Sie sorgen sich auch um ihre eigene Sicherheit.“
Thailand ist ein militärnahes, konservatives Königreich, eine Scheindemokratie, in der es mit der Pressefreiheit auch nicht weit her ist. Viel Schutz können sich JournalistInnen hier nicht versprechen.
Dazu ist der Zugriff der vietnameischen Geheimdienste im nahe gelegenen Thailand einfacher: Bereits zwei Mal wurden Exiljournalisten aus Thailand entführt. Vieles spricht dafür, dass der vietnamesische Geheimdienst dahinter steckt. Die Regierung in Hanoi hat diese Vorgänge nie bestätigt.
Vor dem Blogger Thái Văn Đường traf es 2019 bereits den Journalisten Trương Duy Nhất, der von Thailand aus für Radio Free Asia gearbeitet hatte, aber auch regelmäßig zu Diskussionsrunden zum vietnamesischen Programm der BBC zugeschaltet worden war. Nhất wurde inzwischen durch ein vietnamesisches Gericht wegen seiner journalistischen Tätigkeit zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Eine BBC-Sprecherin bestätigt der taz die Verlegung der vietnamesischen Redaktion von London nach Bangkok, begründet diese aber nicht mit Spar-zwängen, sondern mit der Strategie des Senders, näher an sein Publikum zu rücken. „Seit einigen Jahren ist der vietnamesische Dienst der BBC zu gleichen Teilen auf Bangkok und London verteilt und produziert exzellenten und unparteiischen Journalismus“, sagt die Sprecherin der taz.
Da widerspricht der anonyme ehemalige Mitarbeiter: Seiner Darstellung nach wurden die redaktionellen Inhalte in London koordiniert und auch ganz überwiegend dort gefertigt. In Bangkok wurde neben einzelnen Beiträgen hauptsächlich das Webdesign gemacht und die am Vortag in London produzierten Beiträge pünktlich am fernöstlichen Morgen online gestellt.
Auch die Arbeit mit den Auslandskorrespondenten in aller Welt sei von London aus koordiniert worden. Mehrere Korrespondenten hätten ihre Arbeit inzwischen eingestellt oder sie würden noch überlegen, ob sie weiter arbeiten.
Bangkok ist erster Fluchtort
Bangkok ist für oppositionelle Journalistinnen und Blogger aus Vietnam in der Regel der erste Fluchtort. Doch auch dort leben sie nicht in Sicherheit. Sie müssen Abschiebung ebenso fürchten wie Auslieferung nach Vietnam, weil sie mit internationalem Haftbefehl gesucht werden. Und dann ist da auch die Angst vor einer Entführung durch den vietnamesischen Geheimdienst. Sie wollen deshalb weiterziehen in andere Länder.
Der im April entführte Blogger hatte über den UNHCR beantragt, als Flüchtender in die USA weiterziehen zu dürfen. Auch mehrere andere der taz bekannte JournalistInnen warten auf eine solche Erlaubnis. Sie wollen nach Kanada, Australien oder Deutschland. Darum sind sie in Bangkok zwar dankbar für Arbeitsangebote im Journalismus. Doch die seien nur Überganglösungen. Denn sie fürchten auch die damit verbundenen Gefahren.
Auf die Frage, wie die BBC die Sicherheit ihrer vietnamesischen JournalistInnen in Thailand gewährleisten will, antwortete die Pressesprecherin nur knapp: „Die Sicherheit unserer Journalisten hat für uns oberste Priorität.“ Konkrete Maßnahmen wollte sie nicht nennen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!