piwik no script img

Parlamentswahl in DänemarkDer Weg zur Macht führt in die Mitte

Die Sozialdemokraten könnten erneut stärkste Kraft werden. Ministerpräsidentin Frederiksen setzt auf eine Große Koalition.

Unterstützer der sozialdemokratischen Regierungschefin Mette Frederiksen am Sonntag in Kopenhagen Foto: IMAGO/Thibault Savary / Le Pictorium

Kopenhagen taz | Ein beliebtes Meme im dänischen Wahlkampf zeigt zwei Oppositionskandidaten – den konservativen Søren Pape Poulsen und den bürgerlich-liberalen Jakob Ellemann-Jensen. Sie blinzeln in die tief stehende Kopenhagener Herbstsonne. „Siehst du die Mehrheit?“, fragt Pape. „Nein, aber sie war doch eben noch da“, antwortet Ellemann.

An diesem Dienstag finden in Dänemark vorgezogene Parlamentswahlen statt. Noch im Spätsommer hatten die beiden Männer wie wahrscheinliche Gewinner ausgesehen. Welcher von beiden am Ende jedoch das Amt des Regierungschefs bekommen würde, war unklar.

Aber Ellemann und Pape hatten die Nachwirkungen von 13 Millionen toten Nerzen anscheinend deutlich überschätzt. Ihre Taktik war, den sogenannten Nerz-Skandal wieder aus der Versenkung zu holen, um so eine Wiederwahl der amtierenden sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen zu verhindern. Der Skandal hatte die 42-Jährige in Bedrängnis gebracht.

Im November 2020 hatte die damals von vielen als Corona-Chefin der Nation verehrte Frederiksen die Keulung sämtlicher Zuchtnerze in Dänemark angeordnet. Dieser Geschäftszweig drohte das Land zu einem „neuen Wuhan“ zu machen. Das Virus war von Käfig zu Käfig gesprungen und dabei mutiert. Viele Dänen fanden das Vorgehen deshalb völlig richtig.

Keine gesetzliche Grundlage

Kurz nach dem Keulungsbefehl stellte sich jedoch heraus, dass dafür die gesetzliche Grundlage fehlte. Denn de facto war eine ganze Branche zwangsenteignet worden. Eine Mehrheit im Parlament forderte, dass eine Untersuchungskommission eingesetzt werden sollte. Die kam im Sommer 2022 zu dem Ergebnis, die Regierung habe sich eines „groben Dienstvergehens“ schuldig gemacht. Deshalb drängte eine progressiv-liberale Partei, die Frederiksens Minderheitsregierung stützt, auf vorgezogene Neuwahlen.

Mette Frederiksen fand sich plötzlich in einer neuen Situation wieder: Ihre Stärke als resolute, tatkräftige Ministerpräsidentin offenbarte auch Schwachstellen. Der Vorwurf der Opposition, Frederiksens sei „machtvollkommen“, spielt darauf an, dass sie alle Bedenken ignoriert und einfach durchregiert, wenn ein Problem ihrer Meinung nach effizient gelöst werden muss.

Bis vor Kurzem hatte Frederiksen stets beleidigt auf solche Vorhaltungen reagiert. Das arrogante Zitat „lev med det“ (lebt damit) hing ihr lange nach und führte zu schlechten Umfrageergebnissen. Im Sommer rutschten die Sozialdemokraten auf 20 Prozent ab. Und die beiden Herausforderer Søren Pape Poulsen und Jakob Ellemann-Jensen witterten ihre Chance.

Aber so leicht wollte sich die Parteichefin aus der traditionellen Arbeiterregion Nordjütland nicht geschlagen geben. Taktisch klug zögerte sie die Ankündigung von Neuwahlen bis zum letzten Moment hinaus und legte sich ein nagelneues, warmherziges und selbstironisches Image zu.

Neuer Wahlslogan

Zusätzlich präsentierte sie eine große Überraschung: „Wir Sozialdemokraten treten mit dem Ziel bei der Wahl an, eine breite Regierung der Mitte zu bilden“, sagte die Frau, die bisher unbedingt hatte allein regieren wollen. Nun ist sie aber anscheinend bereit, die Macht mit anderen Parteien zu teilen. Die Begründung für diesen Kurswechsel soll die aktuelle internationale Sicherheits- und Energiekrise sein. „Zusammen durch schwierige Zeiten“ lautet daher der neue Wahlslogan der Sozialdemokraten.

Das Konzept von Mette Frederiksen scheint zu funktionieren: Derzeit liegen die Sozialdemokraten stabil bei 25 bis 26 Prozent. Das bedeutet, dass sie erneut die mit Abstand stärkste Partei Dänemarks werden. Ob das reicht, um an der Macht zu bleiben, könnte jedoch noch bis weit über den eigentlichen Wahltag hinaus unklar bleiben. Denn Beobachter sehen eine „Erdrutsch-Wahl“ mit großen Veränderungen der politischen Landschaft voraus.

