piwik no script img

Klimakrise und KlimapolitikEin Sommer geht zu Ende

Am Ende des Hitzesommers schaut unser Kolumnist einen Horrorfilm und liest in der Bibel. Aber auch dort findet er keine Lösung für die Klimakrise.

Der Mann mit der Aktentasche: Olaf Scholz auf dem Weg zum Gas – äh – nach Kanada Foto: Kay Nietfeld/dpa

D er Sommer geht zu Ende! Noch nie klang dieser Satz so vorfreudig wie in diesem Jahr. Morgens ist jetzt manchmal das Fenster leicht beschlagen, aber vielleicht liegt das auch am Pfusch am Bau.

Ein Sommer geht zu Ende, den man sich auch als den Beginn eines Horrorfilms vorstellen könnte. Ein Kameraflug über die französische Atlantikküste. Wir sehen einen Campingplatz von oben. Idylle. Am Horizont etwas Rauch. Dann explodieren Gasflaschen, Menschen rennen schreiend aus ihren brennenden Zelten. Dröhnende Hans-Zimmer-Musik setzt ein. Cut. Eine Fernsehmoderatorin steht in der Mitte eines ausgetrockneten Flussbettes. Cut. Ein weinender Fischer zieht tote Fische aus der Oder. Cut. Schwarzer Bildschirm.

In einem Horrorfilm würden in der nächsten Szene die Zombies aus ihren Löchern steigen. Aber die Realität ist brutaler. Da steigt ein Mann mit einer Ledertasche aus dem Flugzeug, senkt die Steuern auf Erdgas und grinst spitzbübisch. Dieser Albtraum heißt Olaf Scholz. Und die Untoten sind die Gasunternehmen, die als erstes Robert Habeck fressen, der in dieser Geschichte leider auch nicht zum Helden taugt.

Wenn Sie mit apokalyptischen Filmen nichts anfangen können, können Sie ja die Bibel aus Ihrem Nachtschrank nehmen. Denn auch dort wird der Sommer 2022 und das Fischsterben in der Oder beschrieben. Zum Beispiel im Buch Hosea: „Darum wird das Land dürre stehen, und alle seine Bewohner werden dahinwelken; auch die Tiere auf dem Felde und die ­Vögel ­unter dem Himmel und die Fische im Meer werden weggerafft.“

Es brennt in der Gegenwart

Ich glaube nicht daran, dass uns ein Gott straft oder rettet, das müssen wir schon selber tun. Nur war das politische Zeitfenster, in dem eine Mehrheit der Bevölkerung die Klimakrise nicht mehr geleugnet hat, bis zu dem Moment, in dem sie mit voller Wucht den Alltag bestimmt, viel zu kurz. Was folgt daraus?

Eine realistische Klimapolitik kann sich nach diesem Sommer nicht darauf beschränken, für eine klimaneutrale Welt 2050 zu kämpfen. Vielleicht ist dieses Ziel sowieso utopisch und unvereinbar mit Moderne.

Seit der ­Industriellen Revolution steigt die Konzentration von CO2 in der Luft. Wohlstand für alle, das gab und gibt es nur mit immer mehr CO2. Nur wenn die Weltwirtschaft zusammenbrach, wie 2009 und 2020, sanken auch die Emissionen.

Natürlich bleibt das Ziel einer klimaneutralen Welt richtig. Aber dieser Sommer hat gezeigt, dass es nicht reicht, für ein fernes Ziel zu kämpfen, wenn schon die Gegenwart brennt.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Wenn die Klimakrise nicht abgewendet werden kann, muss der Mensch sich an sie anpassen. Klimapolitik muss dann den Kampf gegen die Folgen aufnehmen: Für das Recht auf Abkühlung. Für eine Gesellschaft, die schneller auf Katastrophen reagiert und die Swimmingpools genauso fair verteilt werden wie das Risiko, an der Hitze zu sterben. Klimaanpassung, das klingt nicht gerade sexy, denn Anpassung klingt nach Resignation. Aber vielleicht steckt darin auch die Chance, die Klimafrage und die soziale Frage miteinander zu versöhnen.

Bisher sieht es leider nicht danach aus. Denn am Ende dieses Sommers leugnet zwar niemand mehr die Gefahr der Klimakrise. Aber das Einzige, was an die neue Wirklichkeit angepasst wird, sind die Gasabschläge. Die Angst der Deutschen vor einem kalten Winter ist gerade größer als die vor einem heißen Sommer. Denn den gibt es wenigstens kostenlos.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Eine Fernsehmoderatorin steht in der Mitte eines ausgetrockneten Flussbettes.“ Ach was: „.. das Fass vom Vater Rhein würd‘ niemals leer...“ Willy Schneider, bitte. www.youtube.com/watch?v=HhfxsIlN4JU



    Oder? Fischlein sein? Oderfischlein? taz.de/Fischsterbe...der-Oder/!5877418/



    [….] „Die Angst der Deutschen vor einem kalten Winter ist gerade größer als die vor einem heißen Sommer. Denn den gibt es wenigstens kostenlos.“ Immer diese „Gratismentalität“.



    [/sarkasmus off]

  • "Wenn die Klimakrise nicht abgewendet werden kann, muss der Mensch sich an sie anpassen."



    Davon sie abzuwenden, also dafür zu sorgen, dass sich das Klima gar nicht erwärmt, war doch eigentlich nie die Rede. Massive Anpassungen sind aber selbst dann unausweichleich wenn es gelingen sollte die Erwärmung auf 1,5° zu beschränken. Aber auch die Möglichkeit der Anapssung hat Grenzen, weil sich die sich kumulierenden und wechselseitiig verstärkenden Folgen eben nicht in beliebigem Umfang abfangen lassen. Diese Grenze ist sektorabhängig liegt im Mittel aber bei rund 2°. Entsprechend senkte man dann auf der COP 21 in Paris das politisch definierte 'Ziel' auf 1,5°.

  • Die Klimakatastrophe werden wir nie erleben, weil wir vorher ganz andere Krisen nicht meistern werden. Die Kirche konnte mit der Aussicht auf das. Fegefeuer einige Jahrhunderte Politik machen. Ich denke den Klimawarnern wird es nicht gelingen. Für das Überleben der Menschheit und jeden einzelnen Menschen sind weder Fegefeuer noch das Klima von Bedeutung. Die Gewissheit, dass der eigene Wohlstand schon für eine lebenswerte Wohnung/Umgebung reichen, dürfte so arrogant wie falsch sein. Ohne sozialen Frieden kann Mensch nicht überleben …

    • @Taztui:

      "Die Klimakatastrophe werden wir nie erleben"



      Wir erleben die ersten Folgen doch schon nahezu täglich.