Integrationsdebatte nach Silvester: Wir müssen uns damit beschäftigen
Nach der Silvesternacht herrschen in Deutschland Rassismuswochen. Die Debatten sind reine Provokation, doch man kann sich nicht raushalten.
In Deutschland sind mal wieder Rassismuswochen. Mit Berlin-Special, weil dort Wahlkampf ist: Im Wahlkampf gegen Ausländer hetzen ist ein bewährtes Konzept. Man fängt Stimmen, indem man Ängste schürt und all denen die Schuld gibt, „die nicht deutsch genug sind“ (was auch immer das sein soll). Dabei holt man auch Leute in ihrem Rassismus ab, den sie ohnehin mal wieder gerne ausleben wollten. Viele von denen, auf deren Kosten das alles passiert, können eh nicht wählen.
So also stecken wir seit der Silvesternacht, in der es Angriffe auf Feuerwehrleute und Rettungskräfte gab, in einer unangenehmen Integrationsdebatte: Viele Politiker*innen oder Medienschaffende of Color sahen sich gezwungen, Stellung zu beziehen, zu erklären, zu rechtfertigen. In diesen schnellen, unter Reaktionsdruck entstandenen Aussagen sieht man gut, wie das Framing funktioniert und die Debatte verschoben wird.
Viele verurteilten die Gewalt an Silvester und baten um eine differenzierte Betrachtung. Einige listeten auf, wie viele nützliche gesellschaftliche Beiträge von Migrant*innen und PoC geleistet werden. Ich nahm kaum Stimmen wahr, die die Beschreibung der Silvesternacht an sich hinterfragten und die daran erinnern, dass die Polizei keine neutrale Quelle ist, sondern auch eigene Interessen verfolgt.
Es geht um Ablenkung
Toni Morrison beschrieb Rassismus einmal als eine Ablenkungstaktik: „Die Funktion, die sehr ernste Funktion von Rassismus ist die Ablenkung. Er hält dich davon ab, deine Arbeit zu tun. Er lässt dich immer wieder erklären.“ In den letzten Wochen ließen selbst erfahrene Journalist*innen, Politiker*innen und viele Menschen, deren Berufsbezeichnung irgendwas mit Diversität ist, ihre eigentliche Arbeit liegen, um sich und uns alle zu verteidigen.
Mit „uns“ meine ich in diesem Fall nicht nur: Migrant*innen mit und ohne deutschen Pass, Schwarze Menschen und andere Poc, sondern alle, die antifaschistisch aktiv sind oder einfach keinen Bock auf eine rassistische Gesellschaft haben. Sicher: Wir können rassistische Behauptungen nicht unwidersprochen lassen – doch wir müssen auch nicht über jedes Stöckchen springen. Integrationsdebatten sind Schrott. Es kommt nie irgendetwas Gutes dabei rum. Es ist reine Provokation, die von Leuten ausgeht, die keine Ideen oder kein Interesse daran haben, große Fragen anzugehen. Also soziale Probleme zu lösen und die Umwelt zu schützen.
Trotzdem können wir rassistische Aussagen nicht ignorieren. Wir können uns oft nicht entscheiden, uns nicht ablenken zu lassen und entspannt unseren Dingen nachgehen. Wir müssen uns damit beschäftigen, weil diese Aussagen gefährlich sind. Denn sie bereiten das politische Klima, das zu rassistischer Gewalt, Übergriffen und Terroranschlägen führt.
Wenn sich wieder wer fragt, ob sich PoC zu wenig für das Klima engagieren: Hätte ich nicht das Gefühl gehabt, dass dieser Text heute sein muss, hätte ich über Lützerath geschrieben.
Leser*innenkommentare
Philippo1000
Integrationsdebatten sind Schrott?
Wie ist dann dieser Beitrag zu verstehen?
Den Begriff " AusländerIn" kann man/frau ja in dem Bewustsein benutzen, selbst Teil der Gruppe zu sein, ist ja nur ortsabhängig.
Nun verstehe ich die Autorin so, dass Sie für praktisch Alle sagen wir mal - Menschen mit Migrationshintergrund - spricht?
Eine nicht einfache Aufgabe, bei ein paar Millionen.
Hinzu kommt, dass sich ja bereits einige Menschen mit Migrationshintergrund zum Thema gemeldet haben und die Übergriffe ebenfalls verurteilten. Mehrere Artikel gab es dazu auch in der Taz zu lesen.
Wir bilden gemeinsam eine Gesellschaft in Deutschland,
ob mit oder ohne deutsche Staatsbürgerschaft.
Eine Gesellschaft stellt sich selbst Regeln auf.
Somit empfinde ich Debatten auch sinnvoll, denn wenn, wie hier, andere Menschen angegriffen werden, ist das ein Angriff auf unsere, gemeinsame, Gesellschaft.
Diese Diskussion als "Rassismuswochen" zu bezeichnen, lehne ich , als Demokrat, ab.
Nur durch Diskussion und Zuhören können gemeinsame Wege gefunden werden.
Rassismus ist selbstverständlich abzulehnen. Doch der Teufel sitzt im Detail: was verstehen wir darunter?
Oft wird, wie im vorliegen Fall, Kritik am Handeln von Menschen mit Migrationshintergrund, als rassistisch veruteilt. Sind Menschen mit Migrationshintergrund unfehlbar?
Das würde dann weit über die genannte Gruppe hinausreichen, denn als Mitteleuropäer sind wir ja eigentlich Alle irgendwie Zugewanderte.
"Die Debatten sind reine Provokation"
Wie kann eine Debatte eine Provokation sein?
Die setzt ja bereits unterschiedliche Standpunkte voraus.
Meiner Meinung nach brauchen wir genau diese Debatten. Auch offiziell wollen wir nun Einwanderungsland werden, wer wenn nicht wir selbst, soll dieses Land gestalten?
Eine große Anzahl an Parallelgesellschaften halte ich nicht für zielführend. Ebensowenig wie Sprechverbote.
Wenn der eine, oder andere Politiker sich rassistisch äußert, ist er jetzt genau einzuschätzen.
Puky
Leider die übliche Vorgehensweise. Kritik wird als Rassismus bezeichnet. Die Situation wurde ausschließlich durch Rassismus herbeigeführt und die Polizei ist nicht neutral, sondern mehr oder weniger eine Organisation, die ihr eigenes Süppchen kocht. Mit dieser Art der Argumentation werden die Ereignisse von Sylvester legimitiert, die Polizei delegimitiert und jede offene Diskussion unterbunden.
Danywieueblich
@Puky Leider die übliche Vorgehensweise von den sich-gern-gennanten Ureinwohner. Rassismus wird als Kritik bezeichnet. Die Situation wird ausschließlich durch "Kritik" herbeigeführt und die Polizei ist neutral, mehr oder weniger eine Organisation, die nie "racial profiling" durchgeführt hat und bei der keine Mitglieder faschistischer Organisationen arbeiten. Mit dieser Art der Argumentation werden die Ereignisse von Sylvester verteufelt und die Migranten als Problem verallgemeinert, die Polizei legimitiert und jede offene Diskussion unmöglich gemacht.