piwik no script img

Bundesweiter WarnstreikTote Hose an fast allen Haltestellen

Mit ihrem Warnstreik haben Verdi und EVG den öffentlichen Verkehr weitgehend stillgelegt. Nun geht es zurück an die Verhandlungstische.

Streikende bei einer Kundgebung vor dem alten Elbtunnel im Hamburer Hafen: „Druck auf dem Kessel“ Foto: Marcus Brandt/dpa

Berlin taz | Die Gewerkschaften jubilieren, die Arbeitgeber toben und die Bevölkerung reagiert gelassen: Das sind die Reaktionen auf den bisher größten Mobilitätswarnstreik in der Bundesrepublik. Leergefegte Bahnhöfe, verwaiste Bus- und U-Bahn-Haltestellen, menschenleere Flughafenterminals, lange Reihen von abgestellten Passagierjets: Am Montag demonstrierten die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG in einer konzertierten Aktion, welche Macht Gewerkschaften in Deutschland noch haben können.

„Wirklich alle Mitglieder“, die zu dem Warnstreik aufgerufen worden seien, hätten sich auch beteiligt, freute sich der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke. Es sei „einfach Druck auf dem Kessel, weil die Beschäftigten es leid sind, sich jeden Tag mit warmen Worten abspeisen zu lassen, während die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden und viele Stellen unbesetzt sind“, sagte er am Montag in Potsdam. Insgesamt hätten sich an den diversen Warnstreiks in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes in den vergangenen Wochen mehr als 400.000 Beschäftigte beteiligt. „Das ist die größte Warnstreikbeteiligung seit vielen Jahren und Jahrzehnten.“

Auch sein EVG-Pendant Martin Burkert zeigte sich zufrieden mit der Streikbeteiligung. „Über 30.000 Kolleginnen und Kollegen sind unserem Aufruf gefolgt“, sagte er. „In einem Dreischichtbetrieb ist das eine enorme Zahl.“ Alle Fernverkehrszüge und die allermeisten Nahverkehrszüge hätten stillgestanden.

Zur Frage nach der Verhältnismäßigkeit des bundesweiten Warnstreiks sagte Burkert, die Arbeitgeber und ihre Verbände sollten sich lieber fragen, „ob es noch verhältnismäßig ist, wenn Vorstände das Vierzig-, Fünfzigfache oder mit Bonuszahlungen das Achtzig- und Einhundertfache von dem verdienen, was in der Dienstleistung verdient wird“. Demgegenüber sei der Warnstreik „notwendig“ und „verhältnismäßig“ gewesen. Wie auch Werneke forderte er die Arbeitgeberseite auf, nunmehr ein „verhandlungsfähigen Angebot“ vorzulegen.

Heftige Kritik von der Arbeitgeberseite

Von verbesserten Angeboten ist jedoch bislang nichts zu hören. Stattdessen echauffierten sich die Arbeitgeber über den Tagesausstand. „An diesem überzogenen und übertriebenen Streik leiden Millionen Fahrgäste, die auf Busse und Bahnen angewiesen sind“, sagte Bahn-Konzernsprecher Achim Stauß. „Nachteile haben auch Tausende Unternehmen in der Wirtschaft, die üblicherweise ihre Güter auf der Schiene empfangen oder versenden.“ Es sei „sehr befremdlich, dass man heute streikt und erst in fünf Wochen bereit ist, wieder mit uns zu verhandeln“, kritisierte Stauß die EVG.

Die Gewerkschaften würden „überziehen“, kritisierte die Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD). „Dass die Streiks mittlerweile flächendeckend und in einer solchen Intensität erfolgen, kann ich nicht nachvollziehen“, sagte die Verhandlungsführerin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA).

Völlig die Fassung verlor der Flughafenverband ADV. Der Ausstand vom Montag habe „jedes vor­stell­bare und ver­tret­bare Maß“ gesprengt, empörte sich ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Bei­sel. Das habe „nichts mehr mit einem Warn­streik zu tun“, sondern sei viel­mehr „der Ver­such, per Gene­ral­streik fran­zö­si­sche Ver­hält­nisse in Deutsch­land ein­zie­hen zu las­sen“.

Die Bür­ge­r:in­nen reagierten entspannter: Sie hatten sich vielerorts einfach auf die Einschränkungen eingestellt. Das befürchtete Verkehrschaos in den Städten und auf den Autobahnen blieb jedenfalls weitgehend aus. „Wer kann, ist im Homeoffice geblieben“, vermeldete der ADAC. So wurden größere Staus nur vereinzelt von der Polizei gemeldet. Dazu beigetragen haben dürfte, dass Tunnelsperrungen durch Notdienstvereinbarungen von Verdi mit der Autobahn GmbH des Bundes vermieden werden konnten.

Während bei der Deutschen Bahn erst Ende April die nächste Tarifverhandlungsrunde ansteht, begann am Montag in Potsdam die dritte und als entscheidend geltende Verhandlungsrunde für den öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen, die bis Mittwoch terminiert ist.

