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Fahrradstadt als ZukunftGent macht „autofrei“ vor

In Gent ist sie zuständig für die Verkehrswende: Ann Plas erklärt den Aachnern, wie man zu einer autofreien Stadt kommt.

Blick über die Stadt Gent Foto: Panthermedia/imago

Aachen taz | Wenige Minuten, bevor die Veranstaltung in der Aachener Aula Carolina beginnt, kommt der Kleinwagen einer Immobilienfirma die Fußgängerzone hochgetuckelt und parkt direkt vor dem Hinweisschild auf die Abendveranstaltung „Innenstadtmobilität – Beispiel Gent“. Die Fahrerin zuckt mit den Schultern, sie habe halt einen Termin. Und verschwindet kühl lächelnd im Nachbarhaus.

Drinnen hat Ann Plas ihren Auftritt. Sie ist die Büroleiterin des grünen Mobilitäts-Bürgermeisters Filip Watteeuw der belgischen Stadt Gent und ist für die Verkehrswende verantwortlich. Gent ist mit einer viertel Million EinwohnerInnen gleich groß wie Aachen – und ein Vorbild für die Stadt.

2014 begannen die Planungen, erzählte Plas, 2017 legten sie los. Heute ist die Genter Innenstadt autobefreit, der motorisierte Verkehr läuft über Schleifen. Videokameras helfen bei der Durchsetzung. Parken am Innenstadtrand: maximal 30 Minuten, Carsharing-Autos zahlen nichts, die Parkhäuser nahe der Innenstadt kosten für 24 Stunden 30 Euro. Kinder bis 15 haben freie Fahrt im ÖPNV – „so lernen sie dessen Vorteile auch früh kennen“, so Plas. Es gibt neue breite Radwege, die Fußgängerzone wurde ausgebaut.

„Die Menschen werden jetzt sozusagen wieder zu Eigentümern ihrer Straßen und Plätze“, sagt Plas. Ja, anfangs habe es auch Proteste gegeben. „Jetzt berichten die Leute ganz begeistert: Wir können mitten in der Stadt wieder Vögel singen hören.“

Weniger Unfälle und weniger Staus

Und noch etwas wurde besser: Lieferverkehr per Auto ist nur bis 11 Uhr erlaubt, auch für Paketdienste. Der Vorteil: So werden die Menschen in Gent früher als anderswo beliefert. Stadtinterne Transporte werden vielfach per Lastenrad erledigt, erzählt Plas, es gebe unzählige Modelle, Varianten, Firmen.

Nur eines habe nicht funktioniert: Zwei Jahre lang kreiselten im Viertelstundentakt kleine Elektrobusse mit 10 km/h durch die City, kostenlos, Hop on hop off. „Das wurde weniger genutzt als gehofft und war schließlich zu teuer.“ Ihr Credo für die langsam-bedächtigen Deutschen: „Autos sind wie Gas, das sich verflüchtigt, wenn man bessere Alternativen anbietet.“

In Gent gebe es heute, verglichen mit 2015, gut 25.000 weniger gemeldete Kfz und ein Drittel weniger Unfälle. Der Autoanteil ist von 55 auf 39 Prozent zurückgegangen, der Radverkehr hat sich fast verdoppelt. „Auf dem Ring kommt es entgegen aller Befürchtungen sogar zu weniger Staus. Und es gibt nicht den leisesten Hinweis, dass die innerstädtische Wirtschaft gelitten hätte. Im Gegenteil: Die Zahl der Leerstände hat sich verringert.“

Ein Vorbild auch für Aachen? „Seid ehrgeizig bei der Planung“, empfiehlt Plas, „man kann kein Omelette backen, ohne ein paar Eier zu zerschlagen.“ Der Spruch bringt ihr einen Extrabeifall.

Draußen hat ein Bürger die Fahrerin des Kleinwagens derweil via stadtpate.de mit Foto und ein paar Klicks beim Ordnungsamt angezeigt. Das ­schmale Bußgeld von höchstens 35 Euro – mehr gibt die Autoverkehrsordnung nicht her – wird ihre Firma allerdings verkraften können.

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7 Kommentare

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  • Typisch deutsch.



    Im Radfahrerland Niederlande genieße ich bei meinen Urlauben die gut ausgebauten Radwege. Selbst in Großstädten wie den Haag gibt es breite von der Straße abgetrennte Radwege. Interessant fand ich dort die kleinen Ampeln an den Radwegen. Es gab nicht nur Anforderungskontakte, sondern auch noch kleine Pfosten mit einem Druckknopf, wo zudem eine kleine Ampel angebracht war. Um das Rotlicht herum war ein LED- Kreis angebracht, wo man an Hand der LED's ablesen konnte, wann es grün wird.

