piwik no script img

Über Sprache und SterbehilfeEinmal Jenseits und zurück

Unsere Gesellschaft forciert eine Enttabuisierung des Todes. Zugleich will sie ihn durch sprachliche Verharmlosung unter Kontrolle bringen.

Gehen, das ist Sterben 2.0 Foto: Rupert Oberhäuser/imago

Es gibt einen neuen Euphemismus fürs Sterben. „Der sich treu Gebliebene ist gegangen“, hat n-tv seinen Nachruf für Christian Ströbele betitelt. „Wieder ist ein Guter gegangen“, schreibt ein User unter den Text zum Tod von Michail Gorbatschow im österreichischen Standard. „Er wollte gehen“, so hat mir kürzlich jemand vom Tod seines über 90-jährigen Vaters erzählt.

Nun ist es nichts Neues, dass man den Tod sprachlich mit Rüschengardinen verhängt. Das Unheimliche ist, wenn eine Formulierung das Sterben zum persönlichen Entschluss macht und so gut zum Konzept des assistierten Suizids passt, als hätte der Marktschreier der Sterbehilfe, Roger Kusch, sie sich persönlich ausgedacht.

„Er ist gegangen“, das klingt so freundlich und mir wird kalt, wenn ich es höre.

Gehen, das ist Sterben 2.0. Wer geht, kann umkehren. Wer geht, hat umfassende Kontrolle über den eigenen Körper. Nichts davon ist der Fall, wenn wir eines natürlichen Todes sterben. Tatsächlich ist Sterben ein Prozess, in dem unsere Kräfte schwinden. Kein Wunder, dass es da Unbehagen gibt in einer Gesellschaft, die Zeugung und Geburt, die andere große Unwägbarkeit, weitgehend unter Kontrolle gebracht hat.

Die Sterbehilfeorganisationen gehen dabei einen interessanten Mittelweg. „Wir zögern nicht, das Wort Sterben zu verwenden“, schreibt der Geschäftsführer des von Kusch gegründeten „Vereins Sterbehilfe“, Jakub Jaros, als ich ihn frage, ob er davor zurückschrecke. Schließlich trage man das Sterben ja sogar im Namen, schreibt Jaros und dass das Wort „keine tiefere emotionale Bewertung verdiene“. Man versuche, „ein Gleichgewicht zwischen menschlicher Sensibilität und juristischer Rationalität zu finden“.

Als ich anrufe, und frage, was das bedeutet, sagt Jaros, dass es darum gehe, etwas zu finden, „was nicht Pathos verbreitet, aber doch eine gewisse Sensibilität ausdrückt“.

Wie an einer Verkehrsampel

Das ist es: kein Pathos, es geht ja nur ums Gehen. Der Sammelband über die bislang 470 „Suizidbegleitungen“ des Vereins trägt den Titel „Ausklang. Vom Glück des grünen Lichts“, als ginge es um die Überquerung einer Kreuzung. Tatsächlich soll das grüne Licht verweisen auf die Zusage des Vereins, wenn alle Voraussetzungen für den Vertragsabschluss zum assistierten Suizid erfüllt sind.

Dies ist kein Pamphlet gegen Sterbehilfe, es ist eines gegen ein Konzept kontrollierten und kontrollierbaren Sterbens, das schleichend normativ wird. „Warum so panisch?“, könnte man fragen. „Sie ist von uns gegangen“ steht doch seit Jahrhunderten in den Traueranzeigen. Aber nun sickert das, was einmal Baustein für eine ganz bestimmte Textform war, in das alltägliche Sprechen: „Er wollte gehen.“ Aber gehen tut man, solange man autark ist. Schwäche ist da nicht vorgesehen, Bettlägerigkeit, auf andere angewiesen zu sein.

Es gibt einen Science-Fiction-Film, „Logan’s Run – Flucht ins 23. Jahrhundert“, über eine Gesellschaft, in der die Menschen kurz vor ihrem 30. Geburtstag getötet werden. Es ist eine Welt, die Krankheit und Verfall ausschließt und dafür einen absurden Preis zahlt. Was bedeutet es, wenn Sterben zu einem persönlichen Entschluss gemacht wird, den man zum richtigen Zeitpunkt treffen sollte? Selbst schuld, wenn man den Absprung nicht vor der Demenz geschafft hat. Selbst schuld, wenn man das Gesundheitswesen mit den Kosten für die Versorgung eines bettlägerigen Menschen belastet.

„Logan’s Run“ ist 1976 erschienen. Heute streitet man in den Niederlanden, ob das Nein einer Dementen Grund genug ist, einen assistierten Suizid abzubrechen. In England hat gerade ein Gericht gegen den Willen der Eltern bestimmt, dass die lebenserhaltenden Apparate, an denen ihr Sohn hängt, abgestellt werden, und ein Kommentator hat das in Zusammenhang gebracht mit den angespannten Finanzen des britischen Gesundheitssystems.

