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Blut und Milch

MORD Es war ein Streit über Entlassungen in einer kolumbianischen Milchpulverfabrik: Im Frühjahr 2005 will ein Gewerkschafter gegen Nestlé aussagen. Kurz davor wird er zu Tode gefoltert. Hatte das Unternehmen damit zu tun?

Ethik der Multis

■ Das System: Unternehmen lagern ihre Produktion oft an ferne Firmen aus. So wird es schwer, sie für Arbeitsbedingungen verantwortlich zu machen. Beispiel: Apple und die iPhone-Werke in China.

■ Der Konzern: Eine Anzeige gegen Nestlé soll nun dessen Verantwortung für einen Mord im Umfeld eines Milchpulverwerks in Kolumbien nachweisen. Nestlé wurde in den vergangenen Jahren nicht nur die Missachtung von Arbeiterrechten, sondern auch die Abholzung des Regenwalds oder Tierexperimente vorgeworfen.

AUS VALLEDUPAR TONI KEPPELER

Eigentlich wollte Luciano Romero seine Frau Ledys Mendoza nicht allein zu Hause lassen. Er wollte nicht arbeiten, sondern sein Taxi, einen gelben Chevrolet Sprint, einfach eine Nacht vor dem Haus stehen lassen. Ledys war erschöpft, sie war gerade operiert worden. Romero hatte sie ins Krankenhaus begleitet. Weil sein Schwager kam und sich um sie kümmerte, fuhr Romero trotzdem los. „Ruf mich an, wenn dein Bruder nach Hause will“, sagte er noch. „Dann komm ich sofort zurück.“

Abends um neun rief Ledys ihren Mann an. Doch sein Handy war ausgeschaltet.

Am nächsten Morgen um zehn kam ein Kollege von der Taxikooperative bei Ledys vorbei. „Er sagte, ich solle ins Krankenhaus kommen, es gebe dort einen Toten.“ Als sie ankam, waren dort schon viele Gewerkschafter.

Die Leiche von Luciano Enrique Romero Molina war am Morgen des 11. September 2005 auf einer Wiese vor der Provinzstadt Valledupar im Norden von Kolumbien gefunden worden. Romero wurde mit fünfzig Messerstichen zu Tode gefoltert. Er war der fünfte Gewerkschafter der Milchpulverfabrik Cicolac in Valledupar, der ermordet wurde. Jener Milchfabrik, die zu Nestlé gehört, dem Lebensmittelkonzern mit 328.000 Mitarbeitern weltweit, einem Umsatz von 83,6 Milliarden Schweizer Franken und einem Gewinn von 9,5 Milliarden im Jahr 2011. Luciano Romero starb mit 46 Jahren.

Dass Gewerkschafter getötet werden, ist in Kolumbien fast Alltag. Sechzig Prozent der in den vergangenen zehn Jahren weltweit begangenen Morde an organisierten Arbeitern wurden dort verübt. Seit 1986 hat die 3.600-Mitglieder-Gewerkschaft Sinaltrainal, die Nationale Gewerkschaft der Arbeiter in der Lebensmittelindustrie, mehr als zwanzig ihrer Mitglieder so verloren. Dreizehn arbeiteten vorher in einer Nestlé-Fabrik.

Kaum einer dieser Morde wurde aufgeklärt. Deshalb ist der Fall Romero ein besonderer: Vier ehemalige Paramilitärs, die den Gewerkschafter in der Nacht des 10. September 2005 entführt und zu Tode gefoltert hatten, wurden in den Jahren 2007 bis 2009 zu Haftstrafen von bis zu vierzig Jahren verurteilt.

Diese vier kleinen Schergen hätten die Tat unmöglich allein begehen können, heißt es in einem der Urteile des Gerichts in Bucaramanga. Geplant und finanziert hätten sie andere. Der Richter wies deshalb die Staatsanwaltschaft an, „gegen führende Manager von Nestlé-Cicolac zu ermitteln, um ihre wahrscheinliche Beteiligung und/oder Planung und Finanzierung des Mordes am Gewerkschaftsführer Luciano Enrique Romero Molina aufzuklären“. Die Ermittlungen wurden bis heute nicht ernsthaft aufgenommen.

Das „European Center for Constitutional and Human Rights“ in Berlin, kurz ECCHR, hat nun im Schweizer Kanton Zug, wo Nestlé einen Sitz hat, Strafanzeige gegen den damaligen Konzernchef Peter Brabeck-Letmathe und vier Spitzenmanager eingereicht. Ihnen wird darin vorgeworfen, durch Unterlassen von Schutzmaßnahmen den Tod des Gewerkschafters Luciano Romero mitverursacht zu haben. Das Verfahren soll zu einem Pilotprozess führen, der zeigt, dass auch Konzernchefs in den Zentralen für Menschenrechtsverletzungen ihrer Tochterunternehmen im fernen Ausland zur Rechenschaft gezogen werden können.

