Kochen in der Energiekrise: Deckel drauf
Pasta ist Nationalheiligtum in Italien. Umso emotionaler diskutiert das Land nun über eine alte Zubereitungsart. Nobelpreisträger inklusive.
Am wichtigsten ist der Deckel. Nein, diesmal nicht der für die Gaspreise oder wenn, dann nur indirekt. Es geht nicht um schnöde Wärme, es geht um ein Kulturgut: die Pasta, zu der wir, als wir noch Barbaren waren, Nudeln sagten.
In Italien soll die Pasta al dente sein, also nicht zwischen Zunge und Gaumen breiartig zerdrückbar, sondern zum herzhaft Reinbeißen. Es gibt Leute, die bei Blindverkostungen die Marke erraten oder zumindest überzeugend so tun. Wie die Teigware aber auch genossen werden soll – gekocht werden muss sie, und dazu braucht es Energie, die dem noch weithin üblichen italienischen Herd in Form von Gas entspringt; und das ist bekanntlich seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und den Folgen teuer. Für den Winter rechnen Experten in Italien mit einer Verfünffachung der Kosten.
Um diesen Preisanstieg zu drosseln, macht nun ein altes Rezept zum Pastakochen die Runde; eines, das populär war, als man nicht einfach den Hahn aufdrehte, sondern als für Hitze am Herd noch mühsam Brennmaterial gesammelt und angefacht werden musste.
Die Diskussion darüber ist so entflammt, dass sich nun sogar der letztjährige und grundsympathische Physiknobelpreisträger Giorgio Parisi eingeschaltet hat. Auf Facebook bestätigte er die Validität der Methode, vorausgesetzt die Regeln würden akribisch beachtet: „Das Wichtigste ist, den DECKEL immer draufzulassen, die Hitze verdampft sonst blitzschnell.“
Und hier die Anleitung
Und das ist, wie es sich für einen Nobelpreisträger gehört, auch schon die Zauberformel: Pastawasser mit Deckel zum Kochen bringen (spart Energie, 1); salzen und Pasta rein, zwei Minuten kochen lassen; Deckel drauf, Flamme aus- oder auf Minimum runterschalten (spart Energie, 2); ca. zwei Minuten länger drinlassen als die Kochanweisung besagt; Pasta kosten, abschütten, anschließend mit dem Sugo in den Topf zurückgeben und kurz zusammen durchziehen lassen; pronto. Wer es sich ansehen will, kann auch beim englisch untertitelten Youtube-Kanal des Chemikers Dario Bressanini reinschauen. Bis zu 47 Prozent betrage die Energieersparnis bei dieser sehr aktuellen, aber eben nicht neuen Methode, das Video ist von 2017.
Kritik gibt es natürlich auch, wenn ein Nationalheiligtum auf dem Spiel steht. Starkoch Antonello Colonna stellt bei der Reduktionstheorie Parisis eine „texture gommosa“, also eine gummiartige Textur als Ergebnis fest und empfiehlt die „cottura a freddo“ – „kaltes Kochen“. Dabei werden ein Liter Wasser und 100 Gramm Pasta zusammen erhitzt, das Wasser wird dann peu a peu mit der Schöpfkelle entnommen. Muss man mal ausprobieren. Die simple Pasta al burro, vor allem aber die unschlagbar leckeren Safranspaghetti, waren immer schon „One pot“-Gerichte, die Menge des zu erhitzenden Wassers ist auch hier geringer, weil die Pasta alles aufsaugen soll.
Ganz so harmlos-inspirierend wie bisher dargestellt ist die ganze Sache aber leider nicht. Die prorussische Querfront ist in Italien eine echte Macht und kommentiert die Gassparbemühungen hämisch-aggressiv. Sie ist in allen politischen Lagern zu finden, von alt- und jungstalinistischen Sowjetnostalgikern über die Fünf-Sterne-Bewegung bis hin zu Putins besten Freunden Silvio Berlusconi und Matteo Salvini, dessen Lega aus Russland finanziell unterstützt worden sein soll.
Eine massive Desinformationskampagne hat eine schwer nachvollziehbare prorussische Antikriegswelle ausgelöst, ganz als ob Putins Regime das Opfer und nicht der Täter wäre. Italienische Intellektuelle schauen geschockt auf ihr Land, in dem Demagogen im Fernsehen oft unwidersprochen Lügen verbreiten können. Insofern ist die Pastadebatte vielleicht das Äquivalent zum hiesigen Waschlappengate: mit dem Unterschied, dass das Ergebnis deutlich appetitlicher ist – Italien halt dann doch noch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“