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Ukrainische Jugendliche in DeutschlandIntegration gelingt, nur wie gut?

Mehr 200.000 ukrainische Kinder gehen in Deutschland zur Schule. Ein Erfolg? Nicht unbedingt, sagen Elternverbände und Forscher:innen.

Ukrainische Schü­le­r:in­nen in einer Berliner Grundschule im März Foto: Markus Schreiber/ap/picture alliance

Berlin taz | Die Integration ukrainischer Schü­le­r:in­nen in das deutsche Schulsystem ist weitgehend geglückt – zumindest den Zahlen nach. Knapp zehn Monate nach Beginn des russischen Angriffskrieges nehmen mehr als 200.000 Kinder und Jugendliche, die aus der Ukraine geflüchtet sind, hierzulande am Unterricht teil.

„Es ist eine großartige Integrationsleistung unseres Schulsystems“, sagte dazu die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK) Karin Prien am Dienstag auf einem Pressegespräch des Mediendienstes Integration. Prien betonte, dass die Länder aufgrund der Erfahrung der Jahre 2015/16 schnell reagiert und bereits Anfang März eine Taskforce eingerichtet hätten. In vielen Bundesländern bestehe die Schulpflicht für die Geflüchteten ab dem ersten Tag.

Auch Natalie Roesler vom Bundeselternnetzwerks der Mi­gran­t*in­nen­or­ga­ni­sa­tio­nen für Bildung und Teilhabe (bbt) ist mit der Entwicklung großteils zufrieden. „Zu Beginn haben viele Schüler parallel am Onlineunterricht aus der Ukraine teilgenommen“, sagt sie. Mittlerweile sei die Zahl aber deutlich gesunken. „Die Bereitschaft, sich in das deutsche Schulsystem zu integrieren, wächst“.

Dennoch sieht Roesler Handlungsbedarf. Von ukrainischen Eltern wisse sie, dass die Schulen ihre Kinder aus Raum- oder Personalmangel nicht aufnähmen. Eine Recherche des Mediendienstes Integration bestätigt das. So warteten in Nordrhein-Westfalen Ende Oktober rund 1.000 Kinder auf einen Schulplatz, in Berlin nach Medienberichten 1.600.

Handlungsbedarf sichtbar

KMK-Präsidentin Prien räumte ein, dass es „hier und da“ noch Probleme gäbe. Es sei aber völlig normal, dass ein Kind nach seiner Ankunft in Deutschland nicht schon am ersten Tag die Schule besuche. Die fehlende Plätze sind jedoch nicht der einzige Kritikpunkt von Roeslers Verband. Der bbt wünscht sich unter anderem auch mehr Beratungsangebote für Eltern. Oft gelinge die Betreuung nur durch ehrenamtliches Engagement. „Diese Unterstützung für die Familien muss flächendeckend sein und finanziert werden“, so Roesler.

Noch kritischer fällt die Bilanz der Berliner Migrationsforscherin Juliane Karakayali aus. So würden ukrainische Schü­le­r:in­nen oftmals zu lange in Willkommensklassen bleiben, obwohl die Separierung von anderen Schü­le­r:in­nen zu schlechteren Lernergebnissen führe und stigmatisierend sein könne. Karakayali verweist unter anderem auf eine aktuelle Studie des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Demnach gelingt Geflüchteten, die zunächst in eine Vorbereitungsklasse gesteckt werden, seltener der Sprung aufs Gymnasium.

Wie geflüchtete Kinder unterrichtet werden, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. In sechs Ländern – darunter Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen – lernen geflüchtete Kinder in diesem Schuljahr zusammen mit den anderen Schüler:innen. In den übrigen werden sie zunächst separat unterrichtet, bis ihr Deutsch gut genug für den Regelunterricht ist. In Bayern, NRW, Berlin und Sachsen-Anhalt gibt es unterschiedliche Modelle.

Für Karakayali ist dieser Flickenteppich ein Anzeichen dafür, dass sich seit 2016 nicht so viel verbessert habe. Vor allem vermisst sie einheitliche Vorgaben für den Unterricht: „In vielen Bundesländern gibt es kein Curricula für die Willkommensklassen und auch keine klaren Kriterien, wann die Kinder in die Regelklasse wechseln sollen“, so Karakayali. In der Realität würden Kinder in den Regelklassen geparkt, weil es an Ressourcen wie Personal fehle.