14 Parteien treten an – mehrere zum ersten Mal. Dem sogenannten „roten Block“ gehören außer den Sozialdemokraten auch die Grünen, Sozialisten, früheren Kommunisten und eine progressiv-liberale Partei an. In der Mitte positioniert sich die neue „lila“ Partei Moderaterne. Und rechts tummeln sich neben Ellemann-Jensen und Pape Poulsen von den beiden klassischen Rechtsparteien Venstre (liberal-bürgerlich) und Konservative auch noch die ultraliberale LA sowie drei rechtspopulistische Parteien.

Die Anzahl rechtspopulistischer Parteien überrascht nicht: Themen wie Ausländer- und Migrationspolitik hatten die innenpolitischen Debatten in Dänemark jahrzehntelang dominiert. Das ursprüngliche Erfolgsrezept von Frederiksen war daher auch, selbst einen Rechtsruck auf diesen Politikfeldern zu vollziehen. Nur so war es den Sozialdemokraten 2019 gelungen, genügend Arbeiterwähler von den Rechtspopulisten zurückzuerobern, um einen Machtwechsel von „Blau“ zu „Rot“ zu erreichen.

Über 20 Prozent

Zuvor hatte die Dansk Folke­parti (Dänische Volkspartei) seit 2001 dem bürgerlichen „blauen Block“ mehrmals zur Macht verholfen. Für den Job als parlamentarische Mehrheitsbeschafferin ließ sie sich mit krassen Verschärfungen der Migrationspolitik bezahlen. 2015 kamen diese Rechtspopulisten der ersten Stunde auf über 20 Prozent der Stimmen und wurden die größte „blaue“ Partei Dänemarks.

Doch nun, wo die „stramme“ Migrationspolitik Mainstream geworden ist, gibt es mittlerweile so etwas wie einen „Rechtspopulismus 2.0.“ Die Dänische Volkspartei ist förmlich implodiert und muss dankbar sein, wenn sie den Sprung über die Zweiprozenthürde schafft. Denn auch andere Parteien fischen in der derselben trüben Brühe.

Unter ihnen ist die dänische „Trumpine“ Inger Støjberg, frühere bürgerlich-liberale Integrationsministerin, die mit ihrer neu gegründeten Partei Danmarksdemokraterne (Dänemark-Demokraten) auf 7 bis 8 Prozent der Stimmen kommen könnte. Auch Pernille Vermund von Nye Borgerlige (Neue Bürgerliche) ist eine erfolgreiche Hardlinerin, die einen totalen Asylstopp und die Rückführung von Migranten in ihre Heimatländer fordert.

Überraschend jedoch ist, dass die Ausländerfrage im Wahlkampf 2022 weit weniger Raum einnimmt als in früheren Jahren. Ein Grund könnte sein, dass es bis weit in den „roten Block“ hinein einen Konsens gibt: Eine restriktive Einwanderungspolitik und eine harte Linie in der Integrationspolitik sind unumgänglich, um in Dänemark an der Macht zu bleiben. Hinzu kommt, dass einige Mitte-rechts-Wäh­le­r vom dem ewigen Wettstreit um die „strammste“ Migrationspolitik“ allmählich genug haben.

Verblüffendes Comeback

Dies hat in den vergangenen Wochen zu einem verblüffenden Comeback des früheren bürgerlich-liberalen Regierungschefs Lars Løkke Rasmussen geführt. Dessen Umfragewerte kletterten innerhalb kurzer Zeit von null auf 10 Prozent. Rasmussen war nach seiner Wahlniederlage gegen Mette Frederiksen 2019 als Vorsitzender der Venstre abgewählt worden.

Jetzt hat er ein neues Projekt der Mitte namens Moderaterne gegründet. Rasmussen kommt bei vielen Wählern an. Unter anderem hat er eingeräumt, in seiner Amtszeit selbst Fehler begangen und Verschärfungen der Ausländerpolitik forciert zu haben. Jetzt sagt er: Nur durch eine pragmatische rot-blaue Koalition könne der Einfluss der extremistischen Flügel zurückgedrängt werden.

Trotzdem ist die Große Koalition in Dänemark keineswegs sicher. Denn selbst die pragmatischen „blauen“ Parteivorsitzenden, Ellemann-Jensen und Pape Poulsen lehnen eine Regierung mit Frederiksen ab. Da die beiden aber kaum eine blaue Mehrheit zusammenbekommen werden, zeichnet sich ein möglicher vierter Weg ab: Der erfahrene Løkke Rasmussen, der sich „lila“ nennt, könnte versuchen, selbst nach der Macht zu greifen, um ein drittes Mal Regierungschef in Dänemark zu werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • So Sozialdemokraten lobt man sich. Keinerlei Kündigungsschutz, Mitwirkungspflicht sonst Nullsanktion, restriktive Einwanderungspolitk,… die lachen sich tot über das Deutsche Arbeitsrecht und das Bürgergeld.

    • @Wombat:

      Offene Grenzen oder Sozialstaat, Arbeitslosen- oder Arbeiterpartei, einstellig oder dauerhaft Regierungspartei man muss sich halt entscheiden.