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Weihnachten in IsraelLametta als Akt zivilen Ungehorsams?

Feiern oder lieber doch nicht? Das Christfest sorgt in Israel für Streit. Einige sehen darin eine Möglichkeit, gegen die neue Regierung zu protestieren

Ein Weihnachtsmann am Strand von Tel Aviv am 22. Dezember Foto: Nir Elias/reuters

Es fing mit Netflix an“, erzählt Shahar Narkis am Telefon, „mit ‚Scrooge‘, einem Weihnachtsmusical und Angelas Weihnachten.“ Plötzlich wollten auch seine zwei Töchter in Ramat Gan, einer Stadt direkt angrenzend an Tel Aviv, einen Weihnachtsbaum. Wollten bunte Lichter, rote Kugeln – und natürlich Geschenke.

Da steht er nun, ein grüner, kniehoher Tannenbaum aus Plastik, geschmückt mit silbernem Lametta und einem goldenen Stern auf der Spitze. Direkt neben der Chanukkia, dem achtarmigen Leuchter, mit dem das jüdische Lichterfest Chanukka begangen wird. Oft, wie auch in diesem Jahr, fallen Chanukka und Weihnachten zusammen. Zu Weihnukka konnten die beiden Mädchen allerdings nicht einladen – Oma wäre nicht begeistert, erklärte Avneri seinen Töchtern und schrieb „Chanukka“ auf die Einladung. Der Baum aber konnte stehen bleiben.

Im religiösen Judentum ist es verboten, Statuen und Bilder anzubeten. Nun ist der Weihnachtsbaum streng genommen weder Statue noch Bild und wird auch nicht angebetet. Aber es gibt auch christlichen Symbolen gegenüber mitunter Vorbehalte. In der Geschichte der jüdischen Diaspora haben einige Rabbis dazu aufgerufen, vom Weihnachtsbaum Abstand zu nehmen – wobei viele jüdische Familien in den westeuropäischen Ländern Weihnachten gefeiert haben – jedoch ohne religiöse Bedeutung.

Weihnachten wird in Israel mittlerweile genauso gefeiert wie Halloween und Valentinstag. Dass Jesus vermeintlicher Geburtsort Bethlehem um die Ecke liegt – wenn auch in den besetzten Gebieten und für Israelis eigentlich nicht erreichbar –, dürfte den meisten in diesem Kontext entgehen. Genauso spielt keine Rolle, dass palästinensische Christen das Fest schon seit Langem feiern, in Israel wie im Westjordanland.

Inspiration in Italien

Yosi Avinoam, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, ist in diesem Jahr sogar nach Italien gereist, um sich in Sachen Weihnachtsschmuck inspirieren zu lassen. Umringt von goldenen Weihnachtsbaumkugeln, rot-weißen Weihnachtsmannmützen und aufblasbaren Nikoläusen steht er in seinem Laden in der Matalon Straße in Tel Aviv. „Die Leute fragen mich oft, ob ich ein Problem damit habe, Weihnachtsschmuck zu verkaufen“, sagt er und zeigt auf die Kippa auf seinem Kopf: „Aber ich feiere das Fest ja nicht.“

Nebenan sieht es anders aus. „Ich fühle mich furchtbar“, sagt die Ladenbesitzerin, Tattoos auf den Armen, blondierte Haare und kantige, schwarze Brille: „Jahrelang habe ich mich dagegen gewehrt, Weihnachtsaccessoires zu verkaufen“, sagt sie: „Alle sollen die Feste feiern, die sie feiern wollen. Aber ich bin gläubige Jüdin.“ Sie zeigt auf die Weihnachtsmützen und verzieht ihr Gesicht: „Das zerstört meinen Glauben.“

Dass ein Posting der Tel Aviver Stadtverwaltung allerdings einen Shitstorm auslösen würde, hatten wohl die wenigsten erwartet.Auf der Facebook-Seite kündigte die Stadtverwaltung öffentliche Veranstaltungen zu Chanukka und Weihnachten an. „Dies ist ein jüdisches Land!“, schreibt eine Userin erzürnt.

„So viele von euch denken, dass es niedlich ist, Weihnachten zu feiern. Gott sei Dank ist jetzt die richtige Regierung im Amt. Wir werden die jüdischen Werte wiederherstellen. Langsam werden die Linken, die das Christentum mehr lieben als das Judentum, nicht mehr die Mehrheit stellen. Ich bin mehr als angewidert, dass dies Tel Aviv ist.“

Weihnachtlicher Aufruhr

Weihnachten – die Achillesferse der Rechtsreligiösen? Die Kolumnistin Anat Kamm rief in der israelischen Tageszeitung Haaretz zu einem weihnachtlichen Aufruhr auf: „Sehr legal und vor allem nervig für diejenigen, die empfindlich auf Licht und Dekoration und Lebensfreude reagieren.“

Weihnachtsschmuck in alle Fenster – die neue Form des Widerstands gegen die neue Regierung? Das Christentum ist wieder zu dem geworden, was es mal war: eine Untergrundbewegung im heiligen Land.

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Judith Poppe
Auslandsredakteurin
Jahrgang 1979, Auslandsredakteurin, zuvor von 2019 bis 2023 Korrespondentin für Israel und die palästinensischen Gebiete.
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5 Kommentare

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  • Haha... bei was, 613 Mitzvot ist es natürlich leicht, durcheinander zu kommen, aber als gläubige Jüdin sollte man das mit den Tätowierungen bzw. deren Verbot mitbekommen haben. Das ging ja dereinst so weit, daß manche Gemeinden auf ihren Friedhöfen keine Holocaust-Überlebenden beisetzen wollten... dagegen ist die Sprengkraft der roten Zipfelmütze eher begrenzt.

  • Bin absolut gegen Fundamentalismus, aber...



    ... ich denke kaum, dass Provokation, um die rechten zu ärgern leute zum umdenken bringt. Man stachelt sie vielleicht noch mehr an. Um der Rechten willen, sollte man also nicht provozieren, sondern eher, weil man eigene Freiheiten leben will.

    Man sollte sich nicht einbilden, mit politischer Masturbation die Welt zu ändern, aber wenn es gemacht wird, weil es für einen selbst schön ist, kann ich das gut verstehen.

  • Wir können täglich sehen, wie mit Protestbewegungen anderswo umgegangen wird. Einer Untergrundbewegung, wie vor 2000 Jahren bedarf es in Israel, freilich nicht. Das Land ist nicht besetzt, wie damals und eine großartige Demokratie!

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Eine "Untergrundbewegung" (?) wäre beinahe eine jüdische sektiererische Bewegung geblieben, was jedoch ein "von extra" dazu vom Pferd getürzter ehemaliger Pharisäer verhinderte, indem er die Weichen dafür stellte, dass sie zu einer Religion wurde. Und von dieser kulturell angeignete animistische Symbole ver-un-zieren nun im Herkunftsland als Allerweltsbeliebigkeit die Beschenk-mich-doch-bitte-auch-(wenn-schon -nicht-mit -einer-anderen-Regierung)-Eskapaden in einer polyglotten Gesllschaft. Bewegende Weihnächte im Heiligen Land.

  • Entzückend.

    Es ist selten gut ausgegangen, wenn Staat und Volk durcheinanderkommen. Um so interessanter, wenn Menschen es verstehen, die Sache mit Humor zu subvertieren.