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In der NotaufnahmeBegib dich nicht direkt dorthin

Doris Akrap
Kommentar von Doris Akrap

Wenn es im Bauch ziept, schickt einen der Arzt in die Notaufnahme. Der Chef der Kassenärzte will, dass diese Besuche was kosten. Über ein System, das selbst ein Fall für die Notaufnahme ist.

Hierhin bitte, oder lieber nicht Foto: zoonar/imago

N eulich ging ich nach einer ­ziemlich harten Nacht mit erhöhter Magen-Darm-Aktivität und ­Schweißausbrüchen zum Arzt. Der hörte Lunge und Herz ab und drückte kurz auf den Bauchnabel. Ich sagte, dass das ein bisschen ziepe.

„So können wir Sie natürlich nicht rumlaufen lassen“, grinste er. „Das muss ein Chirurg klären. Ich schreib Ihnen jetzt eine Überweisung in die Notaufnahme. Da gehen Sie jetzt einfach direkt von hier aus hin.“

Meine Neurotransmitter schickten ihre Botenstoffe zum Lambadakurs, und ich konnte nur noch nicken. „Sie können da mit der U-Bahn hinfahren, aber auch mit dem Auto, die haben da viele Parkplätze. Und dann gehen Sie aber nicht zum Haupteingang, sondern folgen einfach immer den Schildern ‚Notaufnahme‘“, plapperte der Arzt weiter.

Einerseits wünschte ich, er hätte mehr Aussagen zu meinem körperlichen Zustand gemacht, als Auskünfte über Parkplatzmöglichkeiten und Beschilderung der Notaufnahme zu geben. Andererseits fragte ich mich, ob ich vielleicht schon geistig umnachtet war und es nur nicht merkte und der Arzt deswegen die banalen Dinge so ausführlich darlegte. Immerhin hielt er es für akut möglich, dass ich den Tag nicht überleben würde, sonst würde er mich ja nicht in die Notaufnahme schicken. „Wenn sie Sie gleich dort behalten, kriegen Sie die Krankschreibung von denen. Sonst kommen Sie einfach noch mal zu mir und dann kriegen Sie die von mir“, informierte er mich der Arzt weiter.

Null

Ich stehe womöglich kurz vor dem Exitus, aber gut, dass ich jetzt noch erfahre, wo ich im Fall meines Überlebens die Krankschreibung herkriege.

In der Notaufnahme angekommen, antworte ich auf die Frage, wie schwer meine Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10 sind: „Null.“ „Was machen Sie dann hier?“, fragt die Schwester. „Der Arzt hat auf meinen Bauch gedrückt und da hat es geziept“, sage ich.

Während ich dann im Wartebereich warte, höre ich Funksprüche über einen Verkehrsunfall mit Schwerverletzten, wird ein alter Mann mit blutendem Kopf auf einer Bahre reingefahren, kommt ein bleicher Mann vorbei, den Arm und den halben Kopf in Mullbinden gehüllt.

Während mir von Minute zu Minute peinlicher wird, dass ich hier bin, höre ich, wie die Aufnahmeschwester mit einem Angestellten spricht: „Die Frau da hinten schiebst du dann nach hinten. Bei der ziept’s.“ Ich denke kurz, dass ich aufstehen und gehen sollte. „So weit sind wir schon. Die Ärzte schicken die Leute jetzt einfach in die Notaufnahme, statt sie zu untersuchen“, höre ich sie sagen. Also genau das, was ich irgendwie auch die ganze Zeit dachte.

„Können Sie die Jacke noch alleine ausziehen?“, fragt mich eine Notaufnahme-Krankenschwester, die meinen Blutdruck messen will. Ich könnte sogar noch Lambada tanzen, denke ich. Die ganze Sache wird mir immer peinlicher.

In den nächsten zwei Stunden werde ich von Azubis, Studentinnen im Praktischen Jahr und Bauch-Chirurgen extrem freundlich und ausführlich begutachtet, abgetastet und am Ende darüber informiert, dass keinerlei akute Gefahr bestehe. Das einzige Gerät, was neben dem Blutdruckgerät übrigens zum Einsatz kam, war ein Ultraschall.

