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Serie „Wednesday“Makeover für eine Goth-Ikone

Netflix hat die Figur der missgelaunten Teenagerin aus der „Addams Family“ ins Heute übersetzt. Dabei hat „Wednesday“ an Charme eingebüßt.

Jenna Ortega ist die neue „Wednesday“, hier zu sehen als deren Vorfahrin „Goody Addams“

Noch kurz vor Jahresende hat Netflix seinen nächsten Megahit gelandet. Die Serie „Wednesday“ sei weniger als einen Monat nach Veröffentlichung mehr als eine Milliarde Stunden gestreamt worden, sagt die Streamingplattform. Nur „Squid Game“ und die vierte Staffel von „Stranger Things“ übertreffen diese Zahl noch.

Die achtteilige Erzählung um die titelgebende Tochter (Jenna Ortega) der längst kultigen „Addams Family“ hat selbst über Netflix’ Grenzen hinaus einen regelrechten Hype ausgelöst. Modezeitschriften und Fashion Blogs analysieren ihre düstere Garderobe, verkünden gar die Rückkehr des Goth-Lifestyles als den Trend schlechthin. Eine Entwicklung, die überrascht mit Blick auf die Vorlage aus den Neunzigern, die beiden „Addams-Family“-Filme von Barry Sonnenfeld. Nachdem die Komödien erschienen waren, setzten sich knallbunte Kleidung, Tattoo-Ketten aus Plastik und das „Arschgeweih“ durch.

Die Wednesday des Kinos (Christina Ricci) stand nicht nur durch ihr immergleiches Kleid mit weißem Kragen und den zu strengen Zöpfen geflochtenem Haar in Konflikt mit ihrer Zeit. Ihre stoische Art sowie ihre Romantisierung von Leid und Tod waren geradezu unvereinbar mit dem hedonistischen Zeitgeist am Ende des letzten Jahrtausends, das bekanntlich von Party-Euphorie und Popstarkult geprägt war. Wednesday war grundlegend anders, auch aufrührerisch. Unvergessen ist ihre Sabotage eines Thanksgiving-Theaterstücks und ihre furiose Rede über die Gräueltaten der Siedler gegen die amerikanischen Ureinwohner.

Christina Ricci als „Wednesday“ in der Serie von Barry Sonnenfeld 1993 Foto: Mary Evans/AF Archive/Paramount Pictures

Wie kommt es, dass dieses Idol unwillkommener Ein­zel­gän­ge­r*in­nen plötzlich für derart breite popkulturelle Begeisterung sorgen kann, gar als Stil-Ikone gehandelt wird? Die oscarprämierte Kostümbildnerin Colleen Atwood („Edward mit den Scherenhänden“) ist zum Teil dafür verantwortlich. Sie verleiht Wednesday gegenüber den Filmvorlagen, die sich noch an der TV-Serie der 1960/70er sowie den Cartoons des New Yorker der 1930er Jahre orientierten, einen modernen Look. Auch wenn die „gruftige“ Protagonistin weiterhin mehrheitlich in Schwarz zu sehen ist, gehören nun auch Kapuzenpollover, Denim- und Lederjacken sowie gestreifte T-Shirts zu ihrer Garderobe. Atwood sagte der Modeplattform Refinery29, sie habe den Stil der Figur der heutigen, von TikTok geprägten Welt anpassen wollen.

Das Ziel, etwas zu kreieren, das an aktuelle Trends anschließt, ist auch in der Geschichte, in die die Kultfigur eingebettet ist, wiederzuerkennen. Die Story verbindet zwei höchst angesagte Teengenres miteinander: Highschool-Drama und Murder Mystery. Denn die Eltern Morticia (Catherine Zeta-Jones) und Gomez (Luis Guzmán) schicken Wednesday auf ein Internat für Jugendliche mit übersinnlichen Fähigkeiten oder monströsen Attributen. Im Umfeld dieser „Nevermore Academy“ ereignen sich mysteriöse Morde, auch ein überwunden geglaubter Verdacht gegen Wednesdays Vater wird neu aufgerollt, weshalb sie nun auf eigene Faust Ermittlungen anstellt.

Die Serie

„Wednesday“, 8 Episoden, bei Netflix

Wednesday, die Morde aufzuklären versucht, anstatt sich an ihnen mit morbider Freude zu ergötzen? Von dem, was die Figur bislang verkörperte, ist das denkbar weit entfernt. Zudem entspinnt sich bald eine recht konventionelle Erzählung um typische Coming-of-Age-Elemen­te, wie die Komplexität von Freundschaft und die erste Liebe.

Gleich zwei junge Männer werfen ein Auge auf Wednesday: Xavier (Percy Hynes White), Mitschüler und geplagte Künstlerseele, sowie das „süßer, aber schüchterner Barista“-Klischee Tyler (Hunter Doohan).

Die modernisierte Wednesday ist ein Bruch mit der alten, aber auch mit sich selbst. Wednesday war Galionsfigur jugendlicher Außenseiter*innen, indem sie sich mit einer gewissen Erhabenheit vom gemeinhin Akzeptierten absetzte und dabei mitunter sogar bissige Kritik an dessen Heuchelei anbrachte. Die Netflix-Wednesday hingegen nähert sich in ihrem Verhalten bisweilen dem Normalen an, etwa wenn sie sich bei aller zunächst zur Schau gestellten Abneigung für ihre zwei durchschnittlichen Verehrer interessiert.

