Jugend im DDR-Grenzgebiet: Zutritt nur mit Berechtigung

Unser Autor lernte im Schaalsee schwimmen und ging in Zarrentin ins Restaurant auf eine Bockwurst. Jetzt war er im Urlaub da.

Ein Rettungsring vor einem See

Durch den Schaalsee verlief einmal die innerdeutsche Grenze Foto: dpa

ZARRENTIN taz | Die letzten Augusttage dieses Sommers verbrachte ich eine Urlaubswoche zusammen mit meinem Mann in Zarrentin am Schaalsee. Ausschlaggebend waren nostalgische Gründe. Ich wollte endlich einmal in meiner alten Heimat Ferien machen. Denn ich stamme aus dem Dorf Gallin, gerade mal zehn Kilometer weit entfernt von Zarrentin, und kenne die kleine Stadt von Kindesbeinen an.

Ich verbinde schöne, angenehme Erinnerungen mit Zarrentin in DDR-Zeiten, damals eine klitzekleine Stadt. Im Schaalsee hab ich schwimmen gelernt. Mit Mutters ging es mit dem Bus öfters nach Zarrentin. Softeis essen. Ins Landambulatorium – eine der positiven Errungenschaft der DDR –, wenn es sein musste.

Wir gingen zum Friseur, kauften in der Hauptstraße, der Einkaufsstraße mit den meisten Geschäften (darunter auch ein Spielwarenladen), all das ein, was es im Dorfkonsum nicht gab. Ließen uns beim Fotografen ablichten. Und aßen gegen Mittag, kurz bevor der Bus zurück ins Heimatdorf fuhr, auf der Hauptstraße immer in derselben Restauration, deren Namen ich längst vergessen habe, wo aber unsere Nachbarin Frau B. aus meinem Dorf arbeitete. Jedes Mal Kartoffelsalat mit Bockwurst.

Viel mehr gab es da auch nicht. Aber es war stets lecker. Zumindest in meiner Erinnerung. Auch wenn das ja so eine Sache mit den Erinnerungen ist. Aber eins ist gewiss: Zarrentin, damals noch ohne „am Schaalsee“ im Namen (das kam 2004), war eine beschauliche, entspannte, unaufgeregte Kleinstadt.

Nur: Die Stadt lag (wie auch mein Heimatdorf) im Sperrgebiet. Die Staatsgrenze zur BRD war überhaupt nicht weit. In Zarrentin ging sie quer durch den See (siehe Grafik) und von meinem Dorf aus waren es keine drei Kilometer; richtig nahe kam man der gut bewachten Grenze aber nicht. Wer wie ich hier lebte, hatte einen Stempel im DDR-Personalausweis, der zum Betreten des Sperrgebiets berechtigte, eben weil man das „Wohnrecht in der 5-km-Sperrzone“ (so der DDR-Jargon) besaß.

Der „Perso“ mit dem Stempel war wichtig, weil es Kontrollen an Schlagbäumen auf den Straßen hinein ins Sperrgebiet gab. Volkspolizisten, mitunter standen an ihrer Seite auch Soldaten mit Gewehren über der Schulter am Schlagbaum, taten hier ihren Dienst und kontrollierten die Businsassen oder die Leute in den Trabis.

Für Leute mit Stempel war das kein Problem. Für alle anderen schon. Klassenkameraden aus dem Nachbardorf zum Beispiel konnten nicht mal eben zu Besuch vorbeikommen; Verwandte mussten Wochen vorher einen „Passierschein“ beantragen (der auch schon mal nicht genehmigt wurde).

Das mit dem Passierschein war vor allem wegen der Disco blöd. Einmal im Monat fand sie statt, im Saal neben der Dorfgaststätte, und es mangelte uns immer an Gästen – weil die Jugendlichen aus den Nachbargemeinden, außerhalb des Sperrgebietes liegend, ja nicht in unser Dorf hinein durften. Außer sie waren ganz mutig: Denn die Schlagbäume waren nicht immer durchgängig besetzt, schon gar nichts abends oder nachts.

Und mit Grusel erinnere ich mich an die Zugfahrten von Hagenow, zu DDR-Zeiten unsere Kreisstadt, nach Zarrentin hinein (leider ist die Stadt seit Langem vom Regionalverkehr abgekoppelt). Weil der Zug mitten ins Sperrgebiet hineinfuhr, wurde drinnen nicht nur der Personalausweis kontrolliert. Draußen sah man kilometerweit entlang den Schienen Stahlseile hängen, an denen Hunde – oft Schäferhunde – hin und her liefen. Zur Abschreckung. Wahrscheinlich für den Fall der Fälle, dass sich im Zug jemand aufhielt, der illegal ins Sperrgebiet einreisen und aus dem Zug springen könnte, weil er, oh Gott, oh Gott, rübermachen wollte.

Es gab immer wieder mal entsprechende Geschichten, hinter vorgehaltener Hand geflüstert, dass jemand versucht habe, über den Schaalsee zu kommen … aber zu DDR-Zeiten war das Geraune groß. Wir haben als Jugendliche, mit zu viel süßem Wein oder Kirschlikör im Blut, öfter Witze über die Grenze gemacht und uns war klar, dass man diese Witze nicht laut erzählten durfte, weil eben immer die Möglichkeit bestand, dass da jemand mithört, der es weiterträgt …

Tja, Zarrentin. Eine Stadt, mit der ich viele Erinnerungen verbinde. Eine beschauliche, entspannte, unaufgeregte – als gestresster Großstadtbewohner würde ich nun hinzufügen: lebenswerte – Kleinstadt ist Zarrentin am Schaalsee heute noch, ja mehr denn je. Schöner als zu DDR-Zeiten, lebendiger zudem, auch wenn in der Einkaufsstraße viele Läden längst verschwunden sind. Und es gibt jetzt Touristen, oft aus dem nahen westdeutschen Norden, aber auch von woanders her.

Und viel Neues: Hier ein Café am Kloster, dort ein italienisches Restaurant am Schaalsee neben der Badestelle – auf einen Aperitif im ehemaligen Grenzgebiet! –, die Stadtinformation „Schaalsee-Info“, die jetzt zugleich ein Regionalwarenladen ist (mit richtig gutem Käse), oder „Backverrückt“, eine junge Bäckerei mit alten Wurzeln in der Region, wo es wohl das beste Brot in Westmecklenburg gibt.

Im Urlaub hab ich einen Ort für mich entdeckt: Am Südrand des Schaalsees gibt es ein Kalkflachmoor, das man über einen langen Holzsteg trockenen Fußes durchlaufen kann. Das ist wunderschön. So wie andere erwanderte Ecken rund um den See, die ich noch nicht kannte.

Das mit der Urlaubswoche in der alten Heimat war eine gute Idee. Nächstes Jahr wieder. Denn Sperrgebiete gibt es, außer aus Naturschutzgründen, ja nicht mehr.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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