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Grüner über EU-Schuldenreform„Wieder Austeritätspolitik“

Investitionen in Klima und Soziales statt Spardiktat in der Europäischen Union fordert Rasmus Andresen, Chef der deutschen Grünen im EU-Parlament.

Lernen von den USA? Die geben gerade hunderte Millionen für neue Stadtbäume aus, wie hier in Tacoma Foto: Lindsey Wasson/ap
Eric Bonse
Interview von Eric Bonse

taz: Herr Andresen, die Reallöhne sinken – da wirken die nötigen Investitionen in den Klimaschutz auf viele Menschen bedrohlich. Reicht es, wenn die Europäische Union im Zuge ihres Green Deals 87 Milliarden Euro in einen neuen Klimasozialfonds steckt?

Rasmus Andresen: Wir brauchen eine starke soziale Säule im Green Deal, dazu gehört auch der Klimasozialfonds. Doch 87 Milliarden sind für 27 EU-Staaten viel zu wenig, das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Im Interview: Rasmus Andresen

ist seit 2019 Abgeordneter im EU-Parlament und spricht dort für die deutsche Gruppe in der Fraktion Die Grüne/EFA. Zuvor saß der 37-Jährige zehn Jahre im Landtag Schleswig-Holstein.

Das Parlament hat diesem Deal aber schon zugestimmt. Wo wollen Sie denn nun noch Geld für Soziales holen?

Richtig, der erweiterte Emissionshandel und der Klimasozialfonds sind schon beschlossen. Aber man kann das nötige Geld auch aus dem EU-Budget holen. Im Sommer steht die Revision des mehrjährigen Finanzrahmens an. Diese Gelegenheit sollte die EU-Kommission nutzen, um hier nachzubessern.

Wie denn?

Schauen Sie sich die USA an. Im Inflation Reduction Act wird die Klimapolitik von vornherein auch als Sozial- und Arbeitsmarktpolitik konzipiert. Davon können wir in Europa viel lernen. Oder nehmen wir Deutschland. Die Heizdebatte zeigt, wie viel sozialen Sprengstoff die Energiewende birgt. Es geht deshalb darum, beides zusammenzudenken, die Energiewende und die soziale Frage. Einige Gewerkschaften machen dies auch schon, wie der gemeinsame Streik von Verdi und Fridays for Future zeigt.

In der EU geht die Reise in eine andere Richtung. Die EU-Kommission fordert in der geplanten Reform der Schuldenregeln wieder eher Budgetdisziplin.

Der Vorschlag der Kommission ist stark an Deutschland und den frugalen Ländern ausgerichtet. Er enthält wenige, schwache Aussagen zum Klima, die soziale Frage spielt gar keine Rolle. Das macht mir Sorgen – denn es kann dazu führen, dass wieder eine Austeritätspolitik kommt und die soziale Infrastruktur geschwächt wird. Ich hoffe, dass das nicht das letzte Wort bleibt.

Ausgerechnet fossile Energiekonzerne haben im vergangenen Jahr kräftig abkassiert. Die EU wollte mit einer Übergewinnsteuer gegensteuern – was ist daraus geworden?

Das war eine gute Initiative der EU-Kommission. Doch die Umsetzung dauert zu lange, die Mitgliedstaaten lassen sich viel Zeit bei der Ratifizierung. Außerdem gibt es zu viele Schlupflöcher. Wenn diese Steuer in Deutschland nur zwei bis drei Milliarden Euro bringt, dann ist das einfach zu wenig. Da ist kein Wumms dahinter.

Müsste das Europaparlament da nicht mehr Druck machen?

Ja, denn die Kommission ist sehr zurückhaltend. Sie hat sich zwar um die Energiepolitik gekümmert, als im letzten Jahr die Preise stiegen. Doch zur sozialen Frage, die damit verbunden ist, kommt sehr wenig. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist auf dem sozialen Auge blind, sie hört viel zu sehr auf die Mitgliedstaaten.

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8 Kommentare

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  • "Ursula von der Leyen ist auf dem sozialen Auge blind, sie hört viel zu sehr auf die Mitgliedstaaten."

    Das gilt aber auch für die grüne Fraktion im EP und ihren nationalen Mitgliedern. Man schaue nur auf die österreichischen Grünen,

    Mehr Stimmen wie Rasmus Andresen sind nötig.

