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Ungleich verteilte EnergiekostenIn der Teuerstromzone

In den nördlichen Flächenländern sind die Strom-Netzentgelte teurer als in den südlichen. Ginge eine Teilung in zwei Strompreiszonen zu weit?

Geht zu Lasten der Verbraucher im Norden: Wind- und Solarpark in Büttel an der Unterelbe Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Osnabrück taz | Wir leben in Tagen tiefer Spaltungen. Auch bei den Strompreisen ist das so. Das liegt vor allem an den Netzentgelten. Als Teil des Elektrizitätspreises decken sie die Kosten für das Stromnetz. Jeder Haushalt zahlt sie, jedes Gewerbe, jeder Industriebetrieb.

Das Problem: Von Region zu Region unterscheiden sie sich stark. In den nördlichen Bundesländern sind sie oft weit teurer als in den südlichen. Das hat viele Gründe: In dünn besiedelten Gebieten werden die Netzkosten auf wenige Nutzer verteilt. Ältere Netze kosten weniger als neue. Auch die Auslastung spielt eine Rolle, und die Einspeisung.

Die Folge: Im Norden, wo viel Strom produziert wird, vor allem durch Windkraft, fallen mehr Kosten an als im Süden, wo viel verbraucht wird und es beim Ausbau der Erneuerbaren oft hakt, zumal in Bayern.

Das sei „eine unfaire Mehrbelastung für viele Haushalte im Norden“, hat Schleswig-Holsteins grüner Energiewendeminister, Tobias Goldschmidt Mitte September gesagt, beim Treffen der Landes-Energieminister in Hannover. Das gefährde „die Akzeptanz in Bundesländern, die aufgrund ihrer guten Standortbedingungen einen überproportional großen Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten“.

Nord-Länder wollen Spaltung

Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) formuliert das fast deckungsgleich. „Hohe Netzentgelte in erneuerbaren Energien-Erzeugungsregionen“, sagte er Anfang September in einer Debatte zur Netzentgeltsystematik im Schweriner Landtag, „gefährden die Akzeptanz der Energiewende“.

Norddeutschlands Flächenländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern propagieren jetzt eine Teilung Deutschlands in zwei Strompreiszonen: Nord und Süd. Bayern wehrt ab. „Was wir nicht brauchen“, teilt Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) Ende September mit, „ist eine Debatte im klein-klein über Netzentgelte und Strompreiszonen.“ Überhöhte Netzentgelte müsse der Bund übernehmen.

Ein Blick auf 2021 zeigt: Verbraucher in Schleswig-Holstein zahlen die höchsten Entgelte. Bei einem Jahresverbrauch von 4000 kWh schlugen pro Haushalt durchschnittlich 410 Euro zu Buche, in Hamburg 370, in Mecklenburg-Vorpommern 355 Euro. In Bayern waren es 274.

Ein Blick in den „Monitoringbericht 2021“ der Bonner Bundesnetzagentur, auf die Farbverteilung ihrer Deutschlandkarten, von hitzigem Orange (teuer) und beruhigendem Blaugrau (preisgünstiger) zeigt: Blaugrau ist es eher im Süden. Und derzeit? Michael Reifenberg, Sprecher der Agentur, teilt auf taz-Anfrage mit: „Informationen zu Netzentgelten für das Jahr 2022 liegen noch nicht vor.“

Süden „stark subventioniert“

Pao-Yu Oei, Professor für Ökonomie der Transformation von Energiesystemen an der Europa-Universität Flensburg, findet den Vorstoß der Nord-Länder hilfreich. „Grundsätzlich wäre eine Einteilung in Zonen sinnvoll“, sagt er der taz. „Vielleicht sogar in mehr als zwei.“ Der Süden werde in der Tat „stark subventioniert“, zeige ein „Not-in-My-Backyard-Denken“, nicht zuletzt bei Windkraftanlagen. „Aber es ist schwer, Trennlinien zu ziehen. Das geht ja nicht einfach so an Bundesländergrenzen entlang.“

Oei geht nicht davon aus, dass sich das Zonenmodell politisch realisieren lässt. „Das wird Verhandlungsmasse sein, und am Ende kommt es zu anderen Ausgleichsmethoden, vielleicht zu einer stärkeren Finanzierung des Netzausbaus durch den Süden.“ Außerdem sei durch eine Zonierung „ja nicht plötzlich alles in Ordnung“. Es gelte, den Strommarkt „an sehr vielen Stellen reformieren“, ganz grundsätzlich. Die Diskussion um die Zonen löse „Druck aus, über Reformen nachzudenken“.

Das hofft auch Klaus Kuhn­ke, emeritierter Professor für Erneuerbare Energien der Hochschule Osnabrück. Die Benachteiligung der nördlichen Bundesländer sei „völlig klar ersichtlich“ und „ungerecht, wie man es auch verpackt“, sagt er der taz. Ausgleich sei nötig.

Aber eine Aufteilung in Strompreiszonen ist auch ihm zu klein gedacht. „Es muss um allgemeingültige Gerechtigkeit gehen, um eine deutschlandweite Lösung.“ Kuhnke stellt sich dafür ein „Stromgerechtigkeitsgesetz“ vor, ein „Elektrolastenverteilungsgesetz“.

Zudem hält Kuhnke es mit Hans-Josef Fell, grüner Ex-Bundestagsabgeordneter und Co-Autor der ersten Version des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. Fell propagiert eine Teilung der Strombörse, an der sich derzeit fossiler und regenerativer Strom mischen, im Merit-Order-Modell, wodurch das Kraftwerk mit den höchsten Kosten den Marktpreis bestimmt.

„Und das ist derzeit Erdgas“, sagt Kuhn­ke. „Das führt dazu, dass der Strompreis unnötig hoch ist, sogar steigt, obwohl Strom aus erneuerbaren Energien konkurrenzlos günstig ist.“

Die Vorteile der Erneuerbaren

Man müsse das trennen. „Eine Börse für sauberen Strom aus Erneuerbaren Energien, aus Sonne, Wind, Wasser, Biomasse. Eine andere Börse für dreckigen Strom aus Öl, Gas, Kohle und Atom. Hätte man zwei getrennte Märkte, träten die Vorteile der Erneuerbaren Energien klar hervor, und die Motivation vieler würde steigen, sich ihnen zuzuwenden.“

Es gelte, „größer zu denken“. Der derzeitige Markt sei dysfunktional, zementiere die Macht der Fossil-Energiekonzerne, suggeriere dem Endkunden, Ökostrom sei eine Belastung.

Leider sei guter Lobbyismus oft stärker als gute Sacharbeit. Kuhnke wünscht sich, dass der Bundesverband Erneuer­bare Energien sich in der Politik stärker Gehör verschafft, ebenso die Bundesverbände Solarwirtschaft und Windenergie.

Noch ist das Schicksal des Zonenplans offen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich allerdings schon festgelegt: Er lehnt ihn ab.

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