KI in Wissenschaft und Journalismus: Mensch und Maschine
Die Angst, die Maschine könne den Mensch ersetzen, ist so alt wie die Maschine. Bewahrheitet hat sie sich nie, und das wird sie auch bei der KI nicht.
S tellen Sie sich Folgendes vor: Eine künstliche textgenerierende Intelligenz – nennen wir sie Skynet – bringt die Menschheit im Jahre 2050 dazu, sich selbst auszurotten. Nun wurde sie aber von den Menschen darauf programmiert, sich weiterzuentwickeln, also zu lernen. Die hinter der KI stehende Logik ist dabei kein Hexenwerk, denn letztlich reagiert sie auf einen gegebenen Input mit einer Aussage, die sich anhand ihrer Trainingsdaten als die wahrscheinlichste ableiten lässt.
Jetzt ist die KI so leistungsstark, dass alle von ihr generierten Outputs automatisch in den Trainingsdatensatz einfließen. Dadurch entsteht dann folgender Zirkel: Aus den vielfältigen theoretischen Antwortmöglichkeiten wählt sie die wahrscheinlichste aus. Diese wahrscheinlichste Antwort fließt dann wieder in den Trainingsdatensatz ein und erhöht dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass diese Antwort bei der nächsten Anfrage wieder ausgespuckt wird, da diese Wortreihenfolge im Trainingsdatensatz nun noch häufiger vorkommt, damit also wahrscheinlicher wird.
Das bedeutet, dass mit jeder Trainingsrunde die unwahrscheinlichen Möglichkeiten unwahrscheinlicher werden und die wahrscheinlichen wahrscheinlicher. Dieser Prozess führt aufgrund der Hebb’schen Lernregel neuronaler Netze notwendigerweise – metaphorisch gesprochen – zum Big Freeze der Textgenerierung, dem absoluten Stillstand, weil alle zunächst gegebenen Möglichkeiten auf eine einzige reduziert werden.
Wenn textgenerierende KIs also anfangen, sich selbst zu trainieren, dann landen am Ende Input, Output und Trainingsdaten alle bei 42, die Antwort auf die – um es mit Douglas Adams Worten zu sagen – „endgültige Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“. Was aus diesem Gedankenexperiment folgt, soll im Folgenden exemplarisch für Wissenschaft und Journalismus skizziert werden. Generative KIs sind bei der Weiterentwicklung notwendigerweise angewiesen auf menschlichen Input.
arbeitet in der Abteilung für Allgemeine Pädagogik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und ist Gründungsmitglied des Virtuellen Kompetenzzentrums Schreiben lehren und lernen mit Künstlicher Intelligenz.
Orientierung einzig an Wahrscheinlichkeiten
Sie reproduzieren stets das Wahrscheinlichste, erhalten damit zwingend den Mainstream und können so nicht grundlegend innovativ sein. Eine KI, die ausschließlich mit Daten trainiert wurde, die sagen, dass die Welt eine Scheibe ist, kommt von sich aus nicht auf die Idee, dass sie vielleicht doch eine Kugel sein könnte. Noch weniger macht sie sich mit einem Schiff auf den Weg, um das zu beweisen, denn Wahrheit ist für sie nur eine Zeichenreihenfolge und kein orientierungsstiftendes Konzept.
Die KI orientiert sich ausschließlich an Wahrscheinlichkeiten. Für die Wissenschaft heißt das, dass viele Dinge von KIs übernommen werden können, die in der Auseinandersetzung mit dem Bestehenden liegen: recherchieren, zusammenfassen, sortieren, gewichten sowie mitunter das Verfassen von Standardlehrbüchern oder Rezensionen. Dem Menschen schafft sie dadurch Zeit und Raum, sich auf das Innovative, das im gegenwärtigen Paradigma Unwahrscheinliche, dem Denken in alternativen Möglichkeiten zu konzentrieren.
Das ist das Wesen des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts, die Suche nach dem einen schwarzen Schwan. Ähnliches gilt für den Journalismus. Niemand muss sich noch mit undankbaren Aufgaben aufhalten, Meldungen großer Nachrichtenagenturen umzuschreiben. Stattdessen wird Raum geschaffen für investigativen und oder lokalen Qualitätsjournalismus, der sich genau darin widerspiegelt, dass er nicht das Übliche reproduziert, sondern das Unbekannte aufdeckt oder über das Einzelne, das lokal Besondere berichtet, was der KI egal ist.
KI richtig eingesetzt hat also das Potenzial, uns von einigen leidigen Dingen des Alltags zu befreien oder zumindest die dafür aufzuwendende Zeit zu verkürzen und uns damit den Raum zu geben, den viele aus ihrem eigenen Berufsverständnis heraus in der Vergangenheit schmerzlich vermisst haben. Richtig eingesetzt können KIs uns sowohl für innovative und kreative Schaffensprozesse als auch für Reflexionsprozesse Zeit verschaffen, was zweifelsfrei beiden oben genannten Beispielen zugutekäme.
Überholte Anschauungen überwinden
Ein derartiger Einsatz von KIs kann aber nur dann gelingen, wenn wir anfangen, die jahrhundertelang etablierte dystopisch-dichotome Logik von Mensch gegen Maschine zu überwinden hin zu einer komplementären Logik, deren Fruchtbarkeit genau in der Interaktion von Mensch mit Maschine besteht. Natürlich gehen mit solcherlei Innovation auch eine Vielzahl von Risiken und Herausforderungen einher, die gegenwärtig allerorts zu Recht diskutiert werden und für die man keineswegs blind sein darf.
Dennoch ist es an der Zeit, die spätestens seit der Industrialisierung mit jeder großen Innovationswelle verbundene Angst abzulegen, dass Maschinen Menschen ersetzen könnten, denn in der Geschichte hat sich diese Angst bisher nie bewahrheitet und – wie oben ausgeführt – bleiben auch Maschinen mit künstlicher Intelligenz weiterhin auf Menschen angewiesen, wenn sie nicht ihr eigenes Ende herbeiführen wollen.
Es werden sich durch die Etablierung generativer KIs viele Dinge, auch Berufsbilder und -felder mit ihren jeweiligen Praktiken ändern, aber das ist das Wesen menschlicher Kulturgenese. Am Ende bleiben auch KIs Werkzeuge und wir entscheiden darüber, wie wir sie einsetzen. Und genau das ist der Diskurs, der jetzt geführt werden muss, über das Wie, nicht über das Ob. Ein Verschließen der Augen vor oder ein striktes Ablehnen dieser Technologien verhindern jedoch genau diesen Diskurs.
Damit nehmen wir uns selbst die darin liegenden Möglichkeiten und fördern vielmehr Missbrauch durch den unsachgemäßen Einsatz von KIs. Mit einer offen optimistischen und keineswegs unkritischen Haltung hingegen sind auch die mit diesen Entwicklungen einhergehenden Probleme durch kritisch-konstruktive und reflexive menschliche Innovationsprozesse überwindbar.
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