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Gender-Bias und KleidungWer braucht eigentlich Badeanzüge?

Wir leben in einer Kultur der visuellen Differenz. Nicht alle können es sich aussuchen „sichtbar“ zu sein. Ein Plädoyer für queere Präsenz – und Zukunft.

Queer schwimmt es sich gut: Badende auf dem Summer Splash im Kreuzberger Prinzenbad Foto: Julia Baier

E in Badeanzug musste es irgendwann doch sein. Ich war etwa elf und hatte bis dahin mit den anderen Hortkindern ohne T-Shirt im Park Fußball gespielt. Ich war eine super Abwehr und bekam einmal den Ball direkt unter die Nase geschossen. Zwar war ich für ein paar Minuten komplett ausgeknockt, aber das Tor hatte ich verhindert. Überhaupt waren meine Freun­d:in­nen hauptsächlich Jungs und ich selbst war als „Andi“ unterwegs.

Dass wir in der Kinderabteilung jetzt Badeanzüge für Mädchen kaufen mussten, tat meinen Eltern sichtlich leid. Blau und rot gestreift war er, damals malte ich nämlich am liebsten Bilder mit Kindern, die zu Hause oder im Krankenhaus große Mengen an blau oder rot gestreiften Socken und Unterhosen auf Vorrat hatten. Den Farbgeschmack behielt ich mir also im gegenderten Badeoufit bei.

Ich bin meinen Eltern heute noch dankbar, dass sie es sofort akzeptierten, als ich mit drei Jahren beschloss, keine Kleider zu tragen. Mir einen Badeanzug zu kaufen war Schutz gegen sexistische Blicke auf einen Oberkörper, der in dieser Gesellschaft nicht nackt sein darf. Auch dafür bin ich ihnen dankbar. Gleichzeitig ist vielleicht dieser Schlüsselmoment, in dem mir die ganze Wucht der Gendernormen entgegenschlug, im Rückblick auch der Grund, dass mir das Paradigma der „Sichtbarkeit“ immer so großes Unbehagen bereitet, wenn von queeren politischen Zielen die Rede ist.

Wörtlich bedeutet „Sichtbarkeit“, visuell erkennbar zu sein. Einige von uns waren aber schon immer sichtbar. Wir leben in einer Kultur der visuellen Differenz. Die Idee dessen, wer als „anders“ identifizierbar ist, ist an Vorstellungen von Normkörpern und genderkonformer Kleidung ebenso geknüpft wie an Rassismus.

Die Mehrheitsgesellschaft urteilt per Blickdiagnose

Die Register folgen dabei anderen Regeln und schreiben sich unterschiedlich in Körper ein. Was sie aber gemeinsam haben, ist die Idee, dass die Mehrheitsgesellschaft stets das Recht habe, per Blickdiagnose zu bestimmen, wer ihr angehört und wer nicht. Praktiken der sozialen Überwachung, der medizinischen Einordnung in Geschlechter und des Racial Profiling sind allgegenwärtig. So steckt in Auffälligkeit auch immer eine Spur Abnormalität und Kriminalisierung. Und wo ein Name nicht zur Wahrnehmung passt, geht der imaginäre Blick unter die Gürtellinie.

Nicht alle können es sich aussuchen, sichtbar zu werden, denn ihre Körper werden schon per se als „anders“ gelesen. Sie sind in den Blickachsen, die historisch dazu dienten, Ungleichheit zu rechtfertigen, nicht nur sichtbar, sondern hypersichtbar. Im Kampf gegen „Unsichtbarkeit“ wird dies aber oft vergessen. Darum kämpfe ich lieber für queere Präsenz. Und Zukunft.

Eine passende Antwort auf den Backlash, der uns unsere Existenz abspricht und davon faselt, dass wir Kinder mit „Gender-Idelogien“ indoktrinieren. Gender-Ideologie ist wenn dann das, was mich mit elf zum Tragen eines Badeanzugs gezwungen hat. Mein genderqueeres Mini-Ich blieb trotzdem präsent.

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Noemi Molitor
Redakteur:in
Redakteur:in für Kunst in Berlin im taz.Plan. 2022-2024 Kolumne Subtext für taz2: Gesellschaft & Medien. Studierte Gender Studies und Europäische Ethnologie in Berlin und den USA und promovierte an der Schnittstelle von Queer-Theorie, abstrakter Malerei und Materialität. Als Künstler:in arbeitet Molitor mit Raum, Malerei und Comic. Texte über zeitgenössische Kunst, Genderqueerness, Rassismus, Soziale Bewegungen.
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4 Kommentare

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  • "Nicht alle können es sich aussuchen, sichtbar zu werden, denn ihre Körper werden schon per se als „anders“ gelesen."

    Und damit ist das Dilemma klar benannt:



    Die menschliche Wahrnehmung sucht unwillkürlich ständig nach Mustern. Erkennt man (unbewusst) Muster, stößt einem jede Abweichung des Musters ins Bewusstsein.



    Das betrifft die Hautfarbe, zugeschriebene sexuelle Identitäten, aber auch die Haarlänge, sichtbare Brüste, aber auch Kleidung, einfach alles.

    Was hilft also? Sichtbar sein! Je mehr die ursprünglich als vom Muster abweichende Wahrnehmung präsent ist, umso mehr wird sie dem Muster zugeordnet und plötzlich "unsichtbar".

    Ein langer Weg. Und auf diesem Weg wird das Dilemma, das der Artikel beschreibt, leider nicht verschwinden. Nur zu gut, wenn man dann von Menschen begleitet wird, die voll zu einem stehen, wie man ist.

    P.S.



    "Gender-Ideologie ist wenn dann das, was mich mit elf zum Tragen eines Badeanzugs gezwungen hat."



    Danke. Das trifft es auf den Punkt.

  • "Mir einen Badeanzug zu kaufen war Schutz gegen sexistische Blicke auf einen Oberkörper, der in dieser Gesellschaft nicht nackt sein darf." Das sehe ich exakt als Problem auf uns zukommen. Erst wird mit aller Kraft versucht, so rumlaufen zu dürfen, wie man es möchte (wofür ich absolut offen bin) und dann wird sich aber über vermeintlichen Sexismus beschwert, wenn jemand auch nur ne Sekunde zulange auf für ihn attraktive Brüste blickt. Dass das mit Sexismus nebenbei null zu tun hat, ist ja dann auch schon egal. Als Konsequenz daraus, dass man sich das offensichtliche Recht erkämpft hat, oben ohne zu sein, wird es einem dann aus individuellen Gründen unangenehm und der nächste Schritt sind dann Forderungen nach getrennten Saunen, Schwimmbädern, Sportstätten, etc. 100 %! Und das natürlich alles nur wegen dem sexistisch glotzenden Mann. So sind wir Männer ja schließlich alle. Kann man so auch glücklicherweise ganz unsexistisch behaupten, ohne zu diskriminieren. Denn, wir wissen ja, Sexismus gibt es nur in eine Richtung!

    • @Steve Grünbauer:

      Danke für Ihren Beitrag!

  • Vielen Dank für's ausprechen! Schwimmbad, Sauna, Sport, alles meistens nicht möglich für mich. Ruft nur Gewalt hervor wenn ich wenig Kleidung tragen würde. Es gibt als nicht binäre Person jede Menge No Go areas.