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Rentenreform in FrankreichSchroffe Abfuhr an Gewerkschaften

Der französische Senat stimmt einer leicht modifizierten Version der Rentenreform zu. Doch die Proteste gehen weiter. Auch die Pariser Müllabfuhr streikt.

Proteste in Paris am Samstag: Erneut haben Gewerkschaften zu Streiks gegen Rentenreform-Pläne von Macron aufgerufen Foto: Lewis Joly/AP/dpa

Paris taz | Im parlamentarischen Streit um die Rentenreform hat die französische Regierung einen ersten Etappensieg erzielt: Mit 195 gegen 112 Stimmen hat der Senat in der durch ein Eilverfahren verkürzten Debatte der umstrittenen Reform zugestimmt. In der Nationalversammlung war zuvor nach hitzigen Diskussionen und Tausenden von unbehandelten Änderungsanträgen der Opposition die Debatte ohne Votum beendet worden.

Wie dies für solche Fälle vorgesehen ist, soll sich nun am Mittwoch die Gemischte Paritätische Kommission der beiden Parlamentskammern, die aus je 7 Abgeordneten und Senatoren zusammengesetzt ist, auf einen Text einigen. Dieser Kompromiss ginge dann erneut an beiden Kammern. Während die Regierung im Senat auf die Stimmen einer Mehrheit der Konservativen und des bürgerlichen Zentrums rechnen kann, sind die Kräfteverhältnisse in der Nationalversammlung sehr ungewiss.

Wegen des Eilverfahrens, mit dem die Regierung gestützt auf den Verfassungsartikel 47.1 die Par­la­men­ta­rie­r*in­nen zeitlich unter Druck setzt, haben die Abgeordneten und die Se­na­to­r*in­nen nur bis zum 26. März für ihre Debatten und eine eventuelle Schlussabstimmung. Falls das Parlament nach maximal 50 Tagen der Vorlage nicht zustimmt, kann die Regierung dank dieser Prozedur ihre Reform auf dem Weg von Anordnungen in Kraft setzen. Das tönt nicht sehr demokratisch, doch die Verfassung der Fünften Republik stellt der Exekutive mehrere legale Mittel zur Verfügung, damit sie unbehindert von Einwänden des Parlaments regieren und ihre Gesetze diktieren kann.

Gewerkschaften rufen weiter zum Widerstand auf

Die Perspektive, dass die Staatsführung sich am Ende über das Parlament als Gesetzgeber und Volksvertretung hinwegsetzt, stellt für die Gewerkschaften, die diese Reform weiterhin entschlossen bekämpfen, nur noch eine zusätzliche Provokation dar. Nach mehreren Aktionstagen, Generalstreiks und Demonstrationen im ganzen Land, an denen auf dem Höhepunkt laut Organisatoren mehr als 3 Millionen Menschen auf die Straße gingen, hatten die vereinten Dachverbände dem Staatspräsidenten Emmanuel Macron einen Brief geschrieben, in dem sie ihn eindringlich um eine Audienz ersuchten und ihn aufforderten, die unbeliebte und unsoziale Reform zurückzunehmen, damit das Land den sozialen Frieden finden könne.

Dem hat der Präsident ebenfalls schriftlich eine ziemlich schroffe Abfuhr erteilt. Er möchte offenbar die Machtprobe bis zum Ende durchziehen, obschon auch er weiß, dass eine große Mehrheit der Bür­ge­r*in­nen (rund 7 von 10) die Rentenreform ablehnt und im Gegenteil auch die Proteste befürwortet. Laut einer jüngsten Umfrage des Instituts Odoxa meint sogar eine Mehrheit, dass der Widerstand gegen die Erhöhung des Rentenalters auf 64 Jahre auch dann weitergehen müsse, wenn die Reform verabschiedet oder als Anordnung in Kraft gesetzt werden sollte. Macron rechnet anscheinend damit, dass sich nach wochenlangen Protesten Resignation breit macht und dass den Streikwilligen schlicht das Geld ausgeht. Er könnte aber auch eine weitere Eskalation in diesem Konflikt provozieren.

