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Dichtung aus BolivienUnterwegs auf den Pampas von Oruro

Der viersprachige Gedichtband von Elvira Espejo Ayca ist erstmals auf Deutsch erschienen. Er richtet den Blick auf eine naturverbundene Weltsicht.

Brückenbauern zwischen den Kulturen: Elvira Espejo Ayca Foto: Enrique Hernández-D’Jesús, Caracas/Edition Delta, Stuttgart

Seit der Verfassungsänderung 2009 nennt sich Bolivien „plurinationaler Staat“, um der Vielstimmigkeit des Landes Rechnung zu tragen. Dass die Anerkennung kultureller Diversität in dem vielsprachigen Land längst keine Selbstverständlichkeit ist und auf zähen Widerstand stößt, bewies zuletzt der bolivianische Staatsstreich 2019.

Die Übergangsregierung der rechtskonservativen Jeanine Añez hatte sich die Restauration der Verhältnisse zum Ziel gesetzt und das Kulturministerium abgeschafft. In dieser Phase erhielt neben anderen Kulturvermittlern auch Elvira Espejo Ayca, als Direktorin des Museums für Ethnografie und Folklore (MUSEF) in La Paz, 2020 ihre Kündigung.

Im selben Jahr wurde die indigene Künstlerin, Dichterin und Forscherin als Brückenbauerin zwischen den Kulturen in Weimar mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. Und nach der Wahl von Präsident Luis Arce leitet sie seit März 2021 auch wieder das MUSEF.

Elvira Espejo Ayca: „Hier und dort & Andines Liederbündel“. Übersetzung aus dem Quechua und Aymara ins bolivianische Spanisch von Elvira Espejo Ayca. Herausgegeben und ins Deutsche übertragen von Juana und Tobias Burghardt, Edition Delta, Stuttgart 2022, 166 Seiten, 20 Euro

In ihrer Muttersprache Aymara und ihrer Vatersprache Quechua verfasst Elvira Espejo Ayca Lyrik, die sie auch selber ins Spanische überträgt. 2006 debütierte sie mit „Phaqar kirki“ (Gesang an die Blumen), einem Aymara-Gedichtzyklus, mit dem sie 2007 am VI. Weltfestival der Poesie in Caracas, Venezuela, teilnahm. Die Chhuchharapi-Blume, der Sisirqiña-Zweig, die Sonne oder der Nebel treten darin als lebendige Protagonisten auf. „Das Awayu-Tragetuch mit vier Ecken / Die Plaza mit vier Ecken / Und nur du weißt, was da los ist.“

Indigene und christliche Narrative

Nun hat der Stuttgarter Lyrikverlag Edition Delta in „Hier und dort“, einer deutschen Erstveröffentlichung, ihre gesammelten Originalgedichte sowie deren spanische und deutsche Übersetzung aus dem Quechua und Aymara herausgegeben.

Der viersprachige Doppelband umfasst ebenfalls ein „Andines Liederbündel“, eine von Espejo Ayca zusammengetragene Sammlung fast vergessener Aymara- und Quechua-Gesänge. Auffällig in diesen jahrhundertealten Texten ist, wie indigene und christliche Narrative sich oftmals vermischen und deutliche Hinweise auf die vom Synkretismus geprägte Kolonialgeschichte Boliviens geben.

Mit der traditionellen Dichtung ihrer Kindheit vertraut, ruft Espejo Aycas in ihren eigenen prägnanten Versen eindringliche Bilder von Landschaften und einem intensiven Naturerlebnis auf, das unmittelbar mit den eigenen Empfindungen und Erlebnissen in Verbindung steht. „Unterwegs auf den Pampas von Oruro / Suche ich Bolivien / Sammle ich derweil Dahlien / Weinend bin ich immer unterwegs.“

Kunst der indigenen Gemeinschaft

1981 in Ayllu Qaqachaka, in der Provinz Avarua, Oruro, geboren, wuchs Elvira Espejo Ayca mit mündlich überlieferten Erzählungen über das Zusammenleben von Mensch und Erde auf. Schon als Kind erlernte sie von der Dorfgemeinschaft auch die hohe Kunst des Webens. Gleichzeitig erhält sie durch diese ein profundes Wissen über die Verarbeitungsschritte des aus Alpaka-, Lama- und Vicuña-Zucht gewonnenen Materials.

Später, als junge Erwachsene, zieht sie gegen alle Widerstände alleine in die Großstadt, um in La Paz Kunstwissenschaften an der Academia de Bellas Artes zu studieren. Damals sprechen ihre Dozenten geringschätzig davon, dass „ihre“ Kultur keine Kunst kenne und die indigenen Gemeinschaften nur Kunsthandwerk und archäologische Objekte produzieren würden, wie sie in einem ihrer Essays berichtet.

Sie verstehen nicht, dass Kunst (und Poesie) in den indigenen Gemeinschaften allgegenwärtig ist, aber unter anderen Bedingungen entsteht. Jene akademisch-hierarchische Haltung gegenüber dem Denken und Wissen der lokalen Kulturen fordert Elvira Espejo Ayca schon früh heraus. Sie beginnt zu forschen, Begriffe und Vorstellungswelten zu vergleichen, zu übersetzen. Denn Kultur braucht Austausch mit anderen Kulturen, um souverän fortbestehen zu können.

Vieles des über Generationen weitergegebenen Wissens in Bolivien ist durch die Dominanz eines klassischen Bildungskanons verloren gegangen. Umso wertvoller erscheint der Versuch, dem Vergessen etwas entgegenzusetzen. Dabei verblüfft Elvira Espejo Aycas Dichtung durch ihre virtuose Verknüpfung von andiner Tradition und individueller Unabhängigkeit: „Für meinen weißen und geschälten Mais / Für meine freien und hellen Wege / Beneiden sie mich.“

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