Kinotipp der Woche: Zerrbild nach Osten und Westen
Die Retrospektive „Überblendung“ in der Brotfabrik zeigt wie Ost und West sich während der deutschen Teilung in Film und TV gegenseitig inszenierten.
Auf der einen Seite der Mauer: Von der Obrigkeit geknechtete arme Schlucker, ständig von der Stasi gegängelt, deren ganzes Leben aussieht wie ein Stück Graubrot, während die russlandhörigen Parteibonzen in Saus und Braus leben. Auf der anderen: Fettgefressene Kapitalistenungeheuer, die ihre Naziuniformen zwar noch im Kleiderschrank hängen haben, jetzt aber lieber im ordentlichen Anzug ihre krummen Geschäfte einfädeln, gerissen und hinterlistig, aber eigentlich dumm wie Brot.
So ungefähr zeichneten sich DDR und BRD gegenseitig. In den Medien, dem Kino, den Schulen, eigentlich überall. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann schon bald der Kalte Krieg, mit Gründung der DDR und der BRD standen sich fortan nicht nur zwei Staaten gegenüber, sondern auch zwei Systeme, die sich unerbittlich bekämpften. Auch wenn Willy Brandts Entspannungspolitik zunehmend Raum für so manche Differenzierung und Annäherung schuf.
Das Lustige oder zumindest Interessante: An den Zerrbildern, die die beiden Deutschlands voneinander entwarfen, war ja auch so manch Wahres dran. Die DDR war ein Unterdrückungsstaat, und in der BRD hielt man es lange Zeit wirklich nicht für nötig, sich glaubhaft von den alten Nazis zu distanzieren, die bezüglich ihres Treibens im Dritten Reich unter akutem Gedächtnisschwund litten.
Die aufwendig recherchierte, mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur geförderte Filmreihe „Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West“ zeigt nun, wie sich BRD und DDR gegenseitig in Film und Fernsehen gezeichnet haben. Welche Klischees entworfen wurden, wie die Propaganda arbeitete. Zig dieser thematisch passenden Fernseh- und Kinofilme sowie Dokumentation wurden ausgegraben für das Sonderprogramm, das noch bis zum 29. Januar in der Brotfabrik läuft.
„Überblendung. Vergessene Bilder von Ost und West“, Brotfabrik, bis 29. Januar, Caligariplatz 1
Die gezeigten Filmdokumente sind zum Großteil keine cineastischen Perlen, die endlich als große Filmkunst geehrt gehören. Sondern oftmals Obskuritäten von eher historisch-skurriler Bedeutung. In jedes der gezeigten Werke wird in der Reihe durch einen Vortrag eingeführt, der diese genauer einordnet.
Man bekommt so zum Teil wunderbar groteske Dinge zu sehen. Etwa in „Geisterstunde“ (DDR, 1967), einer Dokumentation, für die die DDR-Filmemacher Walter Heynowski und Gerhard Scheumann die Wahrsagerin Margarethe Goussanthier alias „Madame Buchela“ besuchen und interviewen konnten.
Buchela, die in Remagen in Rheinland-Pfalz lebte, war eine große Nummer in der Wahrsager-Szene, von überall her kamen die Leute, um sich von ihr die Zukunft vorhersagen zu lassen, gerüchteweise sogar Konrad Adenauer. Ihre Berliner Kollegin Ursula Kardos, das legt zumindest dieses Dokumentation nahe, empfing dafür Willy Brandt.
Hokuspokus, das wird in „Geisterstunde“ dauernd unterstellt, ist eine riesige Sache in der BRD. Sogar die Politiker von ganz oben seien dafür anfällig. Und die Buchela garantiert eine Multimillionärin, obwohl diese, die sich zwar schon für die Beste ihrer Zunft hält, eigentlich ganz bescheiden lebt.
Auf der anderen Seite gibt es da etwa einen Spielfilm wie „Flucht nach Berlin“ (BRD, 1960/61) von Will Tremper. Schon gleich zu Beginn des Films rollen die überzeugten Sozialisten der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) in einem kleinen Bauernkaff ein, hängen überall LPG-Plakate auf und machen den Landwirten klar, dass nun eben die Kollektivierung auch ihrer Betriebe anstehe, ob sie das wollen oder nicht.
Die Bauern wollen eigentlich eher nicht, aber die übereifrigen Jungkader machen schnell klar: Um ein freiwilliges Wollen geht es längst nicht mehr. Und so erzählt auch Wili Temper von der Wahrheit, aber auch von einer ganz schön propagandistisch gefärbten Wahrheit. Immerhin tauchen in seinem Film wenigstens noch ein paar West-Berliner auf, die auch nicht gut wegkommen in seiner Geschichte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein