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Rentenreform in FrankreichSture Staatsführung

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Während Frankreichs Präsident Macron nach Peking fliegt, muss sich die daheimgebliebene Regierungschefin den Gewerkschaften stellen – ohne Handlungsspielraum.

Frankreichs Premierministerin Elisabeth Borne spricht am Mittwoch mit Pres­se­ver­tre­te­r:in­nen Foto: Bertrand Guay/dpa

D er französische Präsident lässt seine Regierungschefin den Ärger ausbaden, den er selbst angerichtet hat. Die Lage der Premierministerin scheint mittlerweile ausweglos. Elisabeth Borne hat auf Druck der Öffentlichkeit Gewerkschaftsvertreter empfangen. Da aber Präsident Emmanuel Macron auch nur die kleinsten Zugeständnisse im Streit über die Rentenreform ausschließt, waren die Beratungen im Voraus zum Scheitern verurteilt.

Und selbst für diesen misslungenen Dialogversuch will Macron seinen Kopf nicht hinhalten, sondern zieht es vor, sich auf diplomatische Reise in die Volksrepublik China zu begeben. Ob er dort von seinem Gastgeber Xi Jinping in Sachen Unterdrückung der Opposition der Bevölkerung noch etwas dazulernt? Seine Staatsführung ist aktuell jedenfalls keine andere als repressive Ordnungspolitik gegen die breite Ablehnung seiner Reform. Er allein trägt die Verantwortung, wenn der Konflikt sich nun weiter verschärft.

Selten sah man in Frankreich eine Staatsführung, die sich mit solcher Sturheit von der Bevölkerung distanziert und auf derart arrogante Weise über einen legitimen Widerstand hinwegzusetzen versucht. Mit dieser Haltung schürt sie die Wut. Die Gewerkschaftsführungen könnten die Kontrolle verlieren. Der Konflikt droht zu einer Staatskrise zu eskalieren. Eine Diskussion ist schon jetzt kaum noch möglich. Beide Parteien setzen auf die bedingungslose Kapitulation der gegnerischen Seite.

Macron und seiner Regierung ist es seit Jahresbeginn zu keinem Zeitpunkt gelungen, glaubhaft zu erklären, warum diese Reform in der aktuellen Form wirklich unverzichtbar sei. Die offiziellen Argumente einer finanziellen Dringlichkeit zur Sicherung des Systems auf mittlere Frist wurden hinlänglich widerlegt, die Versprechen, entstehende Ungerechtigkeiten durch kompensierende Maßnahmen abzufedern, als Lügen demontiert. So bleibt nur ein Grund, an dieser Reform festzuhalten: die Autorität von Staatschef Macron.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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3 Kommentare

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  • Ernsthaft ?

  • Mit Interesse lese ich die Worte "... auf derart arrogante Weise über einen legitimen Widerstand hinwegzusetzen versucht ..." . Legitim im Sinne von gegen die Gesetztesänderung, gegen den Stil ebendieser, klar das ist demokratisches Recht und somit sind die Proteste legitim. Die mit den Streiks gezielt herbeigeführten Nötigungen, naja, legal teilweise in Frankreich (alle Aktionen ja wohl nicht). Aber darüber hinwegsetzen? Worüber? Das ein, de jure und auch prozedural, gültiges Gesetz von der gewählten Regierung nicht an " das Gemaule " (Polemik, ich weiß) von der Straße angepasst wird? Es gibt in diesen Positionen ja keine sichtbare Kompromisslinien. Soll Macron nun erschreckt zurückgehen und sagen "Huch, das habe ich nicht gewollt"? Er hat lang genug drüber gesprochen, sooo überraschend kam es also nicht. Er hat, aus taktischen Gründen, gewartet bis er sich um eine Wiederwahl nicht mehr kümmern muss. Man muss es nicht mögen, aber sollten die Finanzen Frankreichs eine Verrentung nach dem Abitur tatsächlich nicht erlauben, dann hat er alles richtig gemacht.

  • Macron muss das jetzt einfach durchziehen.

    Bis jetzt habe ich noch kein Nachhaltiges Konzept gesehen, dass bei steigender Lebenserwartung ohne steigendes Renteneintrittsalter funktioniert.

    Beitragszahlerbasis erhöhen, mehr Steuergelder usw. ist nur ein Aufschieben. Mehr nicht…

    Am Ende ist es einfach nur Mathematik, auch wenn es mir auch nicht gefällt…