Die Anzeige passt nicht zu dem Bild, das Nestlé gern von sich zeichnet. Im Nachhaltigkeitsreport des Konzerns von 2008 steht: Jeder Mitarbeiter solle Gelegenheit haben, „sein Potenzial an einem sicheren und fairen Arbeitsplatz zu entwickeln, an dem er gehört, respektiert und geschätzt wird“. Die Sicherheit der Mitarbeiter sei „nicht verhandelbar“.

In einer Firmenbroschüre aus dem Jahr 2006 heißt es, gerade im Bürgerkriegsland Kolumbien „haben wir nach Konsultationen sowohl mit den Behörden als auch mit den Gewerkschaften große Anstrengungen unternommen, unsere Gewerkschaftsführer, Arbeiter und Manager zu schützen“.

Auch der Streit über Nestlés Milchpulverfabrik mit dem klangvollen Namen Cicolac wird thematisiert: Man sei sich bewusst, dass die Lebensmittel-Gewerkschaft „mit dem Ausgang der Ereignisse in unserer Fabrik in Valledupar nach wie vor unzufrieden ist, deren Restrukturierung wir 2003 beschlossen hatten, damit der Betrieb weiterhin wirtschaftlich tragfähig ist.“ 191 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Fabrik Cicolac wurden damals entlassen und abgefunden – die gesamte Belegschaft, bis auf einen, der sich weigerte, zuzustimmen. „Daraufhin konnte die Fabrik gerettet und die Arbeiter im Rahmen einer neuen Lohnstruktur weiterbeschäftigt werden.“ Dass der Konflikt mit dem Mord an Luciano Romero endete, erwähnt die Broschüre nicht.

Die Auseinandersetzung um die Fabrik in Valledupar begann Anfang 2002. Die 350.000 Einwohner und Einwohnerinnen zählende Stadt im Norden von Kolumbien liegt in einem weiten Tal zwischen der Andenkette im Osten und der Sierra Nevada im Westen, knapp hundert Kilometer von der karibischen Küste entfernt. Vierzig Kilometer weiter im Osten kommt die Grenze zu Venezuela.

Die Gewerkschaft will streiken – trotz der Gefahr

Oben in der Sierra Nevada ziehen immer wieder Kolonnen linker Guerilleros vorbei. Die Talebene dagegen war 2002 fest im Griff rechter Paramilitärs von den Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens, den AUC. Viele der großen Viehzüchter der Gegend gehörten in den Achtzigern zu den Gründern dieser illegalen Truppe, die Massaker an Zivilisten verübte. Etliche der Großgrundbesitzer sitzen deshalb in Haft. Zumindest mit zweien der Verurteilten war die Nestlé-Fabrik Cicolac eng verbandelt.

Valledupar ist keine attraktive Stadt. Es gibt kein historisches Zentrum mit Kolonialbauten, keine Einkaufsstraße. Häuserquadrate reihen sich aneinander. Die Stadt lebt vom Handel und Schmuggel mit Venezuela, von der Viehzucht. Das Milchpulverwerk von Nestlé ist eine der wenigen Fabriken. Der weiß gestrichene Komplex befindet sich am Stadtrand, dahinter beginnen die Hügel der Sierra Nevada. Dort liegt Luciano Romero auf dem Friedhof begraben.

192 fest angestellte Beschäftigte hatte die Milchpulverfabrik Anfang 2002. Dazu kamen zwischen 70 und 300 Zeitarbeiter, je nach Saison. Die Arbeiter waren privilegiert. Sie verdienten rund das Dreifache der üblichen Löhne und bekamen medizinische Versorgung für die Familie, Stipendien für die Ausbildung oder Kredite für den Kauf einer Wohnung. Anfang 2002 kündigte Nestlé den Tarifvertrag für die Fabrik. Am 28. Februar konterte die Gewerkschaft Sinaltrainal mit einem Forderungskatalog. Die Firma wollte die Kosten senken: weniger Lohn, weniger Sozialleistungen. Sinaltrainal verlangte dagegen eine Anpassung der Löhne an die Inflationsrate.