    Trotzdem fühlt man sich auch als Autofahrer nicht eingeschränkt. Die Fahrt von der Ferienanlage am Strand zu mehreren kleinen Einkaufszentren in der Nähe war ohne Einschränkungen möglich und die Parkplätze davor waren kostenlos, so dass man den Großeinkauf zu Urlaubsbeginn gut bewerkstelligen konnte.

    Auf der Anreise war es ein Traum, die niederländischen Autobahnen zu benutzen. Vier oder gar fünf Fahrspuren für jede Richtung.

    Dazu gibt es eine intelligente Geschwindigkeitsregelung, so dass man selbst bei stärkstem Verkehr nur selten auf den Autobahnen zum Stillstand kommt.

    Die Infrastruktur wird, anders als in Deutschland, für alle Verkehrsteilnehmer möglichst optimal ausgeführt.

    Hierzulande wurde lange Zeit nur für das Auto gebaut. Jetzt schwenkt man total um und will den Radverkehr bevorzugen, indem man es für Autofahrer möglichst ungemütlich macht.

    Ein friedliches Miteinander, bei dem ein mündiger Bürger das Verkehrsmittel seiner Wahl nutzen kann? Dieser Gedanke existiert in den Köpfen der Verkehrs- und Stadtplaner leider nicht.

    Es ist wohl typisch deutsch, dass diese "Experten" glauben, man müsse den einen gegen den anderen Verkehrsteilnehmer ausspielen, was ich als vollkommen krank empfinde.

    Man sollte unsere Planer mal in den Niederlanden zu ihren Kollegen für mehrere Monate in die Lehre schicken, damit sie sehen, wie man es richtig macht, nämlich für jeden einzelnen Bürger und nicht gegen die Menschen, von deren Steuergeldern sie bezahlt werden.

  • Schon wieder so ein Umwelttrend der nichts bringen wird und den Klimawandel nicht aufhalten wird. In einer Stadt muss es für Fahrradfahrer wie auch für den öV und Autos gerechte Regeln geben. Deshalb ist es nicht gut wie es in Gent läuft und bleibt zu hoffen das diese Regelung von Gent sich nicht in anderen Städten durchsetzt. Ich hätte zumindest keine Freude wenn ich mit meinem Auto nicht mehr in die Innenstadt komme. In Deutschland hat es ja bereits Umweltzonen in den Innenstädten so dass nur Autos die gewisse Kriterien erfüllen reinkommen, daher wäre es schade wenn es ein komplettes Fahrverbot gäbe. Ich könnte mir jedenfalls nie vorstellen mit dem öV in dem ich kein Platz habe und auf ein Fahrplan angewiesen bin, zu reisen wenn ich da die Vorteile des Autos habe in dem ich genug Platz habe und selber entscheiden kann wann ich losfahre.

  • Gent ist schön :). Aachen auch. Könnte noch schöner werden, wenn es funktioniert mit der Autofreien Innenstadt.

    Hat aber auch Berge en masse, das schöne Aachen. Viel Spass beim Strampeln und Schnaufen :). Bin ja selbst ein unsportliches radelndes Flachland Ei geworden. Berge würden meiner Fitness guttun, aber meiner Gemütlichkeit beim radeln schaden...

  • @Zerolo:



    nein! das hat gar nichts miteinander zu tun.

  • Ich wohne in Wiesbaden.



    Vor 10 Jahren bin ich hier freiwillig kein Rad gefahren, weil es schlicht zu gefährlich war.

    In den letzten Jahren entwickelt sich Wiesbaden jedoch mehr zur Fahrradstadt - dank konsequenter Umsetzung von Radwegen, Fahrradstraßen usw.

    Unlängst wurde eine große Kreuzung in Wohnungsnähe komplett umgebaut und barrierefrei, fahrrad- und Fussgängerfreundlich zugeschnitten.

    Ich fahre schon lange nur noch mit dem Rad in die Stadt und nähere Umgebung und der Radverkehr nimmt mittlerweile stark zu.

    Veränderung von innen nach aussen - Ja. das kann funktionieren.

  • Ja, bitte!

    Verkehrswende *muss* in der Stadt anfangen und sich erst dann langsam nach aussen ausbreiten.

    Warum haben wir in DE nicht schon längst angefangen? Vielleicht weil VW, BMW, Mercedes-Benz den Verkehrsminister stellen?

    • @tomás zerolo:

      Auch weil die aktuelle StVO dem Autoverkehr absolute Priorität gibt, es sind schon zuviele Maßnahmen deshalb vor Gericht gescheitert.