piwik no script img

Windkraft in Hamburger NaturschutzgebietKlima- gegen Naturschutz

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) will Windräder in Naturschutzgebieten errichten. Umweltverbände kündigen dagegen Klagen an.

In Hamburg noch immer eine Rarität: Windräder Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Hamburg taz | Sie sollen wildlebende Tier- und Pflanzenarten schützen: Der Erhalt von Biotopen und Lebensstätten von Tieren hat in Naturschutzgebieten oberste Priorität und darf durch menschlichen Eingriff eigentlich nicht gefährdet werden. Doch der Hamburger Senat hat nun bekanntgegeben, dass er die Voraussetzungen prüft, in seinen Naturschutzgebieten Windkrafträder aufzustellen. Schließlich solle damit der Klimakrise begegnet werden.

Das geht aus der Senatsantwort auf die Anfrage des Bürgerschaftsabgeordneten Sandro Kappe (CDU) hervor – und bringt auch Naturschutzverbände auf die Palme: Weil der Senat die Gebiete gefährde, kündigte der BUND umgehend an, gegen jedes dort künftig geplante Windrad zu klagen.

Gerade einmal 65 Windkrafträder stehen derzeit in Hamburg. Der rot-grüne Senat ist sich einig, dass sich die Zahl dringend erhöhen muss. Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) sprach kürzlich von 70 bis 100 neuen Anlagen, die gebaut werden sollen. Denn am 1. Februar tritt bundesweit das sogenannte „Wind-an-Land-Gesetz“ in Kraft.

Die Ampel-Koalition in Berlin will damit den Ausbau der Windenergie in Deutschland deutlich schneller als zuvor voranbringen. Ziel des Gesetzes ist es, bis 2032 bundesweit zwei Prozent der Fläche für Windkraftanlagen auszuweisen. Bislang sind erst 0,8 Prozent der Landesfläche für Windenergie an Land ausgewiesen.

Hamburg braucht dringend Flächen

Dafür gibt es für jedes Bundesland spezifische Flächenvorgaben: Während das Flächenland Niedersachsen 2,2 Prozent seiner Landesfläche bereitstellen muss, sind es in Hamburg 0,5 Prozent. „Wir teilen das regional fair auf, berücksichtigen dabei die Windbedingungen, den Natur- und Artenschutz und die räumlichen Ordnungen“, hatte Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) dazu erklärt.

Doch auch wenn es eine Entscheidung der Bürgerschaft gibt, die den Bau von Windrädern in Naturschutzgebieten ausschließt, hatte das Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) schon im vergangenen Sommer ins Gespräch gebracht. Schließlich gilt derzeit gerade einmal rund 0,02 Prozent der Landesfläche als ausgewiesene Windenergiefläche. Und die neue Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) habe die Einbeziehung von Naturschutzgebieten vor wenigen Tagen ebenfalls nicht ausgeschlossen, beklagt der BUND.

Bis 2032 muss Hamburg 0,5 Prozent seiner Landesfläche für Windkraft bereitgestellt haben

In der am Freitag öffentlich gewordenen Senatsantwort wird dieser anvisierte Weg konkreter: „Der Senat arbeitet behördenübergreifend daran, möglichst viele neue Standorte für Windenergieanlagen zu identifizieren“, heißt es in der Antwort auf Kappes Anfrage. Demnach werden nun die Voraussetzungen geprüft, wo Flächennutzungspläne geändert werden könnten.

Damit stünde die Tür auf, Windkraftanlagen auch in Naturschutzgebieten aufzustellen, beklagt Kappe. „Solange nicht alle potenziellen Standorte für Windkraftanlagen geprüft worden sind, darf keine Windkraftanlage in Naturschutzgebieten ertüchtigt werden“, fordert er.

Umweltverbände kritisieren Tschentscher

Angesichts des Zusammenhangs von Klimakrise und Artensterben hatte auch der Nabu schon deutliche Worte an den Bürgermeister gerichtet: „Wer wie der Bürgermeister latent die Klima- gegen die Biodiversitätskrise ausspielt, hat das wahre Ausmaß der Bedrohung leider noch immer nicht verstanden“, beklagt Malte Siegert, Vorsitzender des Nabu Hamburg.

