Entlassungen bei Kurierdienst: Lieferando will Betriebsräte kicken
Der Lieferdienst ficht die Betriebsratswahl an und will den Großteil des Gremiums kündigen. Die Gewerkschaft spricht von Union Busting.
Das ist einer der wenigen Gründe, aus denen Wahlvorstände oder Betriebsratsmitglieder, die besonderen Kündigungsschutz genießen, gefeuert werden können. Außerdem hat Lieferando beim Arbeitsgericht die Anfechtung der Wahl beantragt.
Anfang August haben in Berlin rund 200 Kurierfahrer*innen einen Betriebsrat für die rund 1.400 Rider gewählt. Mit 17 Mitgliedern ist es der größte Betriebsrat bei Lieferando. Das Unternehmen bestätigte auf taz-Nachfrage, dass mittlerweile Verfahren gegen einzelne Betriebsräte eingeleitet wurden: „Mehrere Wahlvorstände stehen im Verdacht, sich monatelang auf Kosten des Arbeitgebers bereichert zu haben“, sie hätten „mit vielen tausend Arbeitsstunden ein Vielfaches des üblichen Aufwands für eine klar definierte Aufgabe eingereicht“, so eine Sprecherin.
Martina Bowens ist eine der Betriebsrät*innen, die gekündigt werden sollen. Sie hält die Vorwürfe von Lieferando für vorgeschoben, um den Betriebsrat an seiner Arbeit zu hindern. „Es geht nicht um Arbeitszeitbetrug, sie wollen uns los werden. Das ist eine klassische Union-Busting-Strategie“, sagt Bowens, die in Wirklichkeit anders heißt, aus Angst vor negativen Konsequenzen jedoch nicht mit ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen will.
Einschüchterungsversuche gegen Betriebsrät*innen
Der Begriff Union-Busting bezeichnet die systematische Zerschlagung, Ver- oder Behinderung von gewerkschaftlicher Arbeit – ein Vorwurf, den sich Lieferando bereits im Vorfeld der Betriebsratswahlen eingehandelt hatte.
„Lieferando hat immer wieder die Herausgabe von Dokumenten hinausgezögert. Um uns dann vorzuwerfen, dass wir zu lange gebraucht und zu viele Stunden gearbeitet hätten“, empört sich Bowens. Nicht der einzige Fall, in dem ihnen „eine Falle“ gestellt worden sei. „Sie haben uns ein Büro gegeben, in das nur zwei Personen reinpassen, und das bei einem Wahlvorstand mit 11 Mitgliedern, 17 mit Stellvertreter*innen, plus Anwälte oder Gewerkschafter*innen“, erzählt die Fahrradkurierin der taz.
Weil sie dort nicht immer erreichbar waren, wittert Lieferando nun Betrug. „Sie geben uns keinen ausreichend großen Raum und beklagen dann, dass wir uns nicht darin getroffen hätten. Das ist absurd.“ Angst, nun ihren Job zu verlieren, hat Bowens dennoch nicht. „Die Vorwürfe sind alle ziemlich dünn und es ist auch nichts Neues, dass Lieferando versucht, Betriebsräte einzuschüchtern.“
Kündigungen als Druckmittel
Neu ist allerdings, dass Lieferando nicht nur gegen einzelne Mitglieder vorgeht, sondern versucht, nahezu den gesamten Betriebsrat loszuwerden. „Das hat eine ganz neue Qualität“, sagt Sebastian Riesner von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, die, ebenso wie das Lieferando Workers Collective, mit einer eigenen Liste angetreten war.
Der Gewerkschafter glaubt, dass die „Jagd auf den Betriebsrat“ mit dessen Größe zusammenhängt. „Sie vertreten über 1.000 Arbeiter*innen. Das will man mit aller Macht verhindern“, sagt Riesner zur taz. „Hier will man Mitbestimmungsorgane mit vollkommen obskuren Begründungen und konstruierten Vorwürfen kaputt schlagen.“
Das sieht der Arbeitsrechtsanwalt, der den Betriebsrat bei Lieferando vertritt, ähnlich. „Das ist alles heiße Luft. Es geht nur darum, die Betriebsratsmitglieder unter Druck zu setzen“, sagt Martin Bechert der taz. Lieferando habe dem Wahlvorstand ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen und baue nun mit den Kündigungen psychischen Druck auf die Beschäftigten auf.
Bechert ist sich sicher, dass das Start-Up mit seiner Union-Busting Strategie scheitern wird. „Für die außerordentliche Kündigung von Betriebsräten braucht man gute Gründe. Und die haben sie nicht, sie haben gar nichts.“
Rider warten noch immer auf Handys und Fahrräder
Die Kündigungen liegen nun, ebenso wie die Anträge auf Anfechtung der Wahl, beim Arbeitsgericht. Aus welchen Gründen Lieferando die Wahl anficht, will das Unternehmen mit Verweis auf den laufenden Prozess nicht sagen. Wann dieser stattfindet, steht noch nicht fest.
Der Fall sorgt auch in der Politik für Empörung: „Dem Lieferando-Management und ihren Anwaltskanzleien scheint jedes Mittel recht zu sein, um einen Betriebsrat in Berlin zu verhindern“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe zur taz. Sie fordert rechtliche Konsequenzen für Unternehmen, die die betriebliche Mitbestimmung ihrer Mitarbeiter*innen aushebeln.
Martina Bowens und ihre Betriebsratskolleg*innen wollen so lange mit ihrer Arbeit weiter machen. Denn zu tun gibt es genug: „In den letzten Monaten wurden mindestens 600 Mitarbeiter gekündigt, in Zukunft werden wir da ein Auge drauf haben. Außerdem brauchen wir sicherere Arbeitsbedingungen und wir warten immer noch darauf, dass Lieferando uns Handys und Fahrräder zur Verfügung stellt, wie es das Bundesarbeitsgericht im November vergangenes Jahr vorgeschrieben hat“, sagt sie.
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