Skandale im öffentlichen Rundfunk: Mehr Demokratie in die Medien!
Die Strukturen beim Rundfunk sind archaisch, Beschäftigte haben kaum Mitbestimmung. Lernen könnte man von DAX-Unternehmen und Universitäten.
Der öffentliche Rundfunk hat – das haben die letzten Monate überdeutlich gezeigt – ein Governance-Problem: Das System seiner Unternehmensführung überzeugt nicht, schon gar nicht im Krisenmodus. Dabei hatte man sich ja seit Jahrzehnten an ein System von Rundfunk- und Verwaltungsräten gewöhnt, an Intendanten und Direktoren, die die Flotte der Sendeanstalten mehr oder minder auf Kurs hielten.
Doch spätestens nach dem großen Knall im RBB erweisen sich die Führungsstrukturen als archaisch: Die sogenannte Intendantenverfassung ermöglicht einsame Entscheidungen an der Spitze, wie sie nicht einmal in den vorstandsgeführten Aktiengesellschaften möglich sind. Die Kontrollstrukturen sind laienhaft und ineffizient. Und in der Krise fällt auch auf: Die Beschäftigten der Sender haben bei all dem fast nichts zu sagen, denn Mitbestimmung ist ihnen verwehrt. Das Problem geht auf historische Entscheidungen zurück.
In (West-)Deutschland wurde nach dem Krieg – zur Eindämmung der Macht der Ruhrbarone, der Kohle-, Stahl- und Rüstungsmagnaten – die Montanmitbestimmung eingeführt. Die sozialliberale Koalition erweiterte die paritätische Mitbestimmung 1976 auf alle Unternehmen – Aktiengesellschaften, GmbHs und Genossenschaften – mit in der Regel mehr als 2.000 Beschäftigten. Ob Allianz oder VW, ob Deutsche Bank oder Siemens: Die Mehrheit der DAX-Unternehmen unterliegt der paritätischen Mitbestimmung, und Hunderte weitere Unternehmen auch. Das bedeutet, dass die Beschäftigten die Hälfte der Mandate in den Aufsichtsräten besetzen können und auch mindestens ein Mitglied der Geschäftsleitung, den Arbeitsdirektor. Doch die Funkhäuser waren keine AGs, GmbHs oder Genossenschaften – sie sind nach öffentlichem Recht organisiert, nicht nach Privatrecht.
Aber auch die privaten Medienunternehmen der Größenordnung 2.000+ blieben außen vor bei der Mitbestimmung. Denn schon im ersten Paragrafen des Mitbestimmungsgesetzes werden einige Ausnahmen festgeschrieben: „Dieses Gesetz ist nicht anzuwenden auf Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend […] Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung, auf die Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes anzuwenden ist, dienen.“ Dieser Gedanke war sinngemäß schon im Betriebsverfassungsgesetz von 1952 zu finden, wo im sogenannten Tendenzschutzparagrafen festgehalten wurde, dass in solchen Betrieben die Rechte des Betriebsrates nur eingeschränkt gelten – ein Paragraf zum Wohlgefallen der Verleger, der auch die Modernisierung des Gesetzes 1972 überlebte.
Seit 50 Jahren nicht viel getan
Seit 50 Jahren also hat sich in Sachen Mitbestimmung bei den Medien nicht mehr viel getan. Doch das muss nicht so bleiben. Auch nicht beim öffentlichen Rundfunk, der bekanntlich nicht als Aktiengesellschaft organisiert ist, sondern zumeist als Anstalt des öffentlichen Rechts. In deren Gremien gibt es zwar gelegentlich Sitze, aber kaum eine Stimme für die Beschäftigten – schon gar nicht paritätische Mitbestimmung. Bei aller Diskussion über Staatsferne des Rundfunks: Es ist die Politik, die die rechtlichen Grundlagen aller Funkhäuser bestimmt.
Dabei könnte die Politik sich etwas abschauen von Deutschlands Universitäten. Die waren in den 50er Jahren noch reine Ordinarien-Universitäten, in denen die Herren Professoren den Betrieb weitgehend im Alleingang regelten. Erst in den 60er und 70er Jahren setzte sich die „Gruppenuniversität“ durch, bei der Professoren, Studenten, Wissenschaftliche und sonstige Mitarbeiter in den Uni-Gremien mit zunächst gleichem Gewicht vertreten waren. Allerdings setzte das Bundesverfassungsgericht dem 1973 – erneut mit Verweis auf Artikel 5 des Grundgesetzes (diesmal: Wissenschaftsfreiheit) – Grenzen. In Kernfragen von Forschung und Lehre dürften die Träger der Wissenschaftsfreiheit – und dafür hielt das Gericht die Professoren – nicht überstimmt werden. Hieß es damals. Und heißt es noch heute.
Paritätische Mitbestimmung
Übertragen wir diese Gedanken mal auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Bundesrepublik. Rufen wir also nach paritätischer Mitbestimmung in den Sendern. Am Ende der Debatte könnte dann ein Modell stehen, bei dem 50 Prozent der Sitze in den Gremien, in Rundfunk- und Verwaltungsräten durch sachkundige Vertreter der Öffentlichkeit, aus Politik und Gesellschaft, besetzt werden – nicht durch medienpolitisch oft ahnungslose Amateure, wie sie bisher immer wieder durch Verbände, Parteien und Institutionen entsandt worden sind.
Die anderen 50 Prozent bekommen die Beschäftigten: das administrative Personal, das technische Personal, das redaktionelle Personal. Und weil die Sender nun mal Ausdruck der Pressefreiheit sind, wären es diesmal die Redakteure, die in Programmfragen nicht überstimmt werden dürften.
Mitbestimmung schützt nicht zwangsläufig vor weiteren Skandalen. Und auch paritätisch besetzte Aufsichtsräte in der deutschen Wirtschaft haben exorbitante Managergehälter gebilligt. Insofern bedarf es begleitender Regeln – dass beispielsweise ein Intendant, eine Intendantin nicht mehr verdienen darf als der Ministerpräsident des Landes, in dem sie senden. Und ein Mitglied des Direktoriums nicht mehr als ein Mitglied des Landeskabinetts. Mitbestimmung ist kein Allheilmittel, aber sie gibt jenen Verantwortung, die am Ende die Fehler ausbaden müssen – wie jetzt im RBB. Und beim RBB wird der Staatsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg ohnehin gerade neu verhandelt: eine perfekte Chance für mehr Mitbestimmung.
Der Autor arbeitet seit 1982 – mit Unterbrechungen – frei für den SFB/RBB. Von 2016 bis 2020 war er Vorsitzender des Journalistenverbands Berlin-Brandenburg
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