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Der HausbesuchDie Liebe höret nimmer auf

Sie malt, sie schreibt, sie spielt Theater. Und sie setzt sich für Lesben und Schwule mit Behinderung ein. Zu Besuch bei Daniela von Raffay.

Derzeit ist sie viel im Bett, weil der elektrische Rollstuhl noch nicht geliefert ist Foto: Stefanie Loos

Wenn sie das Fenster öffnet, können die Leute auch draußen ihr lautes Lachen hören. Und das ist ansteckend.

Draußen: Sie wohnt in einer Seitenstraße in Berlin-Schöneberg, in der Nähe des Nollendorfplatzes, Berlins schwul-lesbisch-queerem Szenekiez; viele Intellektuelle, auch Künstlerinnen und Künstler wohnen hier. Ein wenig erinnert es an München-Schwabing. Dort hat die in Bayern geborene Daniela von Raffay gelebt, bevor sie 1972 nach Berlin kam. Ein Mann war schuld, ihr damaliger Partner. Der ist, wie so viele damals, dem Wehr- und Zivildienst entkommen, indem er in die Mauerstadt zog. „Der wurde dann schwul, ich lesbisch“, sagt sie.

Drinnen: Über eine Rollstuhlrampe geht es in eine Erdgeschosswohnung. Die Frau, die im Flur lächelnd die Hand ausstreckt, erklärt: „Daniela ist da“, und deutet nach rechts. Daniela von Raffay sitzt in einem Zimmer mit Schreibtisch, antikem Schränkchen und Bücherregalen auf dem Bett. Die Frau, die die Tür geöffnet hat und nun Kaffee anbietet, ist eine Ex-Partnerin und Freundin: „Die unterstützt mich ab und an, wenn Besuch kommt. So wie jetzt.“

Bilder: An den Wänden in Daniela von Raffays Zweizimmerwohnung hängen überall Bilder. Gemalt wurden sie von ihrem Bruder, von befreundeten Künstlerinnen, von der verstorbenen Lebensgefährtin ihrer Partnerin und von ihr selbst. Neben dem Bett hängt ein Plakat in Gelb-Grün mit der Aufschrift „Rolling Sisters“ – es zeigt von Raffay im Rollstuhl und ihre Freundin mit Fahrrad. „Das Foto wurde in London gemacht. Ich war immer viel unterwegs.“ Auf einem weiteren Bild von ihr sind vier schwarze Katzen zu sehen. „Das heißt ‚Der Katzenhimmel‘. Das habe ich gemalt, als eine Katze von mir gestorben ist.“

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Malen: Sie hätte, so erzählt Daniela von Raffay, nie gedacht, dass sie einmal malen würde: „Ich dachte immer, ich schreibe. Mir ist spät aufgegangen, dass auch beides geht.“ Von Raffay kommt aus einer kreativen Familie. Die Mutter war gelernte Keramikerin, der Vater Werbefachmann, ihr Bruder ist bildender Künstler: „Bei uns zu Hause wurde immer gemalt.“

Astrologie: Zu Beginn des Gesprächs fragt von Raffay nach dem Sternzeichen. Das Interesse an Astrologie hat sie von ihrem Vater. „Der hat alles gemacht, auch gependelt.“ Die Frauen seien deswegen nur so auf ihn geflogen: „Der hat sich immer damit gebrüstet, dass er auf diese Tour selbst lesbische Frauen rumbekommen hat.“ Ein Hallodri sei er gewesen. „Noch an seinem Lebensende musste ich ihm helfen, ihm eine jüngere Frau vom Hals zu schaffen.“

Von Raffay: Auch ihr adliger Nachname stammt vom Vater: „Mein Stiefvater hat später immer gesagt, der sei nur ‚Klo-adlig‘ gewesen“ – ein Schimpfwort für den niederen Adel, dem seine Familie angehört. Ihre Mutter dagegen war eine geborene Gräfin, also sogenannter hoher Adel. „Die Adeligen sind ganz bigott. Da darfst du nicht schwul sein oder so“, sagt von Raffay und lacht. „Das sind aber gleich fünf in der Familie.“

Sichtbarkeit: Daniela von Raffay selbst führt eine lesbische Fernbeziehung und setzt sich seit Jahrzehnten für Frauenrechte, die Sichtbarkeit von lesbischem Leben und lesbischen und schwulen Menschen mit Behinderung ein. Sie tritt dafür in Theaterstücken auf, sitzt auf Podien, verfasst Artikel oder nimmt an öffentlichen Kuss-Aktionen teil. Unter Pseudonym schreibt sie auch erotische Lyrik.

Kinderlähmung: Als Dreijährige erkrankte Daniela von Raffay an Polio. Sechs Wochen lang stand sie unter Quarantäne: „Ich bin da lustig rein und kam raus mit dem Gedanken: ‚Die Mama ist böse.‘“ Durch die Polio waren erst beide Beine gelähmt. Nach zwei Jahren Übungen und Behandlungen ließ sich das linke wieder bewegen.

Es anderen leicht machen: Ihre Mutter hatte in der Zeit noch andere Sorgen: Hochschwanger mit von Raffays jüngerem Bruder bekam sie heraus, dass ihr Mann doppelgleisig gefahren war und mit einer anderen Frau auch zwei Kinder hatte. „Sie war sehr belastet. Und ich dachte, ich wäre schuld.“ Um es ihrer Mutter leichter zu machen, zeigte sich von Raffay stark. Als Kind habe sie versucht, anderen nicht zur Last zu fallen.

