: Mutmaßungen über russische Verstärkung
Berichte über Atomwaffen auf der Krim und neue Freiwilligenverbände in der besetzten Südukraine
Von Dominic Johnson
Die russischen Offensivaktionen an allen Fronten in der Ukraine sind in der vergangenen Woche weitgehend zum Erliegen gekommen. Dies geht aus unterschiedlichen Einschätzungen und Lageberichten westlicher Militärexperten sowie den Tagesberichten der ukrainischen und russischen Generalstäbe hervor. Diese berichten fast nur noch von der angeblich erfolgreichen Verhinderung von Angriffen des Gegners mit nicht überprüfbaren Angaben über gegnerische Verluste. Dazu kommen ab und zu kleine taktische Aktionen innerhalb eines Rahmens von wenigen hundert Metern sowie Raketenangriffe auf Ziele hinter den Frontlinien.
Dass ukrainische Angriffe in den vergangenen Wochen auch militärische Ziele auf der von Russland annektierten Krim trafen, hat am Wochenende einem Gerücht Nahrung gegeben, das eine abrupte Eskalation in den Bereich des Möglichen rücken lässt: Russland soll „taktische Atomwaffen“ auf der Krim stationieren oder dies vorbereiten. Dies soll der britische Geheimdienst am vergangenen Freitag dem ukrainischen Generalstab mitgeteilt haben.
„Taktische Atomwaffen“ sind solche mit angeblich geringem Wirkungsbereich, der sich auf feindliche militärische Kräfte beschränken lässt und keine großflächigen Zerstörungen oder radioaktiven Verseuchungen anrichtet. Im russischen Militär schließt dies auch kleinere Atomsprengköpfe auf Mittelstreckenraketen ein. Bislang waren keine Stationierungen des russischen Atomwaffenarsenals auf der Krim bekannt.
Mit einer solchen Stationierung, so sie denn real ist, würde Russland die Ukraine von weiteren Angriffen auf die Krim abhalten wollen: Der Beschuss russischer Militäreinrichtungen wäre deutlich riskanter, wenn dabei auch Atomwaffen getroffen werden könnten. Der Militärexperte René Duba schreibt auf Twitter „Sobald Russland behaupten kann, dass die Ukraine seine ‚nukleare Infrastruktur‘ angreift, kann dies als Vorwand für einen atomaren Gegenschlag dienen.“
Eine weitere Entwicklung auf russischer Seite, die über Gerüchte hinausgeht, betrifft die angelaufene Truppenverstärkungen, um die zunehmende Erlahmung der russischen Offensivkräfte auszugleichen. Ein neu ausgehobenes „Drittes Armeekorps“ der russischen Streitkräfte schickt Freiwilligenverbände mit neuer Ausrüstung an heikle Frontbereiche in der Südukraine. Militärexperten gehen von rund 15.000 Soldaten mit neuen Fliegerabwehrsystemen aus.
Während der US-Militärexperte Tom Bullock anhand der Ausstattung dieser Freiwilligenbataillone mit modernstem Gerät, das anderen russischen Einheiten nicht zur Verfügung steht, von verstärkten Offensivkapazitäten ausgeht, mutmaßt sein Kollege Michael Kofman hingegen, dass die neuen Truppen eher defensiv eingesetzt werden.
Einig sind sich alle Beobachter darüber, dass das neue Dekret des russischen Präsidenten Wladimir Putin von vergangener Woche zur Vergrößerung der russischen Armee auf einen langen Krieg zielt. Es sollen mehr Wehrpflichtige eingezogen werden, die nach Ende ihres Wehrdienstes als Freiwillige in die Ukraine geschickt werden können. Entsprechend ist auch die pessimistische Äußerung von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Wochenende zu verstehen. Sie sagte: „Wir müssen leider davon ausgehen, dass die Ukraine auch im nächsten Sommer noch neue schwere Waffen von ihren Freunden braucht“.
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