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Katarische KonsumtempelIhr könnt mich alle Mall!

Einkaufszentren in allen Größen stehen wie Mahnmale des Wohlstands in Doha herum. Sogar Schlittschuh laufen kann man da.

In Katar ist es auch nicht anders als in Italien. Oder etwa doch? Das Villaggio in Doha Foto: Tom Weller/dpa

D ie Metro-Station Al-Aziziyah ist, egal zu welcher Tageszeit, immer überlaufen. Die Shopping-Wütigen sind hier unterwegs. Sie wollen vor den Fußballspielen in die wohl bekannteste Mall von Doha: Villaggio. Am Ausgang von Al-Aziziyah kommt es zu einem großen Palaver. Eine Frau aus dem Senegal nimmt es lamentierend mit einem Dutzend Polizisten auf.

Die Ordnungshüter bleiben auf Distanz und lassen die Frau zetern. „Das ist so typisch Katar“, ruft sie. „Was ist das nur für ein Land?“ Sie hat eine Trommel dabei. Vielleicht hat man sie nicht trommeln lassen vor der Mall, vermute ich – und gehe über den Parkplatz mit den Schattenspendern für die SUVs, hinein ins Villaggio, das Shopping-„Dorf“.

Kollegen haben gesagt, ich müsste mir das ansehen. Nun stehe ich also leicht benebelt in der Eingangshalle und blicke auf den azurblauem Himmel, den sie an die Decke gemalt haben, mit Kitschwölkchen. Am Abend leuchten die Sterne am Firmament. Was für eine abgeschmackte Truman-Show! Wenn ich den Blick vom Villaggio-Baldachin abwende, sehe ich diesen knapp 200 Meter langen Kanal, auf dem Gondeln im venezianischen Stil schippern.

Asiatische Gondoliere staken katarische Familien und marokkanische Fans über den Kanal. Nicht etwa italienische Renaissance-Klänge sind zu vernehmen, halbwegs passend zum Themenpark, nein, der Muezzin ruft gerade scheppernd zum Gebet, so atonal, dass einem fast die Einkaufstüte aus der Hand fällt.

Eislaufen in Doha

Am Ende von Klein-Venedig wartet eine Eislaufarena auf die Besucher. Ich sehe aber niemanden auf Schlittschuhen. So gehe ich weiter, in diesen oder jenen Trakt vom Villaggio. Artifizielle Palazzo-Atmo da, wo an jeder Ecke ein Gucci-Laden lauert. Luxusmarken, unbezahlbarer Schnickschnack.

Dann verirre ich mich im Labyrinth der Gänge, der Shops, Supermärkte und Foodcourts. Ich renne raus. Ihr könnt mich Mall! Unerträglich das Ambiente, die Unruhe in dieser angemalten Konsumhölle, und erst später lese ich, dass hier vor zehn Jahren 19 Menschen, darunter 13 Kinder, bei einem Feuer umgekommen sind.

Malls in allen Größen und Ausführungen stehen in Doha als Mahnmale des Wohlstands herum. In unmittelbarer Nähe unseres Apartment gibt es allein zwei dieser Trutzburgen. Im Sommer, wenn die Temperaturen in Katar über 40 Grad klettern und sich das Leben nur noch in (über)klimatisierten Innenräumen abspielt, werden sie zum natürlichen Tummelplatz, zur Agora. Mit einem italienischen Villaggio hat das nichts zu tun, assolutamente niente.

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Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
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7 Kommentare

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  • Und nichts dieser küstennahen Gebilde wird dieses Jahrhundert überstehen.

  • Diese Malls sind kein katarisches Phänomen, die Teile sind im zentralarabischen Raum seit Jahrzehnten bei den Einheimischen beliebt. Ich war Mitte der Neunziger Jahre in Saudi-Arabien und habe einige dieser Malls von innen gesehen.

    Letztlich bieten sie aber auch verschleierten Frauen die Möglichkeit, sich z.B. bei der Anprobe von Klamotten auch mal halbwegs unverhüllt zu zeigen.

    • @Tenderloin:

      ein Venedig wie dieses gibt es auch in Las Vegas und Tenderloin in San Franzisco

  • So etwas kommt dabei heraus, wenn sich sehr viel Geld mit sehr schlechtem Geschmack verbindet.

    • @Jim Hawkins:

      Ja aber die Kohle dafür kommt aus Europa und anderen Energieabnehmern. Mit Gewürzhandel und Perlentauchen ist das nämlich nicht zu stemmen, bzw. da hat man oft einen besseren Geschmack entwickelt.

  • Wovon leben diese Malls, wenn in Katar abseits der WM nur 2,4 Millionen Menschen leben, von denen viele nicht reich sind?

    • @Sonntagssegler:

      na ja es gibt genug Reiche und die geben viel aus