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Initiative für autofreie Hamburger CityNahverkehr statt Stau und Abgase

Die Bürger:innen-In­itia­ti­ve „Klimawende Jetzt“ will per Volksentscheid erreichen, dass Privatautos aus der Hamburger Innenstadt verbannt werden.

Könnte komplett autofrei werden: Hamburgs Innenstadt Foto: Moritz Lüdtke/unsplash

Hamburg taz | Etwa drei Millionen Tonnen Kohlendioxid emittierte der Straßenverkehr in Hamburg 2020. Das sind – bedingt durch die Coronapandemie – zwar rund zehn Prozent weniger als im Vorjahr, Verkehrs- und Unfallstatistiken legen jedoch nahe, dass die Emissionen im Autoverkehr wieder ansteigen werden. Der Sektor der privaten Pkw ist daher weiterhin eine zentrale Stellschraube für den Hamburger Senat, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erreichen zu können.

Die Bür­ge­r:in­nen­in­itia­ti­ve „Klimawende Jetzt – Autos raus aus der Hamburger Innenstadt“ sieht in den hohen Emissionswerten und immer mehr Pkw ein großes Problem, das der Senat nicht ausreichend bearbeite. Daher fordern die Vertrauensleute der Initiative, Bernd Kroll, Joachim Lau und Jochen-Carl Müller, die Sperrung der Altstadt und der Neustadt für Privat-Pkw als ersten Schritt zur Lösung. Ausnahmen sollen nur in wenigen Fällen genehmigt werden. Lieferverkehr, Ver- und Entsorger sowie Busse dürften aber weiterhin den Bereich innerhalb des Wallrings befahren.

Bereits 2020 wollte die Initiative die erforderlichen 10.000 Unterschriften für eine Volksinitiative sammeln, um das Thema auf die Tagesordnung der Bürgerschaft zu setzen. Anschließend, so der Plan der Initiatoren, hätten weitere 60.000 Unterschriften für einen Volksentscheid über die autofreie Innenstadt gesammelt werden sollen. Doch die Coronapandemie machte der Initiative einen Strich durch die Rechnung, das Thema ruhte – bis jetzt.

„Wir wollen das Verkehrsvolumen auf null setzen, was durch den hervorragenden ÖPNV ersetzt werden kann“, erklärt Bernd Kroll im taz-Gespräch. „Der Verkehr, der heute jeden Tag über die Sierichstraße, den Mittelweg, die Rothenbaum­chaussee und so weiter in die Innenstadt reindüst, um dann acht, neun Stunden das Auto stehen zu lassen, dieser Bereich ist bis auf wenige Ausnahmen nicht notwendig.“

Vor allem in den Hamburger Randgebieten hapert es aber noch an der langfristigen Etablierung von Angeboten, die als Bedingung für eine sozial gerechte Klimawende auch mobilitätseingeschränkten Personen Teilhabe ermöglichen.

Autoarm aufgewertet

Mit dem Hamburger Jungfernstieg ist als Pilotprojekt eine der prominentesten Straßen der Stadt seit Oktober 2020 für private Pkw gesperrt. Auf die Sperrung folgten bepflanzte Kübel, eine langfristige Umgestaltung mit Rad­fah­re­r:in­nen und Fuß­gän­ge­r:in­nen im Fokus ist für 2023 anberaumt. Für Bernd Kroll ist diese Maßnahme allerdings eher „Fassadenanstrich“ als echte Veränderung. „Das ist nicht konsequent umgesetzt, in den Straßen umher ist genau so viel Verkehr wie früher.“

Die Verkehrsbehörde des Grünen-Senators Anjes Tjarks sieht das etwas anders: „Die verkehrsberuhigte Gestaltung hat die Aufenthaltsqualität und die Verkehrssicherheit erhöht und bietet dem Fuß- und Radverkehr deutlich mehr Komfort und Platz. Auch trägt die Ausquartierung des MIV (motorisierter Individualverkehr, Anm. d. Red.) zur CO2-Reduzierung und zum Klimaschutz bei. Die Sperrung des Jungfernstiegs war mit diversen Bürgerbeteiligungen verbunden“, so ein Behördensprecher gegenüber der taz.

Für „Klimawende Jetzt“, die im engen Austausch mit der Hamburger Fridays-for-Future-Gruppe steht, geht es jedoch weniger um Aufenthaltsqualität und Verkehrssicherheit als um Klimaschutz durch Reduktion von Treibhausgasemissionen. „Unser Ziel besteht darin, die Klimaziele zu erreichen, und eine autofreie Innenstadt wäre ein deutliches Signal und ein guter Einstieg auf dem Weg dorthin“, so Bernd Kroll,

Die Gewerbetreibenden stehen der Idee einer autoarmen Innenstadt zur Aufwertung grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber, daraus dürfe aber „kein Dogma werden“, so die Handelskammer Hamburg. „Entscheidend ist, dass Mobilität ermöglicht wird und dass es Ausnahmen für Lieferverkehre, Handwerksbetriebe und Ähnliches gibt.“ Gerade die Erreichbarkeit der Innenstadt für Kundschaft und Mitarbeitende aus den Randbezirken und dem Umland sei für Gewerbetreibende wichtig, daher fordert die Handelskammer ein „umfassendes Verkehrskonzept“, um die „Hamburger Innenstadt zukunftsfähig aufzustellen“.

