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Belarus und der Krieg in der UkraineDas Imperium schlägt zurück

Russland gibt in Belarus den Ton an. Kritiker werden weggesperrt. Doch Belarussen versuchen dem zu widerstehen mit neuem Selbstbewusstsein.

„Als die Belarussen aufwachten, waren sie plötzlich zu einem Aggressorland an der Seite Russlands geworden“ Foto: Shamil Zhumatov/dpa

Die Frage nach ihrem natio­nalen Bewusstsein stellt sich für die Belarussen dringlicher denn je – besonders seit dem 24. Februar, als die Konflikte zwischen Russen und Ukraine in einen Krieg führten. Als die Belarussen aufwachten, waren sie plötzlich und unerwartet zu einem Aggressorland an der Seite Russlands geworden.

Janka Belarus

45, lebt und arbeitet in Minsk. Ihre Beiträge erscheinen unter Pseudonym.

Ein Mensch, der auf den Nachnamen Lukaschenko hört, entschied in Eigenregie, dass es auf dem Territorium des Landes eine ausländische Militärbasis geben wird. Ich hoffe inständig, diesen Mann auf der Anklagebank zu sehen – nicht nur wegen Kriegsverbrechen, sondern als Usurpator, der schwerste Menschenrechtsverbrechen am belarussischen Volk begangen hat.

Derzeit sind Tausende im Gefängnis, weil Lukaschenko das so will. Sie sind in Haft wegen ihres Wunsches, „Menschen genannt zu werden“, wie es in einem Gedicht des belarussischen Dichters Janka Kupala heißt. In Belarus läuft die russische Propaganda auf Hochtouren. Mein Freund, der Medienmanager Andrei Alexandrow, wurde in einem Strafverfahren gegen die unabhängige Nachrichtenagentur BelaPAN zu 14 Jahren Haft verurteilt.

Mehr als 300 Medienvertreter sitzen ebenfalls hinter Gittern. Der unabhängige Journalismus im Land ist zerstört: Die meisten Redaktionen mussten Belarus verlassen und arbeiten heute von Polen, Litauen und Georgien aus. Texte, die ich unter Pseudonym für die taz schreibe, sind „Landesverrat“, der mit Haft bestraft wird. Aber ich gehe dieses Risiko ein, das sind meine „Reportagen“ – mit „einer Schlinge um den Hals“.

Vor mehr als einem Jahr habe ich meine Angst vor einem faktischen „Ausverkauf“ meines Landes an Russland geäußert. Meine Vorhersagen haben sich bewahrheitet. Belarus steht heute unter der Besatzung des Kreml.

Im Süden des Landes gibt es bereits eine „russische Provinz“ – die Stadt Gomel, wo viele russische Soldaten stationiert sind. Durch die Straßen meiner Heimatstadt Minsk laufen Gestalten. Auch sie sind Russen, die sich hier vor der Mobilmachung verstecken. Die meisten von ihnen haben die notorisch aggressive „Russische Welt“ im Kopf. Doch es geht nicht um ihre ethnische Zugehörigkeit, sondern um ihren Imperialismus. Und der sucht nun Zuflucht an der Peripherie ihres imaginären Imperiums. Bestimmte Einstellungen zu lokalen Sprachen oder imperialen „Dialekten“ finden sich fast bei jedem.

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Das war immer ein Reizthema, doch jetzt irritiert es besonders und ruft sogar Hass hervor. Die meisten meiner Freunde in den sozialen Netzwerken sind dazu übergegangen, die belarussische Sprache zu benutzen. Dabei gibt es in Belarus offiziell zwei Staatssprachen – Belarussisch und Russisch.

Jahrelang hat Lukaschenko versucht, alles Belarussische zu zerstören. Und doch höre ich heute auf den Straßen von Minsk viele junge Leute, die Belarussisch sprechen. Das freut mich. Das Schöne ist, dass es für Belarussen einfach ist, mit Ukrainern zu kommunizieren. Zwar spricht jeder in seiner eigenen Sprache, aber die Verständigung klappt bestens.

Russen, die beide Sprachen für „gebrochenes Russisch“ halten, können da oft nicht mithalten. Dabei geht es nicht um sprachliche Unfähigkeit, sondern um Imperialismus. 30 Jahre lang waren sie nicht in der Lage, den Namen unseres Landes auszusprechen, aber sie berufen sich ständig auf das Lied „Die Jugend ist mein Belarussija“. Deutsche sind offensichtlich imstande sich zu merken, dass das Land jetzt Belarus und nicht mehr Weißrussland heißt. Für Russen scheint das eine unlösbare Aufgabe zu sein. Nun denn: Bringen wir es ihnen bei.

Das alles ist auch eine Frage der Selbstachtung, die zu haben Ukrainer den Belarussen absprechen. Jedoch haben die Belarussen mittlerweile gelernt, für ihre Selbstachtung einzustehen – auch gegenüber den Ukrainern. Natürlich ist es für mich im relativ ruhigen Minsk bei Weitem nicht so schrecklich wie für die Menschen in Charkiw oder Kyjiw. Aber Vorwürfe, wie „Raketen, die von eurem Territorium abgeschossen werden“, „Belarussen sind Sklaven“ und „kollektive Schuld“ will ich auch nicht mehr hören.

Erröten lassen mich nur meine eigenen Fehler. Ich kann mit meinen Händen keine Raketen fangen. Aber ich kann Texte schreiben, die auf bestimmte Probleme aufmerksam machen. Oder ich kann Spenden an die ukrainischen Streitkräfte überweisen. Ich muss mich für nichts schämen. Im Gegenteil, ich kann auch stolz sein: auf den Fleiß, die Toleranz und die Vertrauensseligkeit der Belarussen, die manchmal an Naivität grenzt. Das betrifft auch das Erbe meiner Vorfahren und Zeitgenossen, die etwas in der Welt bewegt haben. Zum Beispiel der erste belarussische Drucker Francysk Skaryna (1486–1551) sowie die beiden Nobelpreisträger Ales Bjaljazki und Swetlana Alexijewitsch.

Mir gefällt, dass immer mehr Belarussen (wenn auch inoffiziell) den 8. September als Feiertag betrachten. An diesem Tag fand 1514 in der Nähe der belarussischen Stadt Orscha die Schlacht statt, deren Hauptergebnis darin bestand, dass sich in Europa ein negatives Bild der „Russischen Welt“ herauszubilden begann.

Laut der Unesco ist die belarussische Sprache gefährdet. Das gilt für das gesamte belarussische Volk. Aber wir versuchen unser Bestes, um uns und unsere Selbstidentifikation nicht zu verlieren. Dem Übergangskabinett der Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja wird auch Alina Kobtschik angehören, Historikerin und Ex-Mitarbeiterin des Fernsehsenders BelSat. Sie soll eine Strategie entwickeln, um Geschichte, Kultur und Sprache der Belarussen bekannt zu machen sowie Reformen anzustoßen. Dabei geht es um Kultur, Bildung und Medien.

Eine weitere Aufgabe wird sein, die Arbeit entsprechender Institutionen und Initiativen zu koordinieren und einer aggressiven Informationspolitik etwas entgegenzusetzen. „Nicht die Kultur trennt uns, sondern ein Regime, das die Kultur für seine Zwecke nutzt, um Feindschaft zwischen uns zu säen. Wir müssen die Souveränität unseres Staates verteidigen, und die Kultur ist ein untrennbarer Bestandteil davon“, sagt sie.

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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