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Gesetz in GeorgienDemokratie unter Druck

Kommentar von Barbara Oertel

Unter der Führung der Regierungspartei Georgischer Traum driftet Georgien in Richtung Russland. Nun droht gar ein Gesetz gegen ausländische Agenten.

Ex-Präsident Saakaschwili, hier bei einer Gerichtsanhörung per Video aus dem Krankenhaus Foto: epa

W er dem Irrglauben anhängt, die Südkaukasusrepublik Georgien sei immer noch auf dem Weg nach Europa, sollte es mit einem Realitätscheck versuchen. Unter der Führung der Regierungspartei Georgischer Traum (KO) driftet das Land, in der Region einst Vorreiter für Reformen, stetig weiter in Richtung Russland ab. Einige besonders umtriebige Abgeordnete, die die KO verlassen haben, sie bei Abstimmungen jedoch nach wie vor unterstützen, wollen ein Gesetz über sogenannte ausländische Agenten ins Parlament einbringen. Sollte dieser Plan mehrheitlich Zustimmung finden, könnte das den Anfang vom Ende der Arbeit zahlreicher Nichtregierungsorganisationen bedeuten. Moskau lässt grüßen.

Schon jetzt steht die noch junge Zivilgesellschaft in Georgien unter wachsendem Druck, wie das brutale Vorgehen von Polizeikräften gegen oppositionelle De­mons­tran­t*in­nen zeigt. Auch der Umgang mit dem inhaftierten früheren Präsidenten Michail Saakaschwili, der im Gefängnis langsam vor sich hin stirbt, ist kein Ruhmesblatt. Die Weigerung der Regierung, Saakaschwili zwecks medizinischer Behandlung ausreisen zu lassen, deutet eher auf billige Rache denn die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze hin.

EU steht vor Dilemma

Bei einer Verurteilung von Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine hält sich die Regierung bedeckt. Diese vornehme Zurückhaltung steht in krassem Gegensatz zu weiten Teilen der Bevölkerung, die mit der Ukraine solidarisch sind. Einmal abgesehen davon, dass der Zugzug zigtausender Rus­s*in­nen nach Georgien seit Kriegsbeginn Ängste vor einer Landnahme der anderen Art schürt – Russland hat ohnehin schon 20 Prozent des georgischen Territoriums besetzt.

Die EU steht jetzt vor einem Dilemma. Im vergangenen Jahr verweigerte sie Tblissi den Status eines Beitrittskandidaten. Angesichts der jüngsten Entwicklungen dürfte der nächste Befund kaum anders ausfallen. Doch Georgien jahrelang in der Warteschleife hängen zu lassen, kann keine Option sein. Denn trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge hat das Land Unterstützung verdient – vor allem die vielen jungen Menschen, die sich für eine demokratische Entwicklung einsetzen. Nicht nur bei ihnen sitzt das Trauma des russisch-georgischen Krieges von 2008 tief. Damals blieb dieser Weckruf im Westen ungehört – eine Unterlassungssünde, für die die Ukrai­ne­r*in­nen jetzt einen hohen Preis bezahlen. Das darf sich nicht wiederholen.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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6 Kommentare

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  • Es gibt einen offiziellen EU-Bericht, der damals eindeutig die georgische Regierung mit der Bombardierung ziviler Ziele als Auslöser des Krieges 2008 benennt. Also bitte keine Legendenbildung.

    • @Thomas Müller:

      Teil der Geschichte ist aber auch, dass Russland klassische Provokazia veranstaltet hat, und schon hinter der Grenze Truppen angesammelt hat bevor die Georgier so dumm waren drauf reinzufallen. Sicher ist, Georgiens Streben nach Westen war Russland ein Dorn Auge und Putin war entschlossen was zu unternehmen.

      In den 90ern als die Geschichte mit den Abchasen u Osseten losging, hat Russland schon Freischärler geschickt, unter ihnen Schamil Bassajew, der dann später noch ganz famos wurde. Hat Waffen an die Bevölkerung ausgeteilt...

      Und hat in den Jahren vor dem Krieg fleißig russische Pässe in den beiden Gebieten ausgeteilt, in die es dankenswerterweise in den 90ern von den Georgiern als Peace- Keeper gerufen wurde. Spätestens mit Putin war Russland entschlossen da niemals wieder zu gehen. Man muss schon mit dem Klammerbeutel gepudert sein um diese wichtigen Details aus dem Bild rauszulassen.

    • @Thomas Müller:

      +100%. Saakashwili dachte damals, dass die Nato ihn nicht fallen lässt.

      Und noch etwas:

      Die Autorin schreibt "Nicht nur bei ihnen sitzt das Trauma des russisch-georgischen Krieges von 2008 tief. Damals blieb dieser Weckruf im Westen ungehört – eine Unterlassungssünde, für die die Ukrai­ne­r*in­nen jetzt einen hohen Preis bezahlen." Völlig korrekt! Die Nato Versprechen von Bukarest 2008 haben nur Spannungen und Probleme verursacht. Der russisch-georgischer Krieg war wirklich ein Weckruf.

  • .... hat das Land Unterstützung verdient. Weshalb?



    Die Mehrheit der Bevölkerung hat ihre Regierung gewählt. Sie stehen zu ihren kleinen und großen Oligarchen und glauben lieber den offensichtlichen Lügen als den notwendigen Reformen. Wenn das Land sie nicht demokratisieren lassen möchte, dann dürfen wir es von außen erst recht nicht erzwingen. Eher müsste in Nato und EU eine Möglichkeit geschaffen werden ehemalige Freunde die sich zu Gegnern entwickelten wieder zu entfernen. Die europäische Gemeinschaft sollte und muss denen helfen die ein Gewinn für uns ist. Aber noch einen weiteren Orban anzufüttern muss nun wirklich nicht sein. Denn dem Land helfen hieße dem Staat helfen. Also eine kleine Gruppe europafeindlicher Verbrecher die sich auf Kosten der Bevölkerung bereichern. Wie Orban und seine Studien- und Fußballfreunde



    Helfen wir lieber dort wo die Hilfe ankommt. Soll das Volk Vertreter wählen die nicht ausschließlich sich selbst vertreten.

    • @Ramaz:

      Dem kann ich nur zustimmen.

    • @Ramaz:

      Sind Sie ein Anhänger des Sozialdarwinismus?



      Hört sich so an.