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Afghanistan unter den TalibanTrübes neues Schuljahr

Die Taliban halten an Bildungsverboten für Mädchen und Frauen im neuen Schulfahr fest. Selbst das lokale Neujahrfest durfte nicht gefeiert werden.

Ein Klassenzimmer, in dem früher Unterricht für Mädchen stattgefunden hat in Kabul, Afghanistan Foto: Ebrahim Noroozi/ap

Berlin taz | In Afghanistan hat das neue Schuljahr am Dienstag begonnen, ohne dass die Taliban ihre Verbote für Frauen und Mädchen zurücknahmen oder auch nur abmilderten. Hoffnungen, dass sie dies genauso überraschend tun könnten, wie sie ein Jahr zuvor Mädchen von weiterführenden Schulen ausschlossen, bewahrheiteten sich damit nicht.

Es öffneten jetzt nur die Jungenschulen, die Mädchenschulen bis einschließlich der Klasse 6 sowie die Universitäten ausschließlich für männliche Studierende.

Entgegen früheren Gepflogenheiten teilte das Bildungsministerium nicht einmal rechtzeitig öffentlich mit, wann genau das Schuljahr beginnen würde. Die Taliban legten den Beginn auf den persischen Neujahrstag Nouruz. Den hatten sie voriges Jahr als arbeitsfreien Feiertag abgeschafft, da sie das Fest für „unislamisch“ halten.

Dadurch waren jetzt zwar die Lehrer in den Schulen, die intern über die Schulleiter benachrichtigt worden waren, aber keine Schüler:innen. Augenzeugen berichteten der taz, dass auch nur wenige Studierende die Kabuler Universität betraten.

Die bisherigen Ausnahmen gibt es nicht mehr

In Kundus, wo letztes Jahr trotz Verbots wie in anderen Nordprovinzen auch noch einige Sekundarschulen für Mädchen offen waren, seien diese jetzt ebenfalls geschlossen.

In Kandahar forderten Mädchen höherer Klassen wieder Zugang zu Bildung, berichtete eine unabhängige afghanische Nachrichtenseite. Eine Schülerin sagte, sie würden dafür die Verschleierung akzeptieren. „Wir gehen nach Pakistan oder Iran, wenn uns nicht erlaubt wird, zur Schule zu gehen“, sagte eine andere.

Die Taliban begründen ihre Verbote damit, dass gemeinsames Lernen von Jungen und Mädchen zu „unmoralischem Benehmen“ führe, das sie unterbinden wollen. Sie beharren aber darauf, dass es sich nur um zeitweilige Maßnahmen handele.

Hochschulminister Neda Mohammed Nadim verwies darauf, dass die Gehälter der Dozentinnen ebenso weitergezahlt würden wie für Lehrerinnen. Für beide gilt ein „zeitweiliges“ Arbeitsverbot.

Mädchenbildung künftig nur an separaten Schulen

Im Januar hatten die Taliban eine interministerielle Kommission zur Mädchenbildung berufen, um das Problem in einem festgelegten, aber nicht bekannt gegebenem Zeitrahmen zu lösen. Sie soll auch neue islamischere Studienpläne erarbeiten.

Vizebildungsminister Maulawi Sajed Ahmad Schahid­chel sagte am Dienstag, man wolle „allen Menschen des Landes eine faire, ausgewogene und qualitativ gute Bildung“ vermitteln. An Mädchenschulen müsse es aber erst „eine sichere Bildungsumgebung“ geben. „Alle Prinzipien der Scharia“ sollen dort beachtet werden und das gesamte Personal weiblich sein.

Davon ist das Land weit entfernt. Zwar verfügt das Bildungsministerium mit umgerechnet 400 Millionen US-Dollar über das drittgrößte Budget aller Ressorts. Aber 95 Prozent davon gehen in laufende Kosten wie Gehälter. Für gesonderte Schulgebäude für Mädchen reicht der Etat bei weitem nicht. Ohnehin verfügt nur die Hälfte der bestehenden Schulen über ein Gebäude.

Die Taliban untersagten im nördlichen Masar-i-Scharif auch die traditionelle Hissung der Dschanda, der Neujahrsflagge, die sonst Hunderttausende anzog, sowie eine ähnliche Zeremonie im schiitischen Teil Kabuls. An beliebten Picknickplätzen ließen Patrouillen der Taliban-Sittenpolizei keine Familien zu.

Auch Karusellverbot für Frauen

Auf Nouruz-Jahrmärkten durften ältere Mädchen und Frauen nicht Karussell fahren. Oppositionell gesinnte Afghanen veranstalteten auf dem Kabuler Schuhada-je-Salehin-Friedhof eine alternative Flaggenhissung. Dort wagten die Taliban nicht einzugreifen.

Zum Frauentag am 8. März hatte die UNO Afghanistan als repressivstes Land für Frauen ein gestuft. Der „Weltglücksbericht“ nennt es jetzt das „unglücklichste Land der Erde“.

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