Breite Zustimmung

In anderen Stadtteilen ist der Funke von Bür­ge­r:in­nen­in­itia­ti­ven zur Politik bereits übergesprungen. Ein Beispiel ist der „Freiraum Ottensen“, der als Verkehrsversuch gestartet war und nun in der autoarmen Umgestaltung des Quartiers bis 2024 mündet. Auch die Initiative „Superbüttel“ im Stadtteil Eimsbüttel erhält Zuspruch. Ob und wann die Konzepte der Bür­ge­r:in­nen im Quartier umgesetzt werden, ist aber noch offen.

Dabei finden autofreie, auto­arme oder verkehrsberuhigte Zonen in Hamburg eine außergewöhnlich breite Zustimmung in der Gesellschaft. Eine Umfrage im Auftrag des NDR ergab eine grundsätzliche Billigung von 67 Prozent der Ham­bur­ge­r:in­nen – bundesweit stimmen dagegen nur knapp die Hälfte dem Konzept zu.

Das wandelfreudige Klima der Bür­ge­r:in­nen hat 2020 auch die Initiative „Klimawende Jetzt“ – Autos raus aus der Hamburger Innenstadt“ erfahren. Der große Zuspruch soll nun zu Papier gebracht werden. Im neuen Jahr will die Initiative durchstarten, dann könnte ein möglicher Volksentscheid zum Wahljahr 2025 gemeinsam mit der Bundestagswahl oder der Bürgerschaftswahl stattfinden.

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2 Kommentare

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  • "Lieferverkehr, Ver- und Entsorger sowie Busse dürften aber weiterhin den Bereich innerhalb des Wallrings befahren"

    Heißt: Das was ich brauche darf gerne weiterfahren, von Pendlern habe ich keinen Nutzen, also können die weg.

    Vor ein paar Jahren wäre ich an diesem Punkt grantig geworden, inzwischen genieße ich das Privileg weitesgehend aus dem Homeoffice zu arbeiten und da ich abseits der Arbeit absolut kein Interesse an der Stadt habe, kann ich mir die Feststellung erlauben, dass das nicht mein Problem ist - Privilegien halt.

    Klar, nicht jeder Pendler hat dieses Glück. Für einen Teil ist Homeoffice keine Option und die geraten dann unter die Räder. Bildlich gesprochen. Je nach Wohnort ist man dann halt jeden Tag gerne mal ne Stunde länger auf dem Arbeitsweg - Manche müssen eben Opfer bringen.

    Aber vielleicht irre ich mich ja auch. Vielleicht sind die ganzen Unterschreiber der Petitionen nach Einführung auch bereit ihre Wohnungen mit den Pendlern zu tauschen, damit klar wird, dass es hier nicht um "Schöner Wohnen für Stadtmenschen", sondern um den Klimaschutz geht. Ich bin mir nämlich absolut sicher, dass die Leute dort auch unterschreiben würden, wenn sie im Speckgürtel wohnen würden, wo zur Prime-Time alle halbe Stunde ein Bus grob in die richtige Richtung fährt. Ehrlich!

    Ich werde mir das aus der Ferne anschauen und erwarte gut unterhalten zu werden :-)

  • Damit bin ich aber nur einverstanden, wenn ich als gesundheitlich eingeschränkte Person ungehindert in die City kann. Wir werden eh schon ausgegrenzt. Wenn dann noch meine Tante mit Rollator mit will, ist es ganz vorbei. Wir wohnen 30 km vor den Toren einer ehemaligen Weltstadt und sind früher gerne zum Bummeln, Kaffeetrinken oder einkaufen in die alsternahe City gefahren. Und jetzt? Heute hätte ich normalerweise in einem kleinen Geschäft an der Binnenalster ein Probeliegen gemacht. Wir brauchen dringend neue Matratzen. 16, 17 oder 25 cm hoch, fest, Mittel oder ohne Rosshaarkern, das waren die Fragen. Geht nicht, komme nicht hin, Bahnfahren schaffe ich nur, wenn es mir richtig gut geht. Und nun? Ganz einfach. Ich habe Matratzen bestellt, die kommen aus Österreich und gehen, wenn ich nicht darauf liegen kann, auch dorthin wieder zurück. Mit dem LKW, Gleisanschluss habe ich nicht zu Hause. Klimaschutz und Nachhaltiges Leben? Mein Thema seit 30 Jahren. Und jetzt?