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148,7 Milliarden weniger

Bis 2027 müssen Bund, Länder und Kommunen mit deutlich niedrigeren Steuereinnahmen auskommen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) verschiebt die Haushaltsaufstellung für 2024 abermals

Von Hannes Koch und Anna Lehmann

Die Debatte übers Geld innerhalb der Ampelkoalition wird zunehmend kompliziert. Denn Finanzminister Christian Lindner (FDP) will den Beschluss der Regierung zum Bundeshaushalt 2024 abermals verschieben. „Der 21. Juni gilt nicht mehr“, sagte er der Agentur Reuters zufolge in der Nacht zum Donnerstag. Währenddessen bedeutet die neue Steuerschätzung eine zusätzliche Verschärfung der angespannten Finanzlage des Bunds.

Lindners Ansage ist bereits die zweite Vertagung. Bereits im vergangenen März hatte der Finanzminister den turnusgemäßen Beschluss über die Eckwerte für den Etat 2024 ausfallen lassen. Der Grund liegt in der großen Lücke zwischen Lindners Vorstellungen und den Ausgabewünschen der einzelnen Ministerien.

„Bis zum Sommer muss ein Haushaltsentwurf im Kabinett beschlossen und an das Parlament übergeben werden“, mahnte Grünen-Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler. „Wir erwarten vom Finanzminister einen im Kabinett einigungsfähigen Entwurf.“

Die Ampelregierung sei politisch nicht handlungsfähig, erklärte CDU-Haushaltspolitiker Mathias Middelberg. Wenn das Kabinett tatsächlich nicht am 21. Juni beschließt, bleibt bis zum Beginn der parlamentarischen Sommerpause in der zweiten Juliwoche nicht mehr viel Zeit. Das könnte die Haushaltsberatungen des Bundestags im Herbst erschweren.

Die am Donnerstag veröffentlichte neue Steuerschätzung ergab sinkende Einnahmen im Vergleich zu den Zahlen von November 2022. Im Verhältnis zu diesen muss der Bund im laufenden Jahr mit knapp 10 Mil­liar­den Euro weniger Steuererträgen auskommen, die insgesamt 360 Milliarden Euro betragen sollen. Durch ein Minus von 13 Milliarden Euro sollen die Einnahmen 2024 bei 377 Milliarden Euro liegen.

Bis 2027 werden vermutlich etwa 70 Milliarden Euro im Vergleich zu den Novemberzahlen fehlen. Ein Grund dafür ist der steuerliche Inflationsausgleich, den die Ampel aus SPD, Grünen und FDP 2022 beschloss. Auch Länder und Gemeinden verzeichnen in den kommenden Jahren Einbußen von Dutzenden Milliarden. Immerhin werden die gesamten Steuereinnahmen auf etwas niedrigerem Niveau weiter regelmäßig steigen – 2025 erstmals über 1 Billion Euro, also 1.000 Milliarden.

Der Fehlbetrag im Haushalt soll im kommenden Jahr 14 bis 20 Milliarden Euro betragen

Das zu erwartende Minus vergrößert die finanzpolitischen Probleme der Ampel. Nach den zum guten Teil kreditfinanzierten Bundeshaushalten der vergangenen Jahre will Lindner auch 2024 die Schuldenbremse einhalten. Nun erscheint fraglich, ob das gelingt. Auch ohne die schlechteren Zahlen existiert bereits ein deutliches Missverhältnis zwischen Lindners Planungen und denen der Ministerien. Der Fehlbetrag soll 14 bis 20 Milliarden Euro in 2024 betragen. „Diese Haushaltslücke muss erwirtschaftet werden durch Verzicht“, hatte der FDP-Politiker angekündigt.

Manche seiner Kabinettskolleginnen und -kollegen sehen das anders. So möchte Fami­lien­ministerin Lisa Paus (Grüne) etwa 12 Milliarden Euro für die vereinbarte Kindergrundsicherung einplanen. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) könnte einige Milliarden zusätzlich für die Bundeswehr gebrauchen. Und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will die hohen Stromkosten für Industrieunternehmen subventionieren.

Welche Geldquellen ließen sich anzapfen? Außer deutlich höheren Schulden, die Lindner ablehnt, gibt es die Variante des bereits beschlossenen schuldenfinanzierten Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Das befürwortet Habeck. Parallel arbeitet die SPD an einem Steuerkonzept. Ihre Parlamentarische Linke veröffentlichte gerade einige Vorschläge, unter anderem eine höhere Erbschaftsteuer für Reiche – auch dagegen hat die FDP schon Veto eingelegt.

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