Er erwarte, dass „ein deutlicher Schritt auf die Beschäftigten und uns als Gewerkschaft zugegangen wird“, sagte Verdi-Chef Werneke – und zwar „nicht irgendwann erst am dritten Tag“. Das Wichtigste sei für die Beschäftigten ein „sozial balancierter Tarifvertrag“, also eine soziale Komponente mittels eines Festbetrags. Das verweigere jedoch bisher die Arbeitgeberseite. Konkret fordert Verdi eine Gehaltserhöhung in diesem Jahr von 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro pro Monat mehr.

„Wir haben ein gutes Angebot vorgelegt“, sagte dagegen Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die Verhandlungsführerin des Bundes. Sie erwarte „jetzt erst mal“, dass die Gewerkschaften nicht länger auf ihren hohen Forderungen beharrten, sondern „vielleicht uns auch ein Stück entgegenkommen“. Bund und Kommunen bieten bisher eine Einmalzahlung von 1.500 Euro im Mai und eine Tariferhöhung von 3 Prozent ab Oktober an. Weitere 2 Prozent sowie eine nochmalige Einmalzahlung von 1.000 Euro soll es schließlich im kommenden Jahr geben.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Es gibt kein wirkliches Angebot der Arbeitgeber.

    Das Angebot auch noch als "gut" zu bezeichnen, wie Faser das tut, ist wirklich zynisch.

    Es ist so offensichtlich eine Verhandlungsstrategie der Arbeitgeber, die Auseinandersetzung in die Länge zu ziehen und zu warten, ob verdi einen Streik wirklich durchstehen kann, oder, ob verdi dann schnell einknickt, weil die Situation der Gewerkschaft nicht besonders gut ist, sie ist über Jahre geschrumpft. Die Organisation ist in einigen Betrieben eher klein, anders als in der Industrie, wo teilweise 85 bis 95 Prozent der Beschäftigten organisiert sind.

    Für mich stellt sich das so dar, dass die Regierung von Olaf Scholz eine Null-Runde verweigert, weil es gar nicht um eine Reallohnerhöhung geht, sondern um Inflationsausgleich geht. Den will die Regierung aber nicht geben, sondern die wollen, dass der Öffentliche Dienst über zwei Jahre eine Absenkung vornimmt, also ein Opfer bringt.



    Fragt sich nur, wofür, und, warum?

    Aus Sicht der Exportwirtschaft würde dies die Terms of Trade für Deutschland stark verbessern, gleichzeitig wäre die Binnennachfrage dadurch schwächer, bzw. es könnte weiter mit Insolvenzen kleiner Betriebe gehen, der Immobilienmarkt könnte eine Delle davon tragen. Vermutlich würden viele Arbeitskräfte einen Nebenjob aufnehmen, um Löcher und Defizite zu stopfen, Rechnungen und Kredite zu bedienen.

    Das würde bedeuten, dass Arbeit im Öffentlichen Dienst nicht mehr per se lohnt, dass es um 'Dazuverdienste' geht. Oft würden wohl auch Mütter früher ins Arbeitsleben geben, die Kinder länger in die Kita lassen etc.



    Was hier gerade passiert, dürfte eine sehr lange, strukturelle Wirkung auf die Gesellschaft haben.



    Der Ruf von der SPD als Partei von Arbeitnehmern und Gewerkschaftern wäre wohl hin, wenn er es nach Riester und Hartz-IV nicht schon ist.



    Und Nancy Faser wird eine kalte Dusche in Hessen erhalten, wenn sie für eine Abwertung der Arbeitnehmer im Öffentlichen Dienst eintritt. Was sie gerade ja macht.

  • Streikende haben die Hosen an. Wunderbar!



    Unding, die Regierungen des Bundes und der Länder betätigen sich als Streikbrecher: Sonntagsfahrverbot für LKWs lockern, um Engpässe zu umgehen.

  • Nancy Faeser bekommt für jeden Arbeitstag geschätzte 1500 Euro (Pensionsansprüche eingerechnet). Die Forderungen von Verdi sind nicht zu hoch. Ganz im Gegenteil, sie sind eher zu niedrig. Schließlich geht die Inflation auch dieses Jahr ja kräftig weiter, so wie es aussieht. Und die 8,7 Prozent Inflation beziehen sich ja auf 2022. Bei geschätzen 4,3 Prozent Inflation dieses Jahr müßte die Lohnsteigerung mindestens 13 Prozent sein um wenigstens die Kaufkraft 2023 stabil zu halten.

    Und wohlgemerkt: Es wäre mit einem Tarifabschluß von 13 Prozent mehr noch keine reale Lohnsteigerung erreicht/erfolgt. Nur der reine Inflationsausgleich.

    • @Goldi:

      Sie wissen aber, das Lohnsteigerungen zur Inflation beitragen. Das ist wie der Versuch, das Feuer durch Luftzufuhr zu kühlen.

  • Ich lerne daraus: Das eigene Auto schützt vor solchen Erpressungsversuchen.