Auf meine Frage, ob der niedergelassene Arzt nicht auch hätte feststellen können, dass ich den Tag auf jeden Fall überleben würde, wird nur gelacht.

Remember Praxisgebühr?

Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen, plädiert dafür, eine Gebühr für Pa­ti­en­t*in­nen einzuführen, die künftig ohne vorherige telefonische Ersteinschätzung in eine Notaufnahme kommen. Wer noch in der Lage sei, selbst in eine Notaufnahme zu gehen, sei oft kein echter medizinischer Notfall. Lauterbach erteilte dem Vorstoß für eine Gebühr am Nachmittag allerdings bereits eine Absage.

So richtig das sein mag, aber die Frage ist: Warum? Na ja, haben Sie mal mit einem halbwegs akuten Problem versucht, einen Termin bei Haus- oder Fach­ärz­t*in­nen zu bekommen, der nicht erst in sechs Monaten ist?

Nicht die Pa­ti­en­t*in­nen sind das Problem, sondern das System. Für immer weniger Ärz­t*in­nen lohnt es sich, Kas­sen­pa­ti­en­t*in­nen anzunehmen. Dass Ärz­t*in­nen lieber eine schnelle Notfallüberweisung schreiben, statt eine ordentliche Untersuchung zu machen, ist eine der Konsequenzen. Das deutsche Gesundheitssystem ist längst ein Fall für die Notaufnahme.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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8 Kommentare

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  • Bestimmte Krankheiten muss man zeitnah untersuchen lassen, auch wenn man keine Schmerzen hat (Krebs Wucherungen, Sehfeldausfälle, drohender Magengeschwürdurchbruch etc.).



    Facharzttermine erhält man als Kassenpatient dann in der Regel erst nach Monaten. Wenn man solange nicht warten kann, hilft auch die Notaufnahme in der Regel wenig, da ich mitbekommen habe, dass sie einen Mann mit starken Schwellungen am Hals nicht behandeln wollten, kurze Zeit später ist er an Wasser im Bauchraum fast gestorben, Schmerzen hatte er keine, er hatte Krebs.



    Solange Facharzttermine nicht zeitnah verfügbar sind, ist es doch logisch, dass Leute sich im Zweifelsfall gezwungen sehen, in die Notaufnahme zu gehen. Der Fehler liegt im System.

  • Meine Hausarztgemeinschaftspraxis schafft es fast immer, einen Termin innerhalb von zwei Tagen möglich zu machen. Aber halt nur fast.Fällt eine Ärztin aus, wird es schwierig, fallen zwei aus...



    Und während man im Wartezimmer wartet, bekommt man regelmäßig mit, wie Neuaufnahmen abgelehnte werden.



    Das Problem: der ärztliche Nachwuchs hat keine Lust mehr, sich den A***** abzuarbeiten und im Verwaltungsdschungel abzusaufen. Also geht er ins Ausland, wo die Bedingungen besser sind.



    Die Folge: Praxen machen zu, wenn das Rentenalter erreicht ist. Und zwar schon lange nicht mehr nur auf dem Land.

  • Tja, das sind eben die Folgen davon, dass das Gesundheitswesen erfolgreich in eine Gesundheitsökonomie umgebaut wurde. Wäre man doch nur Privatpatientin.

    Aber davon abgesehen - wer dreimal beim Hausarzt keine Hilfe bekam, geht hinfort direkt in die Notaufnahme. Was dazu führt, dass in den Notaufnahmen teilweise Leute sind, die da nicht hingehören - weil niedergelassene Ärzte ihren Job nicht machen oder halt nicht erreichbar sind, denn gesundheitliche Probleme stellen sich gemeinerweise gerne nicht zu Sprechstundenzeiten ein.