Sinaltrainal beschloss zu streiken, obwohl das gefährlich war, weil die Milchbosse mit den Paramilitärs kooperierten. „Alle großen Milchlieferanten von Cicolac finanzierten die Paramilitärs“, sagt der damalige Ortsvorsitzende Osvaldo Silva. Die Milchlieferanten hingen von Nestlé ab. Nestlé erwog, die Fabrik Cicolac wegen zu hoher Arbeitskosten zu schließen, und drohte damit den Lieferanten. Die schickten die Paramilitärs zu einer Protestveranstaltung der Gewerkschaft vor dem Firmengelände. „Wir hatten ein Zelt aufgebaut“, erinnert sich Silva. „Die Paras umkreisten es mit ihren Autos, Geländewagen mit abgedunkelten Scheiben und ohne Nummernschilder.“

Es gab Todesdrohungen. Am 27. April wurde der Streikaufruf zurückgezogen. Sinaltrainal beschränkte sich auf Protestkundgebungen vor der Fabrik.

Durch eine dieser Kundgebungen im Juli 2002 fühlte sich der Packer eines Transportunternehmens, das Milchpulver abholte, bei seiner Arbeit behindert. Der Personalchef von Cicolac ließ sich deshalb vom Arbeitsministerium einen „teilweisen illegalen Streik“ attestieren. Das diente am 22. Oktober als Begründung, um neun Gewerkschafter zu entlassen; darunter der für Menschenrechtsfragen zuständige Luciano Romero.

Romero war kein klassenkämpferischer Heißsporn. „Es lag ihm nicht, Reden vor den Kollegen zu halten“, sagt Silva. „Er war eher zurückhaltend und still und tat im Hintergrund das, was zu tun war.“ Außer in der Gewerkschaft engagierte er sich beim Solidaritätskomitee für politische Gefangene. Von Cicolac-Managern war er deshalb öffentlich als Guerillero diffamiert worden. In Kolumbien fordert man Paramilitärs so zum Mord am Diffamierten auf.

Der Konflikt in der Milchpulverfabrik Cicolac war mit dem Rauswurf der neun Gewerkschafter noch lange nicht beendet. Am 17. September 2003 kündigte Nestlé allen 192 Beschäftigten. Cicolac werde verkauft, hieß es. 191 stimmten noch am selben Tag ihrer Entlassung zu. Das Milchpulverwerk wurde verkauft an DPA, die Dairy Partners Americas, ein Joint Venture, an dem Nestlé und der neuseeländische Milchkonzern Fonterra je zur Hälfte beteiligt sind. Nichts an der Fassade des Werks weist mehr auf Nestlé oder Cicolac hin. Die Löhne von DPA liegen bei etwa einem Drittel derer von Cicolac, zusätzliche Sozialleistungen gibt es so gut wie nicht mehr.

Luciano Romero engagierte sich nach seiner Entlassung weiter für Sinaltrainal. Er arbeitete am Tag ehrenamtlich in einer von seiner Gewerkschaft betriebenen Schule, abends und nachts fuhr er Taxi. „Seine Kollegen haben ihn gewarnt, gerade die Nachtstunden seien gefährlich“, erzählt seine Witwe Ledys Mendoza. „Aber er sagte, er passe auf sich auf.“ Seine Gewerkschaftsarbeit spielte sich eher im Hintergrund ab. Trotzdem war er in ein Schutzprogramm der Interamerikanischen Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten aufgenommen worden. Der kolumbianische Staat wurde von der Kommission aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um Romeros Leben zu schützen.

Doch die Todesdrohungen hörten nicht auf. Die spanische Provinz Asturien bot Romero deshalb politisches Asyl auf Zeit an. Von November 2004 bis April 2005 war er in Spanien in Sicherheit. „Erst vor seiner Abreise hat er mir gesagt, dass sein Leben in Gefahr war“, sagt seine Witwe.

Nach seiner Rückkehr bereitete er sich mit Anwälten auf seine Rolle als Zeuge vor dem Permanenten Tribunal der Völker vor. Die von Staaten unabhängige Organisation versteht sich als Nachfolgerin des Russell-Tribunals, bei dem 1967 in Schweden und Dänemark die Kriegsverbrechen der USA in Vietnam verurteilt worden waren. Das Tribunal aus internationalen Rechtsexperten, Schriftstellern und anderen Intellektuellen stützt sich auf die Internationale Menschenrechtserklärung und auf die UN-Erklärung der Rechte indigener Völker. Bei der Sitzung am 29. und 30. Oktober 2005 in Bern wurde über Machenschaften internationaler Konzerne verhandelt. Darunter auch: Nestlé.

