Berühmte Sängerinnen aus Iran: Was bleibt, ist die Stimme!

Die iranische Popmusik der siebziger Jahre war von großen Künstlerinnen wie Googoosh geprägt. Sie machen auch der heutigen Generation Mut.

Buntes Plattencover mit zwei iranischen Musikerinnen aus den 70er Jahren

Die iranischen Sängerinnen Ramesh und Googoosh auf einem Plattencover aus den 70er Jahren Foto: UtCon Collection/Alamy/mauritius images

Während im Iran dieser Tage Menschen protestieren und viele dafür ihr Leben lassen, erscheint Musik nicht unmittelbar wichtig. Doch die Popmusik, die vor der Revolution im Jahr 1979 im Iran produziert wurde, strahlt ins Hier und Jetzt. Für Generationen von Ira­ne­r:in­nen im Land und in der Diaspora enthält sie Visionen einer offenen Gesellschaft, die endlich zum Greifen nah scheint. Sie ist Teil eines kollektiven Bewusstseins – und sie wurde ebenso weiblich dominiert wie die aktuelle Protestbewegung.

Im vorrevolutionären Iran der Sechziger und Siebziger entstand eine weltweit einzigartige Form von Popmusik. Ihre unumstrittene Ikone ist die Sängerin Googoosh, die 1950 mit dem bürgerlichen Namen Faegheh Atashin als Tochter einer Familie aserbaidschanischer Im­mi­gran­t:in­nen geboren wurde.

Asita Shoai über die großen iranischen ­Sängerinnen der siebziger Jahre

„Man hört sie, man kennt sie, man kennt ihre Lebensläufe, man kennt ihr Schaffen“

Sie begann ihre Karriere im Kindesalter – als junge Frau jedoch internationalisierte sie die iranische Popkultur in einer Mischung aus persischer Poesie mit Jazz, Latin, Chanson und einer gehörigen Portion Funk in typisch persischer 6/8-Rhythmik. Wie überall in der Welt der Popkultur spielt Mode eine große Rolle für ihren Aufstieg.

Googoosh wird zum Postergirl und zur Stilikone des urbanen Iran der Siebziger. Wurde sie mit neuer Frisur abgelichtet, waren Frisörtermine in ganz Teheran ausgebucht. Der weibliche Kurzhaarschnitt wurde gänzlich nach ihr Googooshi benannt.

Ausschweifende Partys

Und doch hatte die iranische Gesellschaft auch in den Sechziger und Siebziger Jahren einiges zu verkraften. Das unerbittliche Regime des Schah, den wirtschaftlichen Aufschwung durch den Ölboom und damit verbundene postkoloniale Verflechtungen mit internationalen Ölkonzernen.

Googoosh: In weißem Tennisdress, Tennishut und Schläger lässig über der Schulter auf dem Aschenplatz

Googoosh beim Tennis im Iran der 70er Jahre Foto: Historic Collection/Alamy/mauritius images

Neue Werte, neue Bilder strömten in ein Land, dessen ländlich geprägte Tradition wenig gemein hatte mit Miniröcken, zuckriger Brause und ausschweifenden Partys.

Der Schah drängte die Kulturproduktion gen Westen, doch waren nicht alle Teile der Gesellschaft dafür bereit. Der staatliche geförderte Laizismus erzeugt viele Abgase. Die Popmusik wirkte wie ein Katalysator – sie verbindet den alten mit dem damals neuen Iran, die reiche Tradition persischer Dichtkunst mit globalen musikalischen Einflüssen.

Nur hatte sie dafür wenig Zeit. Mit der von den Islamisten gekaperten Revolution von 1979 verstummt der iranische Pop wie man ihn aus den Siebzigern kannte. Die Prot­ago­nis­t:in­nen der Popkultur und ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung verlassen das Land. Im Nachgang der Revolution wird Musik unter strengen Auflagen produziert. Und Sängerinnen werden davon gänzlich ausgeschlossen. Zudem tobt ab 1980 der Krieg mit dem Nachbarland Irak.

Kulturelle Auslöschung

Der Teheraner Galerist und Kulturarchäologe Ali Bakhtiari hat der persischen Popkultur mehrere Bücher gewidmet.

Er sagt:„Revolutionen sind nun mal sehr brutal und sie versuchen, alle Elemente der Vergangenheit auszulöschen. Man muss sich vorstellen, dass allein der Besitz dieser popkulturellen Produkte nach der islamischen Revolution ein Tabu war, mitunter gefährlich! Viele Filme wurden zerstört, Musik und Vinylschallplatten wurden hastig weggeworfen. Heute nun alle die Informationen über die kulturellen Artefakte zusammenzutragen, ist sehr schwierig, denn sie waren ja auch nur so kurze Zeit in physischer Form erhältlich.“

Seine Recherchen förderten so manch beachtenswertes Detail zutage. So wurden die meisten Schallplattenhüllen nicht von hochdotierten Grafikagenturen gestaltet, sondern von Ar­bei­te­r:in­nen in den Druckereien.