Ukrainische Lehrkräfte sollen helfen

KMK-Präsidentin Prien bekräftigte, dass die Schü­le­r:in­nen in einer Willkommensklasse natürlich eine „klare Perspektive auf Regelunterricht“ bekommen müssten. Auch deshalb hätte die KMK eine vereinfachte Übernahme ukrainischer Lehrkräfte ins deutsche Schulsystem auf den Weg gebracht.

In ihrem Bundesland Schleswig-Holstein seien bereits 160 ukrainische Lehrkräfte eingestellt worden. Allerdings sei das nicht so einfach möglich, da ukrainische Leh­re­r:in­nen in der Regel nur einen Bachelor-Abschluss hätten – die KMK-Standards sähen jedoch einen Masterabschluss vor.

Laut Mediendienst Migration sind bundesweit rund 3.000 ukrainische Leh­re­r:in­nen übernommen worden, jedoch meist nicht als vollwertige Lehrkraft, sondern nur als Lernbegleiter:in. Schätzungen zufolge werden jedoch mindestens 13.400 zusätzliche Lehrkräfte gebraucht, um die neuen Schü­le­r:in­nen aus der Ukraine unterrichten zu können.

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7 Kommentare

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  • Hauptsache die Kinder fühlen sich wohl!

  • Die Integration der Flüchtlinge aus der Ukraine und auch Moldau ist insgesamt gut gelungen. Gerade im alltäglichen Neben- und Miteinander gibt es praktisch keine Probleme.



    Was nicht läuft ist, dass der Staat sich nicht kümmert, obwohl das seine moralische Pflicht ist. Die Unterbringung in Lagern ist so ein Beispiel. Die müssen so schnell wie möglich geschlossen werden. Die Menschen brauchen angemessenen Wohnung in der Nähe ihrer Familien und Gemeinschaften. und dieser Wohnraum existiert auch, steht nur leer oder wird von zu wenigen Menschen benutzt. Das gilt auch für die Großstädte. Warum soll ein Menschen mehr als 30 Quadratmeter Wohnraum beanspruchen, wenn andere Menschen auf der Strasse oder in LAgern leben muessen.

    Vorbereitungsklassen halte ich für Unsinn. Wir müssen die Menschen so schnell wie möglich integieren und nicht in Sonderklassen abschieben.

    Das alles darf aber nicht auf Kosten anderer Flüchtlinge gehen. Jeder von ihnen hat das Recht auf angemessene Unterstützung, also das Bürgergeld, die Uebernahme der Kosten für Wohnung und Heizung, sowie Schulbildung und ärztliche Versorgung.

    Das sind eigentlich alles Selbstverstndlichkeiten

    • @V M:

      Ich habe eine 2-Zimmer-Whg mit 60qm. Soll ich dann Ihrer Meinung nach zwangsumgezogen werden?

      • 0G
        06455 (Profil gelöscht)
        @Furth im Wald:

        Ja, VM fordert das konsequent. Früher unter einem anderen Namen.



        Sie ist auch für Enteignung.

      • @Furth im Wald:

        Ich bewohne selbst in einer ca.60 qm Wohnung in Berlin. Für einige Monate habe ich im laufenden Jahr eine Ukrainerinn mit kleinem Sohn aufgenommen und sie damit auch vor sexuellen Uebergriffen in einem Lager beschützt. Die Geschichte hat auch ein echtes Happy-End. Die kleine Familie hat jetzt eine passende Wohnung bekommen. Dafür besonderen Dank an die Gesobau PB. Es geht also

        • @V M:

          Das ist schön dass Sie für so was die Nerven und Zeit haben. Ich persönlich brauche nach der Arbeit meine Ruhe und die finde ich auf 60qm nur alleine.



          Deswegen nochmal die Frage. Sollte oder müsste ich, wenns nach Ihnen ginge umziehen in was kleineres?

  • Man kann halt kein Schulplätze und Kitaplätze herzaubern.