Wahlen in Berlin: Verlierer werden Gewinner
Die Wahlwiederholung bot Abgeordneten die Möglichkeit, ihre Niederlage in ein Comeback zu verwandeln. Etwa bei Burkard Dregger, Innenpolitiker der CDU.
Bei der Wahl 2021 hatte die Kandidatin der SPD dort das Rennen gemacht. Dregger, nicht auf der Landesliste abgesichert, war aus dem Abgeordnetenhaus geflogen. Die Wiederholungswahl birgt für den Verlierer die Chance, doch noch zum Gewinner zu werden.
Kurz vor 22 Uhr ist klar: Dregger hat es geschafft. Mit 37,2 Prozent, einem Plus von 13,3 Prozentpunkten, hat er die Schlappe von 2021 wettgemacht. Auch er spricht nun von einem „historischen Sieg“.
Der Blick auf die Berlin-Karte zeigt: Nahezu die gesamte Stadt außerhalb des S-Bahn-Rings ist schwarz. Von insgesamt 78 Wahlkreisen hat die CDU bei der Wiederholungswahl 48 (zuvor 21) geholt, die Grünen 20, die AfD 2, Linke und SPD jeweils 4. Die SPD hatte 2021 noch 25 Wahlkreise inne. Sogar Spitzenkandidatin Franziska Giffey und Fraktionschef Raed Saleh haben ihre Direktmandate verloren.
Kalt erwischt
Der 58-jährige Dregger, von Beruf Rechtsanwalt, saß schon von 2011 bis 2021 im Abgeordnetenhaus. Seit 2016 war er innenpolitischer Sprecher der CDU, seit 2018 sogar Fraktionschef. Der Verlust des Mandats erwischte ihn kalt. Notgedrungen habe er sein Anwaltsbüro am Ku'damm „wieder hochgefahren“, erzählt er.
Hört man sich bei der CDU in der Wahlnacht um, sagen Leute, Dregger sei ein politisches Talent. Statt ihm nach der Wahlniederlage 2021 wenigstens einen Posten als stellvertretenden Landesvorsitzenden anzubieten, habe ihn Parteichef Kai Wegner fallen gelassen. Wieder zurück, habe Dregger jetzt die Chance, Präsident des Abgeordnetenhauses zu werden. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass die stärkste Fraktion den Posten besetzt. Im Falle einer Regierungsbildung unter Führung der CDU sehe man Dregger sogar auf dem Posten des Innensenators.
Dregger selbst wehrt ab. Er beteilige sich nicht an Spekulationen. Auch in der Sondierungskommission der CDU sehe er sich nicht. Am Sonntag, als noch nicht klar war, ob er es schafft, sagte er, er sehe sich in der Rolle des „Hinterbänklers“. Am Montag klingt das schon ein bisschen anders. „Ich kenne meine Qualifikation, aber ich will demütig sein und abwarten, was passiert.“ Sein Anwaltsbüro werde er jetzt aber wieder „runterfahren“.
Stramm konservativ
Dregger gilt als stramm konservativ. Einige Äußerungen von ihm seien „mitunter nah dran an der AfD-Programmatik“, hatte der frühere Linkenfraktionschef Udo Wolf 2016 im taz-Interview gesagt. Das war kurz vor den Landtagswahlen, bei der die CDU nach kurzem Intermezzo aus der Regierung gewählt worden war.
Er lasse sich politisch nicht in eine bestimmte Ecke drängen, sagt Dregger. „Ich bin für Vernunft – für Recht und Ordnung.“ Er sei nicht mehr bereit, das Chaos hinzunehmen, das Rot-Grün-Rot in dieser Stadt „angerichtet“ habe. Es könne nicht angehen, dass kriminelle Banden den Alexanderplatz beherrschten, dass ein Clanchef, obwohl zu sieben Jahren verurteilt, aus dem Vollzug entlassen werde. Die Reihe von inkompetenten SPD-Innensenatoren müsse ein Ende haben.
Angesprochen auf die von CDU-Chef Wegner geforderten Vornamen von Tatverdächtigen nach den Silvesterkrawallen sagt Dregger, diese Debatte interessiere ihn nicht. Entscheidend sei, dass der Rechtsstaat durchsetzungsfähig sei – egal wie die Täter heißen. Den Wahlkreis, den er der SPD nun zum dritten Mal seit 2011 abgenommen hat, sei ein sozialer Brennpunkt ähnlich dem Wedding, viele Zuwanderer lebten dort. Gerade auch von den Moscheegemeinden und den Sportverbänden habe er ein „hervorrangendes Feedback bekommen“.
Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams, Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten, null Toleranz in der Drogenpolitik, Verteufelung des Antidiskriminierungsgesetzes: All diese Debatten wird Dregger im Abgeordnetenhaus nun wieder zu den seinigen machen. Offen mit seinen konservativen Positionen zu polarisieren, wie es sein Vater Alfred Dregger tat, entspricht aber nicht seinem Naturell. Dregger senior war von 1982 bis 1991 Fraktionschef der CDU im Bundestag.
Zu den Leuten, die sich bei der CDU-Wahlfeier als Fans von Dregger outen, gehört auch die frühere Bundeskulturstaatsministerin Monika Grütters, die zum liberalen Flügel des CDU-Landesverbands gehört. Sie habe ihn einst überredet, in die Politik zu gehen, erzählt sie. Als Law-and-Order-Mann „ohne Schaum vorm Mund“ preist sie Dregger, als eine „kultivierte, konservative Stimme“ und einen Mann „mit Anstand und Charakter“.
Menschlich komme man mit Dregger gut klar, bestätigt Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linken. Mit der Verlässlichkeit habe er aber andere Erfahrungen gemacht. Entgegen der Absprache habe die CDU die von den Linken als Richterin für den Verfassungsgerichtshof nominierte Lena Kreck durchfallen lassen. „Wir haben die Kandidatin der CDU gewählt, aber die haben uns ausgetrickst“, erzählt Schrader. Kreck ist heute Justizsenatorin.
Dregger war damals Fraktionschef. Er sei an der Absprache beteiligt gewesen, bestätigte er am Montag der taz. Auf das Stimmverhalten bei einer geheimen Wahl habe er aber naturgemäß keinen Einfluss. „Deshalb kann man das nicht kritisieren.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
Habecks Ansage zur Kanzlerkandidatur
Pragmatismus am Küchentisch
Solidaritätszuschlag in Karlsruhe
Soli oder Haushaltsloch
Belästigung durch Hertha-BSC-Fans
Alkoholisierte Übergriffe im Zug
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?