UN-Artenschutz-Abkommen von Montreal: Ein bisschen Fortschritt
Der Vertrag von Montreal geht nicht die Ursachen des Artensterbens an. Trotzdem schafft er einen wichtigen Rahmen, um Flora und Fauna besser zu schützen.
A b jetzt 30 Prozent heile Welt. Das wäre ein schöner Titel gewesen. Stimmt aber nicht, weil das neue Abkommen zum Schutz der Biodiversität dazu zu ungenau formuliert ist. Die 196 Mitgliedstaaten der UN-Konvention können sich künftig zwar auf den Vertragstext berufen, wenn sie zum Beispiel extensive Biolandwirtschaft fördern. Sie können aber auch auf intensive Monokulturen setzen mit gentechnisch veränderten, dürreresistenten Pflanzen. Das gibt der Vertrag auch her.
Abgesehen davon weisen Kritiker:innen zu Recht auf den größten Schwachpunkt des Abkommens hin: Es beseitigt nicht die Ursachen des Artensterbens. Es zwingt die Staaten nicht dazu, Land und Meere künftig umsichtiger zu nutzen. Soll heißen: Im geschützten Moorgebiet kann es der Elch gut aushalten, draußen soll er sich bitte nicht blicken lassen.
Das Abkommen jetzt als nutzlosen Papierstapel zu betrachten wäre trotzdem falsch. Das würde sowohl die Herausforderungen der UN-Konvention als auch die Möglichkeiten des Abkommens unterschätzen. Zu fordern, es solle die Ursachen der Biodiversitätskrise beseitigen, heißt nicht weniger zu fordern als das: Die Bevölkerung der Industriestaaten ändern ihre Produktion, ihr Ernährungs-, Mobilitäts- und Wohnverhalten. Die Länder des Globalen Südens geben das Ziel mehr materiellen Wohlstands für ihre Bevölkerung auf. Das ist zwar angesichts der Überschreitung der planetaren Grenzen, die sich in Klima- und Artenkrise zeigt, nötig. Aber es ist nicht in einem UN-Abkommen lösbar. Womit wir bei den Chancen wären.
Rechte der Indigenen verankert
Die liegen zum einen in der Problembeschreibung: Wilde Tiere und Pflanzen haben zu wenig Raum. In Deutschland wird es künftig schwerer, bei Wildtierschutz vor allem an Tiger in Indien zu denken und zu argumentieren, in der hiesigen Kulturlandschaft sei für Wölfe kein Platz. Und an verschiedenen Stellen betont der Vertragstext die Rechte der indigenen Bevölkerung. An ihnen kommt man im internationalen Naturschutz künftig nicht mehr schmerzfrei vorbei.
Der Schutz der Biodiversität ist abhängig von Flächen, von dem konkreten Handeln auf Grund und Boden, an Küste und im Meeresgebiet. Er kann daher nur vor Ort, im mühsamen und zähen Abgleich von Interessen, geschehen. Wer sich künftig für Tiere und Pflanzen, intakte Böden und Meere einsetzt, wer die Rechte von Gesellschaften einfordert, die sich dem Entwicklungsmodell der Industriegesellschaft nicht anschließen möchten – die können sich auf das Abkommen von Montreal berufen. Mehr war im Augenblick nicht drin. Aber dass die Weltgemeinschaft zu diesem gemeinsamen Signal gefunden hat, ist auch einen Titel wert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Streit um Neuwahlen
Inhaltsleeres Termingerangel
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Überwachtes Einkaufen in Hamburg
Abgescannt
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Obergrenze für Imbissbuden in Heilbronn
Kein Döner ist illegal