  • "Schauen Sie sich die USA an" Die wissen noch gar nicht, ob sie im Juni ihre Rechnungen bezahlen können.



    Btw frugal, austerität ?

  • Das EU-Budget ist doch jetzt schon überzeichnet. Wenn er dieses belasten möchte, dann müsste er auch sagen, wo aus seiner Sicht Einsparungen vorgenommen werden sollen.

    Und wenn Deutschland eine Steuer einführt, dann steht Deutschland auch die Einnahmen daraus zu - zumal die rückwirkende Einführung einer Steuer nicht möglich ist.

    Irgendwie verrennen sich die Gremien in der EU in dieser Legislaturperiode.

  • Frau v.d. Leyen sitzt auf einem Verwaltungsposten, sie wurde von Regierungen Frankreichs und Deutschland eingesetzt. Und dies in Übereinstimmung mit der Nutzung der EU als Instrument zur Umsetzung aus dem Rat der Minister und Regierungschefs zum Nutzen von Banken und Industrie und zum Machterhalt.

    Es gibt kein Geld zum Verteilen, der große Teil des Geldes fließt in den Agrarhaushalt, wird zum Erhalt der politischen Macht gebraucht. Da sagt kein Empfängerstaat, bitte weniger.

    Und eine neue Verschuldung, die von den Nettozahlerländern getragen werden müsste, ist im Angesicht der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage nicht akzeptabel.

    Selbst Deutschland hat nicht das Geld, um die Folgen von Rohstoff- und Energiekrise für Privathaushalte und Industrie wegzusubventionieren. Die sogenannte Energiewende wird keine positiven ökonomischen Folgen haben, deutsche Produkte und Dienstleistungen werden teurer sein als die der Konkurrenz und das auf Dauer.

    Das hat auch Auswirkungen auf die Verschuldung. Wir sehen schon jetzt, was die Verschiebung von Haushaltsmitteln bedeutet, weniger Geld für Gesundheit, Bildung und Soziales.



    Der Grüne Kretschmann, im reichen Ba-Wü, sagt, die Situation in den Schulen wird in 10 Jahren besser.



    Der Grüne Traum will bezahlt werden, er wird bezahlt werden von den "üblichen Verdächtigen", denen am Rande der Gesellschaft.

  • "... wieder eher Budgetdisziplin."



    Und das ist auch gut so. Mensch und Staat kann in einem bestimmten Zeitraum nicht mehr ausgeben (in Wert [1]), als er im gleichen Zeitraum erwirtschaftet. Versucht er es dennoch, so gibt es über kurz oder lang entweder Schuldenkrise oder Inflation. Meistens beides.



    [1] Bitte "Preis" und "Wert" nicht durcheinanderwerfen. Dass das was Verschiedenes ist wird schon durch die Existenz des Audrucks "preiswert" belegt.

    • @sollndas:

      Das ist wirtschaftlich dann doch etwas komplizierter, als sie es schreiben. Die Einnahmen und das was erwirtschaftet wird sind nicht unbedingt dasselbe. Wir habeneine bestimmte Wirtschaftsleistung, ob diese nun verstärkt beispielsweise für Infrastrukturmaßnahmen aufgebracht wird oder eher für private Zwecke kann durch Geldpolitik zu einem gewissem Grad politisch gesteuert werden. Die Spielräume hierzu sind nicht riesig, da sonst das ganze außer Kontrolle gerät, aber ein paar 100 Milliarden sind da schon mal drin. Geldschöpfung und Wertschöpfung sind ja nunmal leider nicht dasselbe, da dass eh der Fall ist kann man diesen Umstand wenigstens für sinnvolle Dinge nutzen.

      • @wirklich?:

        Grundsätzlich scheinen wir uns nicht ganz uneinig zu sein. Selbstverständlich ist das real etwas komplizierter, und ebenso selbstverständlich ist über Geldpolitik eine gewisse Wirtschaftssteuerung möglich. Dabei geht es aber letztendlich immer um eine Umverteilung von Werten. Eine Umverteilung über Steuern wäre (a) transparenter und ehrlicher und (b) besser steuerbar, damit es weniger die falschen trifft.

        • @sollndas:

          Da haben sie völlig recht, allein mir fehlt der Glaube für die politischen Mehrheiten für eine gerechtere Besteuerung. Ich bin mir noch nicht mal sicher, dass es nur an den politischen Mehrheiten liegt.