: In allen Bereichen Bankrott
Am 14. Mai wird in der Türkei gewählt. Erdoğan könnte diese Schicksalswahl verlieren. Anlässlich von Veranstaltungen der taz Panter Stiftung gibt die Journalistin Banu Güven Einblick in die politische Situation in der Türkei
VonBanu Güven
Die ganze Türkei wartet mit angehaltenem Atem auf die kommenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Denn die Wahlen am 14. Mai werden das Schicksal der 100 Jahre alten Republik bestimmen. Die Frage lautet: Wird das Wahlergebnis das Land vor dem Abgrund bewahren oder es in die Tiefe stürzen? Die Umfragen und die Stimmung deuten auf die erste Option.
Recep Tayyip Erdoğans Hauptgegner, der Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei (CHP), Kemal Kılıçdaroğlu, betritt die Wahlkampfarena als gemeinsamer Kandidat eines Sechserbündnisses. Das zweitgrößte Bündnis, in dem sich linke Parteien befinden, verzichtete auf einen eigenen Kandidaten und bot dadurch Kılıçdaroğlu indirekte Unterstützung an. Laut den letzten Umfragen soll Kılıçdaroğlu seinen Gegner in der ersten Runde mit Abstand besiegen.
Erdoğans System ist in allen Bereichen bankrottgegangen. Bis zum 6. Februar dachten alle, der Absturz der Türkischen Lira wäre das Allerschlimmste. Sie ärgerten sich über Erdoğans eigensinnige, dogmatische Finanzpolitik und die Rekordinflation. Dann erschütterten zwei schwere Erdbeben das Land. Unter den Trümmern eingestürzter Häuser kamen Menschen nach tagelangem Ausharren ums Leben, weil niemand rechtzeitig zu Hilfe kam.
Die Unfähigkeit der Erdoğan unterstellten Behörden, insbesondere des Katastrophenschutzes, brachte das Fass auch für Erdoğan-Anhänger zum Überlaufen. Statt auf Kompetenz beruht sein System auf Loyalität und Korruption.
Die Stiftung wurde 2008 gegründet, um die Erfahrungen von unabhängigem Journalismus weiterzugeben. Mehr als 5.000 Spender:innen haben inzwischen 151 journalistische Projekte finanziert.
Erdoğan versucht jetzt alles Mögliche, um mehr Stimmen zu bekommen. Neben der nationalistischen MHP verbündete er sich unlängst mit zwei islamisch-konservativen Parteien. Diese Parteien waren die treibenden Kräfte hinter dem Ausstieg der Regierung aus der Istanbul-Konvention zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Sie fordern jetzt auch die Abschaffung des nationalen Gesetzes gegen häusliche Gewalt, was sogar Aufsehen innerhalb Erdoğans AKP erregte.
Erdoğans wichtigstes Propagandamittel im Wahlkampf sind die Medien. Die Rundfunkaufsichtsbehörde RTÜK verhängt ständig Geldstrafen und Sendeverbote für oppositionelle Sender. Mal wegen kritischer Berichterstattung aus dem Erdbebengebiet, mal wegen der Vorstellung des neuen Buchs des inhaftierten kurdischen Politikers Selahattin Demirtaş. Bei mehreren Strafen droht diesen Sendern ein permanentes Sendeverbot.
taz.gazete
Die taz Panter Stiftung hat jahrelang unabhängige Medien in der Türkei unterstützt und von 2017 bis 2020 das Projekt taz.gazete umgesetzt. Auf gazete.taz.de haben mehr als 50 Autor:innen aus der Türkei rund 700 Hintergrundberichte, Reportagen und Interviews veröffentlicht – auf Türkisch und auf Deutsch.
Wahlen 2023
Zu den im Mai anstehenden Präsidentschaftswahlen in der Türkei knüpft die Panter Stiftung daran an: Beim taz lab, dem jährlichen taz-Kongress, am 22. April gibt es ab 18.30 Uhr zwei Debatten mit ehemaligen Kolleg:innen von taz.gazete und Expert:innen über die Türkei (taz.de/lab).
Es folgt eine taz Beilage zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai mit einem Türkei-Schwerpunkt.
Und schließlich laden wir Ende Mai in der taz-Kantine zu einem Abend anlässlich des 10. Jahrestages der Gezi-Proteste ein.
Soziale Medien stellen für Erdoğan auch ein Risiko dar. Durch das Desinformationsgesetz versucht er dieses Risiko abzuschaffen. Wenn in sozialen Medien Nachrichten auftauchen, die Erdoğan nicht gefallen, wird das Internet so lange gedrosselt, bis der Inhalt von dem Dienstleister entfernt wird. Das könnte auch am Wahlabend geschehen, falls über angeblichen Wahlbetrug berichtet werden sollte.
Bitte unterstützen Sie die aktuellen Türkei-Aktivitäten der Panter Stiftung mit einer Spende unter taz.de/spenden oder über unser Konto:
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Trotz seiner Bemühungen wird Erdoğan die Präsidentschaftswahl höchstwahrscheinlich verlieren. Seine Hoffnung ist aber, im Parlament genug Sitze zu bekommen, damit der Opposition die Mehrheit dafür fehlt, die Verfassung in Richtung eines verbesserten parlamentarischen Systems zu ändern.
Banu Güvenist eine preisgekrönte türkische Journalistin und TV-Moderatorin. Aufgrund der Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei arbeitet sie seit 2019 von Deutschland aus.
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