Der Geheimdienst überwacht Romero

Heute weiß man, dass Romeros E-Mail-Verkehr mit dem Tribunal und mit seinen Anwälten vom staatlichen kolumbianischen Geheimdienst DAS überwacht wurde. Das kam am Rande eines Spitzelskandals heraus, bei dem es um die illegale Überwachung der Telefone von Oppositionspolitikern, Richtern und Staatsanwälten ging. Eigentlich war der DAS für den Schutz gefährdeter Gewerkschafter zuständig. Inzwischen aber ist gerichtlich erwiesen, dass die Geheimagenten Listen mit den Namen von zu schützenden Personen angelegt und diese an Paramilitärs weitergereicht hatten. Weil bei einer Durchsuchung der DAS-Zentrale solch brisante Dokumente auftauchten, ordnete der damalige Präsident Alvaro Uribe im September 2009 an, den Geheimdienst aufzulösen.

Agenten des DAS waren es auch, die in Valledupar die Paramilitärs über die Aktivitäten Romeros informierten. Einer dieser Paramilitärs mit dem Namen José Antonio Ustariz kontaktierte den Gewerkschafter sechs Wochen vor dem Mord. Er sei von seinem Land vertrieben worden und wolle sich vom Solidaritätskomitee juristisch beraten lassen, behauptete er. Die beiden Männer blieben in Kontakt. Romero schöpfte deshalb keinen Verdacht, als Ustariz am Abend des 10. September 2005 gegen 19.30 Uhr sein Taxi anhielt.

Ustariz ließ sich an den Stadtrand fahren, auf eine Finca gleich hinter der Militärgarnison. Dort wartete der Chef einer Todesschwadron der Paramilitärs. Romero wurde auf einen Stuhl gefesselt und verhört. Im Prozess behaupteten die Peiniger, der Gefangene sei Mitglied der Guerillaorganisation ELN gewesen und hätte dies im Verhör gestehen sollen. Romero aber habe nicht gestanden. Man habe ihn deshalb mit Messern getötet.

Der Richter erachtete diese Erzählung in seinem Urteil als Schutzbehauptung. Wäre Romero ELN-Kämpfer gewesen, hätte der Mord nicht als Verbrechen an einem Zivilisten gegolten, sondern als eines, das im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt begangen wurde. Dafür gibt es in Kolumbien eine Teilamnestie. Die Mörder wären mit höchstens acht Jahren Haft davongekommen.

Die Täter waren eher zufällig gefunden worden. Weil Romeros Taxi verschwunden war, ging die Staatsanwaltschaft erst von einem Raubmord aus. Später hieß es, die Familie des Ermordeten habe eine Lebensversicherung kassieren wollen, die freilich niemals abgeschlossen worden war. Dann wurde am 31. Dezember 2005 wegen eines anderen Mordfalls eine Autowerkstatt durchsucht. Dabei fanden die Ermittler drei Türen von Romeros Taxi. Der Besitzer erklärte, sein Schwiegersohn, ein Paramilitär, habe ihm die Türen gebracht. Offenbar sollte der Wagen in Einzelteilen verkauft werden.

Der Schwiegersohn des Werkstattbesitzers hatte in der Nacht, als Romero zu Tode gefoltert wurde, am Tor der Finca Wache gestanden. Er packte bei seiner Verhaftung sofort aus. In der Folge fiel ein Täter nach dem anderen in die Hände der Polizei.

Sie könnten unmöglich aus eigenem Antrieb gehandelt haben, stellte der Richter in einem der Urteile fest. Der Anführer der örtlichen Todesschwadron habe seine Weisungen vom Chef der Paramilitärs in der Provinz Cesar bekommen, einem Mann, der unter dem Decknamen „Jorge 40“ gefürchtet war. Das Urteil trägt der Staatsanwaltschaft auf, Ermittlungen gegen „Jorge 40“ und auch gegen das Management von Nestlé-Cicolac aufzunehmen.

Als dringende Verdachtsmomente dafür, dass Führungskräfte von Nestlé Kolumbien in den Mord verwickelt sein könnten, nennt das Urteil zum einen die Tatsache, dass sich Romero zum Zeitpunkt des Mords als Zeuge auf eine Aussage gegen den Lebensmittelkonzern vor einem internationalen Tribunal vorbereitete. Zum anderen erwähnt es, dass zuvor schon vier weitere Cicolac-Arbeiter und Sinaltrainal-Gewerkschafter im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen ermordet worden waren.

Es ist bislang nur ein Fall bekannt, in dem ein Konzern eingestanden hat, mit den Paramilitärs zusammengearbeitet zu haben: Der Früchtekonzern Chiquita Brands International gab zu, den Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens, den AUC, zwischen 1997 und 2004 insgesamt rund 1,7 Millionen US-Dollar gegeben zu haben. Am 15. März 2007 schloss die in den USA beheimatete Firma mit dem US-Justizministerium einen Vergleich und bezahlte ein Bußgeld von 25 Millionen Dollar. Ein Urteil wäre für Chiquita teurer geworden. Die AUC wurden damals von der US-Regierung als terroristische Vereinigung geführt.