Bakh­tiari spricht von einem Empowerment, da „die Dinge, die von den Massen konsumiert wurden, auch von ihnen hergestellt wurden.“ Vielleicht ist auch das ein Grund für die weitläufige, manchmal etwas nostalgische Identifikation mit den kulturellen Hervorbringungen der Sechziger und Siebziger.

Do Panjereh

Googooshs Song „Do Panjereh“ zum Beispiel kennen alle. Er verhandelt den Dialog zwischen zwei Fenstern, die unsterblich in einander verliebt sind. Jedoch können sie nie vereint sein, weil beide eingemauert sind. „Zwei Sehnsüchte auf ewig. In einer Mauer. Die nie zueinanderfinden, aber ständig voreinander stehen“, so heißt es im Text.

Das Gedicht „Do Panjereh“ stammt vom dem zeitgenössischen Dichter Ardalan Sarfaraz. Er beschreibt hier eigentlich die Geschichte einer unterdrückten Generation. Als Googoosh einen Popsong daraus macht, wird aus dem politischen Gedicht ein Liebeslied. Wie die meisten Popstars kehrt auch Googoosh dem Iran nach Machtergreifung der Islamisten umgehend den Rücken.

Doch nach drei Monaten im Ausland entscheidet Googoosh, dass sie zurückkehren will. Es warten zunächst Gefängnis, dann Hausarrest und das Ende ihrer Karriere, aber es war ihr lieber, als woanders zu wohnen. Einundzwanzig Jahre wird es fast vollkommen still um diese Ikone, die ihr Leben zuvor im Rampenlicht gestanden hatte.

Erst im Jahr 2000 immigriert sie nach Kanada. In der Diaspora findet sie schnell wieder Anschluss. Ihre Aufnahmen hatten sich über Jahrzehnte via Bootlegs verbreitet. Dem amerikanischen Magazin Pitchfork gestand Googoosh im Jahr 2018, dass sie vom Ausmaß ihrer Beliebtheit in der Isolation nichts mitbekommen hatte.

Sehnsucht füllt Hallen

Auch heute füllt sie weltweit nur die größten Hallen. Sie sind voller Familien, die sich von ihr in eine bessere Zeit zurückversetzen lassen. Mit dem in London ansässigen ManotoTV betreibt sie auch einen eigenen Fernsehkanal. Ihr Vermögen wird mittlerweile auf 70 Millionen US-Dollar geschätzt.

Eine, die bei ihrem Comeback mitgefiebert hat, ist Asita Shoai. Die gebürtige Iranerin verließ 1984 den Iran fluchtartig und lebt seither in Hamburg.

Shoai sagt: „Das Gesangsverbot für die Hälfte der Gesellschaft war natürlich nicht die einzige Repressalie an iranischen Frauen. Aber die neue Generation lässt sich nichts sagen, trotz der totalitären Ordnung. Sie vergleicht ihre Position in der Gesellschaft mit der Position der Frauen in der vorrevolutionären Ära. Sie erhebt ihre Stimme, denn sie weiß, wozu sie in der Lage ist und dass sie ein besseres Leben verdient. Viele der Sängerinnen aus der alten Ära sind nicht mehr am Leben, aber ihre Stimmen sind noch da. Man hört sie, man kennt sie, man kennt ihre Lebensläufe, man kennt ihr Schaffen. Und eine Legende wie Googoosh, die noch im Alter von 72 Jahren die Bühne rockt, macht den jungen Menschen noch immer Mut.“

Wenn Asita Shoai vom iranischen Pop der Siebziger spricht, dann meint sie nicht nur Googoosh, sondern auch Giti Pashaei, Hayedeh, Homeyra, Mahasti oder die 2021 verstorbene Ramesh. Sie verband tiefgründige Interpretation von Dichtkunst mit einem queer anmutenden Image.

Leder und Motorrad

Ein ikonisches Foto zeigt Ramesh in Lederkluft vor einem Motorrad stehend. Zu landesweitem Ruhm kam sie in der Fernsehshow von Fereydun Farrochsad, dem Multitalent: Showmaster, promovierter Rechtswissenschaftler, Dichter und Musiker, ein sympathischer Geist, der aus der iranischen Popgeschichte nicht wegzudenken ist.

Mit lauter Stimme setzte er sich für eine Trennung von Staat und Religion ein. 1992 wurde er im deutschen Exil in seinem Haus in Bonn brutal ermordet aufgefunden. Die Tat wurde nie aufgeklärt, wird aber mit einer Mordserie in Verbindung gebracht, bei der viele exilierte Regimegegner ihr Leben verloren – den sogenannten Kettenmorden.

Fereydun Farrochsads große Schwester war die feministische Dichterin Forugh Farrochsad, die selbst bei einem tragischen Autounfall starb.

In Zusammenhang mit der aktuellen Protestbewegung kommt Shoai immer wieder ein Satz Forugh Farrochsads ins Bewusstsein: „Das Einzige, was bleibt, ist die Stimme“ – und die ist derzeit laut vernehmbar in den Straßen Irans.

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