Humor: Der Arzt auf der Quarantänestation habe damals zu ihrer Mutter gesagt: „Um die müssen Sie sich keine Sorgen machen. Die hat ein sanguinisches Temperament.“ Meint: gesellig, fröhlich, energisch und sympathisch.

Immer in Bewegung: Mehrere Theatergruppen hat Daniela von Raffay gegründet, darunter die Gruppe „Freakshow – Schwule und Lesben mit Behinderung“ sowie eine Polio-Gruppe, die „Polionauten West“. Nebenbei hat sie Straßenfeste im Kiez auf die Beine gestellt und lesbische Netzwerktreffen organisiert: „Da haben wir immer so zwei- bis dreihundert Lesben der ersten Stunde, also aus den 1970er Jahren, eingeladen. Deshalb hieß das dann Fossilienfest.“

Daniela von Raffay lacht gern laut. „Hähnchen“ nennen die Nachbarinnen Daniela von Raffay deswegen Foto: Stefanie Loos

Lachen: Daniela von Raffay ist in ihrer Nachbarschaft für ihr Lachen bekannt. Die alten türkischen Frauen in ihrem Kiez, mit denen sie, als sie schon in Rente war, über Jahre Lesen und Schreiben übte, weil diese trotz Sprachkenntnissen größtenteils Analphabetinnen waren, nennen sie wegen ihres lauten Lachens nur „horoz“, auf Deutsch: Hähnchen.

Früher: Von Raffay ist immer auf „normale“ Schulen gegangen, „normal“, das ist ihr Wort. Wie sie auch sonst immer „nicht behindert gelebt hat“. Weil sie als Teenager in der Schule gern mal die Regeln gebrochen habe, sei sie vom Gymnasium geflogen, ihr Abitur machte sie auf dem zweiten Bildungsweg. Später studierte sie Soziologie, arbeitete in Behindertenberatungsstellen und hat eine Datenbank zu Barrierefreiheit in Berlin mit aufgebaut: „Ich habe mich immer Berufsbehinderte genannt, weil ich ausschließlich im Behindertenbereich gearbeitet habe.“

Ein Kraftakt: Als Kind ritt und turnte von Raffay, trotz ihrer Einschränkung. „Ich dachte immer, ich muss alles können. Ich bin später für die WG, in der ich lebte, einkaufen gegangen und habe alles an Krücken die Treppen hochgeschleppt. Wie alle anderen, nur noch eins drauf.“ Durch eine Therapie lernte sie ihre Lähmung anzunehmen. Da musste man Sätze bilden wie „Ich und meine Behinderung …“. Erst vor 25 Jahren habe sie gelernt, sich auch ab und an auszuruhen.

Spätfolgen: Mit den Jahren nahm ihre Muskelkraft mehr und mehr ab. Von Raffay ist inzwischen Anfang 70. Zurzeit kommt sie kaum hoch. Eine Reha, hofft sie, wird Besserung bringen. Erst einmal aber ist sie auf die Anschaffung eines Lifters und eines Elektrorollstuhls angewiesen: „Ein Elektrorollstuhl kann so hochfahren, dass man am Tresen sitzen kann.“ Sie lacht bei der Vorstellung.

Kleine Welt ganz groß: So lange spielt sich Daniela von Raffays Leben hauptsächlich in der Horizontalen ab. Auf dem Bett und kleinen Beistelltischen und um das Bett herum ist alles, was sie braucht: Blätter, Stifte, Bücher, Essen, Trinken. Ihre Lebensmittel werden von einem Bestell­service geliefert, mit der Welt in Kontakt bleibt sie durch Besuche, Briefe und Telefonate. Ihr Handy klingelt ständig.

Übrig bleiben: Von vielen Mitgliedern ihrer Theatergruppe Freakshow bleiben nur noch Erinnerungen. „Sechs von neun, die wir mal waren, sind schon tot. An Muskeldystrophie, an Krebs verstorben.“ Die Mitglieder wurden im Film „Kein Tag ohne Liebe“ porträtiert, Fotos der Gruppe hängen derzeit in der Ausstellung „Queering the Crip, Cripping the Queer“ im Schwulen Museum Berlin. Mit der ist sie nicht zufrieden: „Wir wollten eigentlich noch eine eigene Ausstellung machen. Der im Schwulen Museum etwas entgegensetzen. Die Bilder da sind lieblos aufgehängt, in billigen Rahmen. Nicht würdig.“

Auftreten: Lange, meint sie, hätte sie sich durch ihre Behinderung klein gemacht. Hotels freundlich gefragt, ob sie behindertengerechte Betten hätten: „Aber mit einem Mal dachte ich: Nee! Wenn die Rolling Stones anrufen und Heu im Zimmer wollen, dann kriegen sie Heu.“ Seitdem verlange sie behindertengerechte Betten und betone dabei ihren adeligen Namen: „Und siehe da: Es klappt.“

Letzte Sicht: Daniela von Raffay weiß bereits, wo sie ihre letzte Ruhe finden möchte. Auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof, ebenfalls in Schöneberg. Da liegen auch die Brüder Grimm. Und die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm hat ein Ehrengrab. Von der von Daniela von Raffay gewählten Stätte aus blickt man auf einen Stein mit Aufschrift: „Trennung ist unser Los. Das Wiedersehen unsere Hoffnung. Die Liebe höret nimmer auf.“ Er gehört zu einer Gemeinschaftsgrabstätte, und ursprünglich wollte von Raffay mit mehreren Freundinnen direkt unter dem Stein liegen. Doch dann hätten sich alle Freundinnen zerstritten, hätten gesagt: „Neben der lieg ich nicht“. Lachend meint von Raffay: „Aber auf den Stein zu schauen, ist letztlich auch schöner.“

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