Über Sprache und Sterbehilfe: Einmal Jenseits und zurück
Unsere Gesellschaft forciert eine Enttabuisierung des Todes. Zugleich will sie ihn durch sprachliche Verharmlosung unter Kontrolle bringen.
Es gibt einen neuen Euphemismus fürs Sterben. „Der sich treu Gebliebene ist gegangen“, hat n-tv seinen Nachruf für Christian Ströbele betitelt. „Wieder ist ein Guter gegangen“, schreibt ein User unter den Text zum Tod von Michail Gorbatschow im österreichischen Standard. „Er wollte gehen“, so hat mir kürzlich jemand vom Tod seines über 90-jährigen Vaters erzählt.
Nun ist es nichts Neues, dass man den Tod sprachlich mit Rüschengardinen verhängt. Das Unheimliche ist, wenn eine Formulierung das Sterben zum persönlichen Entschluss macht und so gut zum Konzept des assistierten Suizids passt, als hätte der Marktschreier der Sterbehilfe, Roger Kusch, sie sich persönlich ausgedacht.
„Er ist gegangen“, das klingt so freundlich und mir wird kalt, wenn ich es höre.
Gehen, das ist Sterben 2.0. Wer geht, kann umkehren. Wer geht, hat umfassende Kontrolle über den eigenen Körper. Nichts davon ist der Fall, wenn wir eines natürlichen Todes sterben. Tatsächlich ist Sterben ein Prozess, in dem unsere Kräfte schwinden. Kein Wunder, dass es da Unbehagen gibt in einer Gesellschaft, die Zeugung und Geburt, die andere große Unwägbarkeit, weitgehend unter Kontrolle gebracht hat.
Die Sterbehilfeorganisationen gehen dabei einen interessanten Mittelweg. „Wir zögern nicht, das Wort Sterben zu verwenden“, schreibt der Geschäftsführer des von Kusch gegründeten „Vereins Sterbehilfe“, Jakub Jaros, als ich ihn frage, ob er davor zurückschrecke. Schließlich trage man das Sterben ja sogar im Namen, schreibt Jaros und dass das Wort „keine tiefere emotionale Bewertung verdiene“. Man versuche, „ein Gleichgewicht zwischen menschlicher Sensibilität und juristischer Rationalität zu finden“.
Als ich anrufe, und frage, was das bedeutet, sagt Jaros, dass es darum gehe, etwas zu finden, „was nicht Pathos verbreitet, aber doch eine gewisse Sensibilität ausdrückt“.
Wie an einer Verkehrsampel
Das ist es: kein Pathos, es geht ja nur ums Gehen. Der Sammelband über die bislang 470 „Suizidbegleitungen“ des Vereins trägt den Titel „Ausklang. Vom Glück des grünen Lichts“, als ginge es um die Überquerung einer Kreuzung. Tatsächlich soll das grüne Licht verweisen auf die Zusage des Vereins, wenn alle Voraussetzungen für den Vertragsabschluss zum assistierten Suizid erfüllt sind.
Dies ist kein Pamphlet gegen Sterbehilfe, es ist eines gegen ein Konzept kontrollierten und kontrollierbaren Sterbens, das schleichend normativ wird. „Warum so panisch?“, könnte man fragen. „Sie ist von uns gegangen“ steht doch seit Jahrhunderten in den Traueranzeigen. Aber nun sickert das, was einmal Baustein für eine ganz bestimmte Textform war, in das alltägliche Sprechen: „Er wollte gehen.“ Aber gehen tut man, solange man autark ist. Schwäche ist da nicht vorgesehen, Bettlägerigkeit, auf andere angewiesen zu sein.
Es gibt einen Science-Fiction-Film, „Logan’s Run – Flucht ins 23. Jahrhundert“, über eine Gesellschaft, in der die Menschen kurz vor ihrem 30. Geburtstag getötet werden. Es ist eine Welt, die Krankheit und Verfall ausschließt und dafür einen absurden Preis zahlt. Was bedeutet es, wenn Sterben zu einem persönlichen Entschluss gemacht wird, den man zum richtigen Zeitpunkt treffen sollte? Selbst schuld, wenn man den Absprung nicht vor der Demenz geschafft hat. Selbst schuld, wenn man das Gesundheitswesen mit den Kosten für die Versorgung eines bettlägerigen Menschen belastet.
„Logan’s Run“ ist 1976 erschienen. Heute streitet man in den Niederlanden, ob das Nein einer Dementen Grund genug ist, einen assistierten Suizid abzubrechen. In England hat gerade ein Gericht gegen den Willen der Eltern bestimmt, dass die lebenserhaltenden Apparate, an denen ihr Sohn hängt, abgestellt werden, und ein Kommentator hat das in Zusammenhang gebracht mit den angespannten Finanzen des britischen Gesundheitssystems.
„Er geht“, das klingt wie eine individuelle Entscheidung im luftleeren Raum. Tatsächlich werden die Voraussetzungen dafür in Gerichten und Behörden geschaffen. Im Gesundheitswesen der DDR wurde ein Schwangerschaftsabbruch als Schwangerschaftsunterbrechung bezeichnet, als ließe sich die Schwangerschaft zum gewünschten Zeitpunkt fortsetzen.
Gefallen und gegangen
Für den Duden sind auch die Gefallenen der Bundeswehr ein Euphemismus. Fragt man bei der Pressestelle des Verteidigungsministeriums nach, dann ist dies keine Verharmlosung, sondern eine sachliche Unterscheidung: „Gefallen“ ist jemand, der „durch gegnerische Feindeinwirkung zu Tode gekommen ist“, „Getötete“ sind „durch sonstige Umstände verstorbene Soldatinnen und Soldaten“.
Es gebe da keine Wertung, fügt der Pressesprecher noch hinzu. Zu fallen ist nicht besser oder schlechter als getötet zu werden, aber es klingt so harmlos wie das Gehen, auch wenn gefallene Helden schon in der Bibel vorkommen.
Mit Nachdruck versucht eine Gesellschaft, die in Sonntagsreden eine Enttabuisierung des Todes fordert, ihn durch Verharmlosung unter Kontrolle zu bringen. Wie in den Pflegeheimen und Krankenhäusern tatsächlich gestorben wird und ob sich an der Trostlosigkeit, mit der es stattfindet, etwas ändern lässt, ist dann keine Frage. Wir sind mal eben gegangen, zum Ausklang, bei Grün. Und wenn es uns da nicht gefällt, kommen wir eben zurück.
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