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Verfassungsgericht zu KinderehenNachbessern nötig

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Kinderehen automatisch für nichtig zu erklären, ist nicht unproblematisch. Sinnvoller wäre eine Rückkehr zur Einzelfallprüfung.

Ein verschleiertes Mädchen wartet auf ihre Verlobungszeremonie in Indien Foto: Amit Dave/reuters

K inderehen bleiben in Deutschland bis auf weiteres nichtig, auch wenn sie im Ausland wirksam geschlossen wurden. Das entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht. Allerdings muss der Gesetzgeber bis Mitte 2024 Details nachbessern.

Das Urteil kommt überraschend. Immerhin hielt der Bundesgerichtshof, der das Verfahren ausgelöst hat, den 2017 eingeführten Automatismus für unverhältnismäßig und forderte unter Berufung auf Fachverbände eine Rückkehr zur Einzelfallprüfung. Auch das Bundesverfassungsgericht galt bisher als Freund von Einzelfallprüfungen.

Natürlich ist eine Ehe, bei der eine Part­ne­r:in beim Eheschluss jünger als 16 war, hochproblematisch. Es besteht typischerweise ein enormes Machtgefälle, das zu den Rollenbildern im Herkunftsland passt. Statt zu heiraten sollten Kinder und Jugendliche doch eher spielen, lernen und sich entwickeln.

Doch der deutsche Staat greift hier auch in bestehende Ehen ein, die im Ausland gültig waren und auf die sich die Beteiligten eingerichtet haben. So wurden bei der Flüchtlingswelle 2015 viele Mädchen, die mit ihrem Ehemann ankamen, von ihm getrennt und erhielten einen staatlichen Vormund. Die Betroffenen empfanden das in der Regel nicht als Schutz, sondern als Schock. Sie sahen hier meist keine Hilfe zur Selbstbestimmung, sondern eher staatliche Fremdbestimmung.

In weiten Teilen der Öffentlichkeit war der proklamierte Schutz der Mädchen nur ein Vehikel, um den Flüchtlingen zu zeigen, dass in Deutschland „unsere Werte“ gelten. Als 2017 die automatische Nichtigkeit von Kinderehen eingeführt wurde, war das ein eher unsympathisches Beispiel für symbolische Gesetzgebung.

Doch wenn der Gesetzgeber das bestehende Gesetz nicht nachbessert, gilt ab Mitte 2024 wieder die alte differenzierte Rechtslage. Hier ist Untätigkeit eine Chance. Noch besser wäre es, die Ampel schafft die automatische Nichtigkeit ausdrücklich wieder ab und kehrt bewusst zur alten Einzelfallprüfung zurück.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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10 Kommentare

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  • Das Thema ist kompliziert.



    Andere Kulturen, andere Strukturen.



    Unrecht sicherlich.

    Aber es ist wohl so, als ob man das Messer aus der Wunde zieht: Man weiß nie welche Schäden man zusätzlich anrichtet und welche Blutgefäße im Inneren sprudeln.



    Also sehr genau hinschauen und gut abwägen.

    • @Bolzkopf:

      Meiner Meinung nach nicht besonders kompliziert. "Kinderehe" klingt ja so niedlich, aber in sehr vielen Fällen verbirgt sich dahinter sexueller Mißbrauch von Minderjährigen. Die Frage ist vielmehr, warum gegen einen zum Zeitpunkt der "Heirat" volljährigen Partner nicht automatisch wegen eben dieses Verbrechens ermittelt wird.

      • @Suryo:

        Da machen sie es sich aber mal schön einfach.



        "In sehr vielen Fällen" ? Das ist mir deutlich zu pauschal.



        Mit dieser Begründung müsste man ja auch automatisch gegen jeden Geistlichen und jeden Sporttrainer ermitteln.

        Ich will Zwangs- und Kinderehen überhaupt nicht verteidigen.

        Aber was nutzt es, wenn man den Schaden noch vergrößert und zusätzliches Leid schafft ?

        Was ist z.B. mit den Kindern aus solchen Ehen ? Wenn da plötzlich, nolens volens, die Familienstrukturen zerstört werden ?

        • @Bolzkopf:

          Die Struktur wird ja gar nicht unbedingt zerstört. Es ist eben nur die Eheschließung nichtig. Ich glaube kaum, dass zB ein afghanisches Kinderehepaar besonders entsetzt über den nach Ankunft in Deutschland erfolgten Wegfall des Ehegattensplittings ist.

  • Einzelfallprüfunf? Kinderehen haben verboten zu bleiben und basta. Ohne Einzelfallprüfung! Was ist denn das, das so etwas noch zu überpüfen ist?

    • @Leningrad:

      God bless You!

  • Was genau wird denn dann im Einzelfall geprüft? Ob die zum Zeitpunkt der „Eheschließung“ 13jährige sich inzwischen gefügt hat und das ganze aktuell nicht mehr schlimm findet? Oh Wunder, wenn einem Ehemann, Schwiegereltern und die eigene Familie das einem jahrelang eingebläut haben und man als Mädchen bzw Frau keine eigenen Wünsche haben darf.

  • In der deutschen Bürokratie dauert eine Einzelfallprüfung oft so lange, dass die Mädchen volljährig sind, bevor eine -Entscheidung gefallen ist.



    Und bis dahin soll man den vermutlich stark missbrauchsgefährdeten Kindern einfach nicht helfen, bloß weil es irgendwoanders auf der Welt rechtens wäre?



    Die Details in die Richtung zu verbessern, dass eine Rückkehr in die Ehe bei volljährigkeit einfacher möglich ist, als ohne Dokumente nochmal zu heiraten, ist völlig ausreichend.



    Un dvielleicht auch eine Unterbringung, die ein Mädchen, das seine ituation bis dahin als völlig unproblematisch angesehen hat, nicht unnötig traumatisiert.

  • In welchem Einzelfall ist den die (Zwangs-)Verheiratung von Minderjährigen in Ordnung? Wenn es um als Kinder verheiratete geht die als erwachsene zufrieden mit ihrem Partner sind und in Deutschland verheiratet sein möchten, können sie das ja immernoch tun.

    • @Jesus:

      Absolut richtig. Wenn wir ehrlich sind bei Kinderehen, kann es keine Ausnahmen geben.



      Alles andere wäre Inkonsequent und wieder Interpretationssache.