Ohnehin ist die Frage, wie groß der Nutzen von Windrädern in den Naturschutzgebieten wäre. In Hamburg gibt es mehr als 30 Naturschutzgebiete. Mittlerweile stehen rund zehn Prozent der Landesfläche unter Naturschutz – damit hat Hamburg im Vergleich zu den anderen Bundesländern den höchsten Prozentsatz. Bei einer Landesfläche von rund 755 Quadratkilometern aber ist die Gesamtfläche der Hamburgischen Naturschutzgebiete, jedenfalls im Vergleich zu den deutschen Flächenländern, gering.

Dementsprechend ist auch die potenzielle Anzahl von aufzustellenden Windkrafträdern in Hamburger Naturschutzgebieten überschaubar. Und auf anderen Flächen in der Stadt gäbe es kaum oder nur geringe Umwelteinbußen. So hatte auch Umweltsenator Kerstan verkündet, die meisten Windräder sollten in den Hafen kommen.

Genau darauf pocht nun auch der BUND: „Im Zweifel wird der Senat bei jedem einzelnen Bauantrag vor Gericht darlegen müssen, warum er dem Ziel der Bundesregierung, in Hamburg 0,5 Prozent der Landesflächen für Windkraft zur Verfügung zu stellen, nicht im Hafen, auf Gewerbe- oder landwirtschaftlichen Flächen nachkommen kann“, sagt die Vorsitzende Christiane Blömeke.

Mit der Klageandrohung erschwert der BUND den von ­Tschentscher angestrebten Bau der Windräder in Naturschutzgebieten. Die Zeit zur Ausweisung von Flächen für die Windkraft ist knapp. Denn das Wind-an-Land-Gesetz gibt auch vor, dass Hamburg schon Ende 2026 0,25 Prozent seiner Landesfläche – also die Hälfte der für 2032 vorgegebenen Fläche – bereitgestellt haben muss. Eine Klage würde den Senat also wertvolle Zeit kosten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Ich würde es umgekehrt formulieren:



    Wer wie der NABU latent die Biodiversitätskrise gegen die Klimakrise gegen ausspielt, hat das wahre Ausmaß der Bedrohung leider noch immer nicht verstanden.



    Andere Umweltverbände (uA Greenpeace, WWF) sind da schon weiter.

  • Ich sach mal so: Windräder kann man wieder abbauen. Mit AKWs ist das deutlich schwieriger und in Sachen Endlagerung gibt es immer noch keine gefahrlose und vernünftige Regelung. Müllraketen zur Sonne! Aber das kostet!

    Bei einem realsistischen, massiv steigenden Strombedarf braucht es Lösungen. Das kann die Windkraft alleine nicht lösen. Alle Dächer, wo es nur geht, mit Photovoltaik ausstatten. Auch das dürfte evtl. nicht reichen. Biogasanlagen ausbauen.



    Noch besser Stromfresser aussondern wo es nur geht.



    Schneekanonen zum Beispiel.

    • @Herry Kane:

      Das folgt der Logik, dass man nur ohne Rücksicht auf die Natur alles zupflastern muss und alle Kritiker wohl NIMBYs sind. Im Ergebnis wird eine vernünftige Standortwahl verhindert und Artenschutz und Klimaschutz geraten voll und ganz auf Konfrontationskurs. Das kann keine Lösung sein; eine Lösung wäre, nicht nach Landesgrenzen irgendwelche schachsinnigen Quoten auszudenken, sondern großräumig so zu planen, dass WKA dort stehen, wo am meisten Wind ist und wo am wenigsten Schaden angerichtet wird. Dank Geographischer Informationssysteme (GIS) ist das kein Hexenwerk.

      Wer Arten- und Naturschutz gegen Klimaschutz ausspielt, hat schon verloren.

      • @Axel Donning:

        Ist das Kritik an meinem Post?



        Natur und Dächer?



        Standortwahl ist natürlich richtig, aber die zugehörigen Stromtrassen auch.



        Arten- und Naturschutz muss auch meiner Ansicht nach Vorrang haben.

        • @Herry Kane:

          Nee - ich war wieder zu doof den Post richtig zu platzieren - er sollte unter den Artikel.