Nestlé bestreitet alle Vorwürfe – „kategorisch“

Auch Nestlé-Cicolac soll die Paramilitärs finanziert haben. Das zumindest behauptet Salvatore Mancuso, ein Chef der AUC. Er hatte mit Präsident Álvaro Uribe das Amnestieprogramm ausgehandelt und sich 2006 den Behörden gestellt. Bei seiner Anhörung vor einem Sondergericht ging es am Vormittag des 17. Mai 2007 um die Geldgeber der Paramilitärs. Ohne nach konkreten Firmen gefragt zu werden, nannte Mancuso eine Reihe von Namen, unter anderem Chiquita, aber auch Cicolac.

Mancuso kam nicht in den Genuss des von ihm ausgehandelten Teilamnestieprogramms. Denn außer seinen eigenen Verbrechen nannte er bei der Vernehmung auch seine Mittelsleute in der Politik. Er und sein direkter Untergebener „Jorge 40“ lösten mit ihren Aussagen und Computeraufzeichnungen in Kolumbien den sogenannten Parapolítica-Skandal aus. Über hundert Parlamentarier, Gouverneure und Bürgermeister sitzen inzwischen wegen ihrer Zusammenarbeit mit den Paramilitärs in Haft. Viele von ihnen waren Verbündete des damaligen Präsidenten Uribe.

Mancuso und „Jorge 40“ wurden, bevor sie noch mehr plaudern konnten, am frühen Morgen des 13. Mai 2008 in einem Überraschungscoup zusammen mit zwölf weiteren Paramilitärchefs in die USA deportiert. Dort wurden sie wegen Drogenhandels gesucht.

Einem Bericht der kolumbianischen Tageszeitung El Espectador zufolge hat Mancuso im April 2009 bei einer Anhörung in Washington Cicolac noch einmal als Geldgeber der AUC benannt.

Die Pressestelle von Nestlé in Bogotá wollte zu den Finanzierungsvorwürfen keine Stellung nehmen, eine Sprecherin der Konzernzentrale in Vevey in der Schweiz aber schrieb: „Nestlé nimmt mit Genugtuung zur Kenntnis, dass die Täter des Mordes an Luciano Romero vor Gericht gebracht worden sind. Gleichzeitig ist der Konzern darüber betroffen, dass die Staatsanwaltschaft in Bucaramanga angewiesen worden ist zu ermitteln, ob Nestlé-Manager in dieses Verbrechen verwickelt sein könnten.“ Nestlé werde wie immer in vollem Umfang mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten und keine weiteren Kommentare abgeben, solange das Verfahren nicht abgeschlossen sei. „Nestlé weist kategorisch alle Behauptungen zurück, die versuchen, den Konzern mit dem Mord an Luciano Romero in Verbindung zu bringen.“

Auf die Frage nach der Finanzierung der Paramilitärs schrieb die Konzernsprecherin nur einen Satz: „Nestlé weist diese Behauptungen kategorisch zurück.“ Jetzt nach der Strafanzeige im Kanton Zug beschränkte sich der Konzern auf eine dürre Mitteilung, in der „jegliche Form der Gewalt“ verurteilt wird.

Romeros Witwe Ledys Mendoza ist alt geworden in den Jahren seit dem Mord. Er hatte sie, als er noch lebte, liebevoll „mi gorda“ genannt, „meine Dicke“. Heute ist sie abgemagert und wirkt viel älter als ihre 49 Jahre.

Die ersten Monate nach dem Tod ihres Mannes überlebten sie und die Kinder mit Spenden aus Spanien und vom Solidaritätskomitee. Dann lief Romeros bescheidene Rente an. Sie verdiente mit Kochen dazu – bis bei ihr Brustkrebs diagnostiziert wurde und sie die Nebenjobs nicht mehr machen konnte. Die älteste Tochter musste ein Jahr vor dem Examen ihr Jurastudium abbrechen, weil die Mutter die Universitätsgebühren nicht mehr finanzieren konnte.

Von Nestlé hat Ledys Mendoza nie etwas gehört: „Kein Wort des Bedauerns. Nichts.“

Toni Keppeler, 55, sonntaz-Autor, hat bei den Recherchen festgestellt, dass er, ohne es zu wissen, lange die Spaghetti einer Nestlé-Marke bevorzugte. Inzwischen sind die Vorräte aufgebraucht

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