    Absolut nicht hilfreich sind die aktuellen Bestrebungen der Regierung, Kliniken noch mehr zu konzentrieren, Lauterbach (als Lobbyist der Gesundheitsökonomie) ist da schon sehr lange dran. Denn wenn in einer solchen Situation das nächste MVZ 40 km weg ist, wirds spannend.

    Es ist eine Sache der Prioritäten: Geht es darum, eine vernünftige medizinische Versorgung flächendeckend sicherzustellen oder darum, den Gesundheitssektor möglichst profitabel zu gestalten? ME ist das ein Zielkonflikt, das eine schließt das andere aus, und die Prioritäten zeigen seit langem klar in Richtung profitabel. Sind halt nur nicht Patienten-Prioritäten, zu dumm.

  • Die Autorin bringt eine Anekdote und fragt rhetorisch: "Na ja, haben Sie mal mit einem halbwegs akuten Problem versucht, einen Termin bei Haus- oder Fach­ärz­t*in­nen zu bekommen, der nicht erst in sechs Monaten ist?" Meine nicht rhetorische Antwort als lebenslanger Kassenpatient: Ja, habe ich, und zwar bei allen Haus-, Fach- und Zahnärzten, wenn es akut war - auch ohne jegliche Schmerzen. Ärzte, die ihre Patienten so schnell wie möglich woandershin abschieben, wird es in jedem System geben. Ob das hier tatsächlich so war, dürfte davon abhängen, ob der Arzt der Autorin ein einsatzbereites Ultraschallgerät in der Praxis hatte, was der Artikel uns aber nicht verrät.

    Und was daran verkehrt sein soll, wenn ein Arzt seiner Patientin erklärt, mit welchen Verkehrsmitteln sie zum Krankenhaus und wie sie dort in die Notaufnahme gelangen kann, erschließt sich auch nicht. Auf einem unübersichtlichen Krankenhausgelände finden sich viele Kranke nicht zurecht.

    Aber in einem Punkt hat die Autorin uneingeschränkt recht: Die Äußerungen von Gassen sind völlig daneben. Es gibt unzählige Patienten mit Erkrankungen, die schwerwiegend und akut behandlungsbedürftig sind, aber die Mobilität nicht nennenswert einschränken. Dass jemand selbständig in die Notaufnahme kommen kann, besagt für die Frage, ob er ins Krankenhaus gehört oder nicht, überhaupt nichts.

    Für diejenigen, die wirklich akut behandlungsbedürftig sind, ist ein niedrigschwelliger Zugang zur Notaufnahme viel wert. Barrieren aller Art sind da fehl am Platz. Und wer das System missbraucht und mit einer Bagatellerkrankung oder einer nicht akut behandlungsbedürftigen Krankheit in die Notaufnahme kommt, muss eben schnell wieder weggeschickt werden.

  • Und Herr Gassen will das mit einer Gebühr lösen.

    Reiche unter sich.

  • Ja, guter Kommentar.



    Auffallend ist aber das in der Politik immer nur irgendwelche Veränderungen für Krankenhäuser überlegt und manchmal auch umgesetzt werden (aktuell: die Krankenhausreform). Die KassenärztInnen, die mit Abstand der größte Akteur mit klar primär monetären Motiven im deutschen Gesundheitssystem sind, aber da gar nicht vorkommen.



    Erst das Ende eines privatwirtschaftlichen niedergelassenen Ärztesystems kann der Anfang einer sinnvollen Reform des Gesundheitswesens sein.

  • Wow. Das ist hart. Und grenzt daran Menschenleben wirklicher Notfälle zu riskieren.



    Da würde ich aber schnell den Arzt wechseln.



    Ich finde in solch einem solchen Fall sollte der/die Ärzt/in eine Strafgebühr bezahlen und die nicht durchgeführte Untersuchung ebensowenig in Rechnung stellen dürfen.

  • Wie wäre der Kommentar ausgefallen, wenn der Hausarzt sie nicht ins Krankenhaus geschickt hätte und sie am nächsten Tag einen Blinddarmdurchbruch gehabt hätte?