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Kälteprotzen in KatarHier wird nur kalte Luft produziert

In Doha bläst es aus den Klimaanlagen, als gebe es kein Morgen. Dabei wird es jetzt kaum mehr als 29 Grad warm.

Auch im Stadion sorgen die Klimaanlagen für unangenehme Kühle Foto: Federico Gambarini/dpa

D iese WM wird als WM der Gebläse in die Fußballgeschichte eingehen. Es wurde so viel kalte Luft erzeugt wie noch nie. Überall wird aus vollen Rohren geblasen. In Bussen, in Konferenzzentren, in U-Bahnen, ja sogar im Stadion laufen die Klimaanlagen auf Hochtouren. Die Kaltluftlöcher glotzen einen dutzendfach, hundertfach, tausendfach an, und ihre polare Fracht wird mit unerbittlicher Penetranz in die Atmosphäre geschickt.

Vielleicht reicht meine Auffassungsgabe ja nicht aus, um den katarischen Klimawahnsinn zu verstehen. Also frage ich mich immer noch: Warum in Allahs Namen wird ein Stadion bei einer Außentemperatur von 26 Grad auf 22 Grad herunter­gekühlt – mit einem aberwitzigen Aufwand? Warum muss in Innenräumen eine Temperatur von 17 oder 18 Grad herrschen, wenn es doch völlig reichte, auf 23 Grad zu dimmen? Oder meinetwegen auch gar nicht.

Die ganz große Hitze in Doha ist vorbei, deswegen sprechen wir ja auch von einer Winter-WM. Tagsüber wird es jetzt kaum mehr als 29 Grad warm, nachts sinkt die Temperatur auf 18 oder 19 Grad ab. Die Gebläse laufen trotzdem überall, was kein mitteleuropäischer Organismus auf Dauer aushält. Einer nach dem anderen ist hier krank geworden. Der ewige Heiß-kalt-Wechsel mag anfangs noch wie eine Kneipp-Kur wirken, nach drei, vier Wochen der WM-Auszehrung treffen die arktischen Ströme auf ausgemergelte Körper ohne Resistenzen.

Katarrh in Katar ist das Motto, und die Kollegen gehen fast alle an ihre Vorräte an Aspirin oder Ibuprofen. Klimaanlagen sollen angeblich ein Zeichen des Wohlstands sein, und je kühler man es in der Wüste machen kann, desto reicher darf man sich fühlen. Toll, wir domestizieren die Natur! Wir machen Wetter!

Ja, darum scheint es hier zu gehen: ums Kälteprotzen. Dieses Protzen findet auch in anderen Bereichen statt. Das Grünflächenprotzen, obwohl das Wasser knapp ist. Das SUV-Protzen, obwohl …, äh, nein. Fossile Brennstoffe sind genug da. Und das ist wohl ein Teil des Protz-Problems.

Ich verstehe, dass man im katarischen Hochsommer kühle Ecken sucht, habe aber auch gelesen, dass es viele dieser Fälle gegeben hat: Wanderarbeiter, die sich nach einer Hitze­schlacht auf der Baustelle, womöglich dehydriert, zur Erholung in eine katarische Kältekammer begaben. Sie schliefen ein und wachten nie wieder auf. Der Kreislauf kollabierte. Sie kehrten im Sarg in die Heimat zurück. Klimaanlagen sind Killer, auf vielen Ebenen. Aber in Doha bläst es, als gebe es kein Morgen.

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