Wahlkampf in Italien: Dreikampf im linken Lager

Die italienische Linke ist zerstritten, die Rechten könnten triumphieren. Ar­bei­te­r*in­nen fühlen sich von den Linken oft nicht mehr vertreten.

Portrait

Enrico Letta, Vorsitzender der Partito Democratico am 14. September in Rom Foto: Vincenzo Nuzzolese/imago

ROM taz | Im E-Bus ist Enrico Letta unterwegs, in den letzten zwei Wochen vor den Parlamentswahlen am 25. September in Italien. Letta, Vorsitzender der gemäßigt linken Partito Democratico (PD), will im Wahlkampfendspurt noch den fast sicheren Sieg der Rechtsallianz um die Postfaschistin Giorgia Meloni verhindern. Doch ausgerechnet sein Bus steht eher für das Gegenteil.

Denn das Gefährt ist mit höchstens 70 Kilometer pro Stunde unterwegs, nur kurze Etappen sind drin, dann steht das Aufladen der Batterien an. Die Reise führt über Landstraßen – die Autobahnen werden gemieden. Schneckentempo statt Spurt: Es läuft nicht rund für die PD und ihren Chef Enrico Letta.

Schon die Ausgangssituation hätte für das Mitte-links-Lager nicht ungünstiger sein können: Die Rechte tritt nämlich geeint an, in einer Allianz aus Melonis Fratelli d’Italia, Matteo Salvinis Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia. Etwa 45 bis 48 Prozent der Stimmen können sie erwarten.

Genauso viele Stimmen sind auch für die gegnerischen Kräfte links der Mitte drin – doch dieses Lager ist gleich doppelt gespalten. Vorneweg wäre da die PD, laut Umfragen kann sie auf 20 bis 22 Prozent der Stimmen hoffen. Außerdem kann sie auf kleine, ihr verbündete Listen zählen: auf die gemeinsam mit den Grünen antretende Sinistra Italiana (Italienische Linke), und die für Bürgerrechte streitende Minipartei +Europa der ehemaligen EU-Kommissarin Emma Bonino. Doch mehr als rund sechs Prozent können sie nicht mitbringen.

Eine Allianz zwischen PD und M5S „unmöglich“

Kein Partner mehr ist dagegen das Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung). Zusammen hatten PD und M5S seit September 2019 in den Regierungen gesessen, erst unter dem Ministerpräsidenten Giu­seppe Conte, dann in der Notkoalition unter Mario Draghi. Zusammen wollten sie der Rechten mit einer „progressiven Allianz“ die Stirn zu bieten. Doch im Juli kam es zum Bruch, als Conte – nunmehr Chef der Fünf Sterne – Draghi das Vertrauen verweigerte, und damit den Sturz der Regierung sowie die Auflösung des Parlaments einleitete.

Letta jedenfalls erklärte umgehend, nunmehr sei eine Allianz zwischen PD und M5S „unmöglich“. Die Fünf Sterne machen gute Miene zum bösen Spiel. Sie kandidieren jetzt allein und schärfen ihr Profil. Parteichef Conte tritt auf einmal nicht mehr in Anzug samt Krawatte und dem sprichwörtlich gewordenen Einstecktüchlein auf die Wahlkampfbühnen, sondern salopp in Polohemd und Sportschuhen. Und er positioniert das M5S klar links, auch wenn er dieses Wort nicht in den Mund nimmt, sondern immer von „progressiv“ spricht. Sein Ass im Ärmel ist die Grundsicherung, welche die Fünf Sterne als Regierungsbeteiligte 2019 eingeführt haben und die sie jetzt gegen Attacken – vor allem seitens Meloni – entschlossen verteidigen.

Im Süden – auf den mit 1,7 Millionen Personen zwei Drittel der Emp­fän­ge­r*in­nen der Grundsicherung entfallen – zeigen sich die Wäh­le­r*in­nen den Fünf Sternen gegenüber dankbar. Dort sind Wahlresultate von 20 Prozent drin, national könnten sie am Ende auf 12 bis 15 Prozent kommen.

Die PD versucht ihrerseits, mit einem Linksschwenk dagegenzuhalten. Als Letta letzte Woche in Rom zur Kundgebung rief, war die Bühne ganz in Rot gehalten, rot seine Krawatte, rot die Botschaft, obwohl Letta seine ersten politischen Karriere­schritte vor gut 30 Jahren noch bei den Christdemokraten getan hatte. Er trage den „verpflichtenden Vornamen Enrico“, teilte er dem Publikum mit – so hieß der legendäre, 1984 gestorbene Vorsitzende der Kommunistischen Partei Italiens.

Unter Ar­bei­te­r*in­nen kommt die PD auf gerade einmal 9 Prozent

Letta versprach reichlich Wohltaten, vor allem für Ar­beit­neh­me­r*in­nen mit niedrigen und mittleren Einkommen. Sie sollen dank Steuersenkung „einen Monatslohn zusätzlich“ pro Jahr auf dem Konto haben, der gesetzliche Mindestlohn soll kommen, prekäre Arbeitsverhältnisse drastisch eingeschränkt werden.

Lettas Problem: Diese Forderungen beklatschten nicht etwa Ar­bei­te­r*in­nen mit Schwielen an den Händen, sondern Menschen aus dem gebildeten Bürgertum. Unter Ar­bei­te­r*in­nen kommt die PD laut Umfragen auf gerade einmal 9 Prozent, während mehr als 50 Prozent die Rechte und 20 die Fünf Sterne wählen. Dagegen räumt Lettas Partei bei Menschen mit einem Einkommen über 5.000 Euro monatlich traumhafte 34 Prozent ab.

Letta versucht sich mit dem Hinweis zu trösten, dass „in ganz Europa“ die sozialdemokratischen Kräfte das Arbeitervotum verloren hätten. Damit hat er recht. In den unteren Einkommensschichten wird die gemäßigte Linke in vielen Ländern nicht mehr als Verteidigerin ihrer Interessen wahrgenommen, nachdem sie oft jahrelang das marktliberale Hohelied der Globalisierung und Arbeitsmarktflexibilisierung mitgesungen hat. Doch Versäumnisse werden nicht dadurch besser, dass auch andere sie sich geleistet haben.

Die M5S kandi­diert nun alleine und schärft ihr als „progressiv“ angepriesenes Profil

Als wäre der Zweikampf unter den Linken nicht genug für die PD, muss sie sich in der Mitte mit dem Bündnis zweier Kleinparteien duellieren – mit Carlo Calendas Azione und Matteo Renzis Italia Viva. Calenda wurde 2019 für die PD ins Europaparlament gewählt, scherte aber aus, als diese die Regierungskoalition mit den Fünf Sternen bildete. Renzi war bis 2018 PD-Vorsitzender. Die beiden könnten zusammen etwa sechs bis acht Prozent holen, und wildern vor allem im Stimmenreservoir der PD.

Die Rechte sieht amüsiert zu

Bezeichnend war der Ton, als Letta im E-Bus auf Tour ging. „Oh Gott, wie hässlich ist dieser Bus! Und ihr habt euch die Radkappen klauen lassen“, twitterte Calenda, während Conte von M5S wissen ließ, „nie wieder“ werde er mit der PD zusammengehen.

Derweil schaut die Rechte amüsiert zu bei diesem Dreikampf, in dem Letta den Scholz, Conte den Mélenchon und Calenda und Renzi den Westentaschen-Macron geben. Meloni und ihre Kumpanen können angesichts der Spaltung ihrer Gegner auf fast alle Direktmandate, und damit auf eine satte Mehrheit im Parlament hoffen.

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