Die Gewerkschaften und die auch die politische Linke geben sich noch lange nicht geschlagen. Sie haben in der letzten Woche mit härteren Aktionen und eindrücklichen Mobilisierungen den Druck auf die Regierung noch verstärkt. Mehrere Streikaktionen dauern nun seit Tagen an. Dies gilt namentlich für die blockierten Erdölraffinerien, die von Streikenden des Energiesektors gezielt organisierten Stromunterbrüche, die anhaltenden Störungen im Bahn- und Flugverkehr oder auch die Müllentsorgung in mehreren Städten. Auch in der Hauptstadt türmen sich in der Mehrheit der Quartiere bereits neben übervollen Containern Abfallberge, die inzwischen zum Himmel stinken und die Ratten anziehen.

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6 Kommentare

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  • Mir ist nicht ganz klar wie sich die Rente im Umlageverfahren finanzieren lassen soll. Die Lebenserwartung ist massiv gestiegen. Es muss immer mehr Rentenzeit finanziert werden.



    Die Zahl der Rentenbezieher hat im Verhältnis zu den Beitragszahlern stark zugenommen.



    Es gibt immer mehr gebrochene Erwerbsbiographien, d.h. die Arbeitnehmer zahlen nicht mehr durchgängig in Sozialversicherung ein.



    In Frankreich kommt hinzu, dass je nachdem wer wie wo beschäftigt wurde, die Menschen unabhängig von ihren Beiträgen höchst unterschiedliche Ansprüche erwerben.



    Jetzt mag man zwar die Franzosen ob ihrer Streikfreudigkeit bewundern, am zugrundeliegenden Problem ändert dies allerdings genau nichts.

    • @Galgenstein:

      Bei der aktuellen Altersstatistik sowohl hier als auch in Frankreich kann eine Rente mit 62 doch nicht mehr funktionieren...

      Wollen wir "Alten" (ich bin 66) denn unseren Kindern nicht nur eine kaputte Umwelt sondern auch noch unbezahlbare Rentenlasten hinterlassen?

      Die meisten von uns "Alten" sind heute fitter wie vor 40...50 Jahren die 50jährigen und warum soll die Gesellschaft auf unser Wissen/unsere Erfahrungen verzichten?

      PS: wer einen körperlich schweren Beruf hat/hatte, geht in der Regel sowieso wegen Krankheit/Berufsunfähigkeit und nicht wegen Alter in Frührente - und denen sei es einerseits gegönnt, aber wir hätten die Pflicht als Gesellschaft, solche Situationen durch bessere Arbeitsbedingungen/Technik zu vermeiden!

    • 6G
      669638 (Profil gelöscht)
      @Galgenstein:

      Doch, es ist möglich. Alleine wenn Frauen die gleichen Löhne bekämen wie Männer, kommt deutlich mehr in die Kasse. Und wo mehr ist kann auch mehr ausbezahlt werden.

      • @669638 (Profil gelöscht):

        Zumindest in D ist der Gender Pay Gap bei 5% und bei jungen Menschen schon länger nicht mehr vorhanden. Die Vermutung liegt nahe dass aufgrund der viel höheren Frauenbeschäftigungsquoten in Frankreich eine Deutlich niedrige Lücke existiert.

        In D würde dabei nur 0,05 x 0,19 x Bruttolohnsumme bis zur BBG dabei raus kommen. Ein vollkommen Irrelevanter Betrag, nicht mal ein Fliegenschiss im Vergleich zu den Kosten wegen der gestiegenen Lebenserwartung.

      • @669638 (Profil gelöscht):

        Das wäre doch allenfalls von kurzfristiger Dauer, da die höheren Löhne auch zu höheren Leistungsbezügen führen würden. An der Grundsatzproblematik der höheren Lebenserwartung bei gleichbleibenden Leistungsjahren und der Demografie ändert ihr Vorschlag nicht.

        Auf mich wirkt das Ganze eher wie ein Machtkampf der Gewerkschaften, wobei das Thema Rente vollkommen austauschbar ist.

      • @669638 (Profil gelöscht):

        Die Frauen zahlen dann mehr ein und bekommen entsprechend mehr Leistungen. Das ändert genau nix am demographischen Problem.



        Mathematik ist halt nicht jedermanns Stärke.