Nur ihre Aussagen transportieren weiterhin eine scharfzüngig-charmante Antihaltung. Etwa wenn sie mit „Die Hölle, das sind die anderen“ Jean-Paul Sartre zitiert und den Existenzialisten als ihren ersten Schwarm bezeichnet – oder wenn sie die sozialen Medien „seelensaugender Hohlraum der bedeutungslosen Bestätigung“ nennt.

„Gothic“-Kultur und Mainstream-Serie

Könnte nun „Wednesday“ ein echtes Goth-Revival auslösen? Schwerlich. Was zu beobachten ist, ist höchstens ein Comeback der Ästhetik der Subkultur, etwa auf TikTok. Dort machen Unzählige eine Choreografie aus der Serie nach. Bei der Musik hört die Begeisterung für die „Szene“ für viele allerdings schon auf: In den meisten TikTok-Clips wird der Originalsong aus der Serie kurzerhand ersetzt. Aus „Goo Goo Muck“ der Gothabilly-Band The Cramps wird Lady Gagas zugänglicherer Popsong „Bloody Mary“.

Nimmt man die Gothic-Kultur in ihrer Begeisterung für die Schwarze Romantik ernst, geht ihr Reiz in erster Linie von ihrer Suche nach der Schönheit des Dunklen in Literatur, Film und Kunst aus. Weil diese Schönheit Tiefgründigkeit verspricht. Was oft mit einer lebensverneinenden Einstellung verwechselt wird, meint eigentlich nur die Verneinung des Mainstreams, des Oberflächlichen, das Gegenteil des Gedankenvollen.

„Wednesday“ ist immer dann am wirkungsvollsten, wenn sie sich genau dieser Verneinung annähert. Dank dieser Negation sticht die von Alfred Gough und Miles Millar („Smallville“) entwickelte Serie trotz aller Trendigkeit überaus wohltuend aus dem Einheitsbrei aus Gegenwartsgeschmack hervor, der bei Netflix bisweilen zu finden ist. Etwa in besagten bissigen Kommentaren, und immer dann, wenn die Addams Family mitsamt ihrer Marotten eben nicht als dysfunktional, sondern als liebevoller, ja als aufrichtigerer Gegenentwurf zum bigotten Eitel-Sonnenschein-Familienideal gezeigt wird.

Unterhaltsam ist die morbide Kultfigur „Wednesday“ also auch im 21. Jahrhundert, keine Frage. Man kommt allerdings nicht umhin, sich vorzustellen, wie viel Spannenderes möglich gewesen wäre, hätte man sie in weniger trendtaugliche Genrekontexte übersetzt und sie „in verrückter Tradition“ ein wenig öfter die Oberflächlichkeiten unserer Zeit hätte anprangern lassen.

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6 Kommentare

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  • Mir hat die Serie super gefallen und die Leistung von Jenna Ortega war für ihr Alter toll, auch wenn ich es besser gefunden hätte, wenn sie die S. Stallone Mimik (One face for all situations) noch konsequenter durchgehalten hätte. Story und Setting war für eine US-Kinder-Serie wohl am Limit dessen was an Subversion möglich ist.



    Aber vielleicht gibt es ein britisch-schwedisches Remake? (Monty Python meets Lat den rätte komma in)

  • Ärgere mich auch über die Umarmung mit Enid am Ende! Ja finde auch sie hätten Wednesday etwas unangenehmer und weniger gefällig halten können... Aber es ist aktuell eine der deutlich besseren Serien!

  • Abscheulich ist sie. Die Serie. Das Morbide wird aufgeweicht. Zu oft glimmert hier dieses fast lächeln können trotz tiefefster Deperiesrtimmung hervor. Ach ja hat es etwa etwas von dem Charme von was neuem Geistigen fern der ursprünglichen Addddamsfamilie.?! Aber es hat was. Eiskalte Hand wird der Spießer, das man sich lieber unter dem LKW - Rad vorstellen kann.Alles glibbert sich wie ekliger Schleinm in die schmutzige Seele des Sehers. macht keinen Spaß wie es sein soll, eher Kälte. ach ich ekele mich vor einer Fortsetzung. Es wird neuer Ekel kommen - ich werde es hassen - hasen - hassen, diese neue Staffel

  • Ach herrje. Kann man so einen schönen "Mist" nicht einfach genießen? Muss eine pseudointellektuelle Kritik ran?

    • @Christian Ziems:

      Ja, da muss Kritik angebracht werden, wwnn die Addams Family nicht mehr das ist, was sie mal war. Da hätten sich die Macher trauen und eigene Charaktere entwerfen können. Auch wenn diese vielleicht an die Addams angelehnt gewesen wären. So wurde eher eine Fanfiction geschrieben, die nicht ohne Lovey-Dovey auskommt.

    • 0G
      06455 (Profil gelöscht)
      @Christian Ziems:

      Bin ganz Ihrer Meinung.



      Habe den " Mist" mit viel Vergnügen geschaut.