„Er geht“, das klingt wie eine individuelle Entscheidung im luftleeren Raum. Tatsächlich werden die Voraussetzungen dafür in Gerichten und Behörden geschaffen. Im Gesundheitswesen der DDR wurde ein Schwangerschaftsabbruch als Schwangerschaftsunterbrechung bezeichnet, als ließe sich die Schwangerschaft zum gewünschten Zeitpunkt fortsetzen.

Gefallen und gegangen

Für den Duden sind auch die Gefallenen der Bundeswehr ein Euphemismus. Fragt man bei der Pressestelle des Verteidigungsministeriums nach, dann ist dies keine Verharmlosung, sondern eine sachliche Unterscheidung: „Gefallen“ ist jemand, der „durch gegnerische Feindeinwirkung zu Tode gekommen ist“, „Getötete“ sind „durch sonstige Umstände verstorbene Soldatinnen und Soldaten“.

Es gebe da keine Wertung, fügt der Pressesprecher noch hinzu. Zu fallen ist nicht besser oder schlechter als getötet zu werden, aber es klingt so harmlos wie das Gehen, auch wenn gefallene Helden schon in der Bibel vorkommen.

Mit Nachdruck versucht eine Gesellschaft, die in Sonntagsreden eine Enttabuisierung des Todes fordert, ihn durch Verharmlosung unter Kontrolle zu bringen. Wie in den Pflegeheimen und Krankenhäusern tatsächlich gestorben wird und ob sich an der Trostlosigkeit, mit der es stattfindet, etwas ändern lässt, ist dann keine Frage. Wir sind mal eben gegangen, zum Ausklang, bei Grün. Und wenn es uns da nicht gefällt, kommen wir eben zurück.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Was für mich zu dem Thema des Sterbens/Gehens/Gehenwollens zwingend dazu gehört, und sowohl im Artikel wie auch in den Kommentaren zu kurz kommt, ist die Frage nach dem LEBENSwillen der Ältesten, Kränksten und Schwächsten. Jedes Lebewesen will grundsätzlich leben. Was sind uns die Alten, Kranken und Schwachen denn wert, um sie in ihrem Lebenswillen zu unterstützen? Wie sehen denn die Bedingungen in den Alten- und Pflegeheimen aus? Und überhaupt in unserer Gesellschaft?

  • Ich frage mich, was die Autorin als Alternative vorschlägt.

    Eine Dramatisierung, die das Grauen des Todes deutlich macht?

    Mich hat vor einiger Zeit ein Arzt geschockt, der nach einer vergeblichen Untersuchung meines über 90jährigen Vaters meinen verzweifelten Gesichtsausdruck kommentierte mit "Das ist der ganz natürliche Prozess des Sterbens. Das werden wir alle erleben."

    Der Tod ist weder das Grauen, noch ein "sanfter" Einschnitt ... sondern Teil der Natur.

    Meine Eltern sind tatsächlich "gegangen", sie wollten zum Schluss sterben und sind in den Tod hineingeschlafen.

  • Ich finde es völlig in Ordnung, wenn die Hinterbliebenen versuchen, sich den Tod eines geliebten Menschen irgendwie schönzureden und dafür solche Formulierungen benutzen. Mir sind zwar direkte Worte ohne Beschönigung lieber, aber ich kann verstehen wenn man in so einer Situation sowas nicht hören mag.

    Assistierter Suizid ist da eine ganz andere Hausnummer, ich finde nicht, dass es Sinn macht, Formulierungen von Hinterbliebenen mit denen von Befürwortern der Sterbehilfe zu vergleichen.

    Zu dem Thema ist übrigens der Youtube-Kanal "ask a mortician" ganz hervorragend...

  • Der renommierte österreichische Kulturwissenschaftler Thomas Macho hat mit Publikationen zur Entpathologisierung des Themas einen bemerkenswerten Beitrag geleistet, auch in Buchform. Dies wurde als kulturgeschichtlicher Parforceritt bezeichnet, eine Enttabuisierung in einer aufgeklärten Gesellschaft ist möglich und nötig in diesen komplexen thanatologischen Kontexten.

  • "Was bedeutet es, wenn Sterben zu einem persönlichen Entschluss gemacht wird, den man zum richtigen Zeitpunkt treffen sollte?"

    Das wäre großartig. Aber leider ist es nicht üblich und es gibt dafür kaum Vorbilder.

    Vielleicht aufgrund unserer christlich geprägten Kultur, die nur "Gott" das Recht gibt über unser Ende zu entscheiden?

    Idiotisch: Wir entscheiden heutzutage selbst, welchen Beruf wir ergreifen, an welche Göttinnen wir glauben, ob und wen wir heiraten und ob wir Kinder wollen. Aber der selbstbestimmte Tod ist nach wie vor tabuiert.

    Vielleicht wird es irgendwann normal, sich auf einer Party darüber zu unterhalten, wann man sterben will und wie, so wie man sich heute darüber unterhält, welche Ausbildung man anfangen oder welches Fahrrad man kaufen will.

  • Sollen wir auch nicht mehr sagen "auf die Welt gekommen"? Der Mensch hat schließlich auch über seine Zeugung keine Kontrolle. Und was ist, wenn die Rede vom "gehen" für die, die sterben müssen, auch etwas tröstliches hat?