: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“
Demnächst werden wieder Wahllisten für das Schöffenamt aufgestellt. Das Interesse an diesem Ehrenamt sinkt aber stetig
Von Gianluca Siska
Bald ist es wieder so weit. In wenigen Monaten werden in Deutschland die Laienrichter neu gewählt. Im letzten Quartal dieses Jahres werden alle Amtsgerichte in der Bundesrepublik die Gemeinde- und Stadträte dazu auffordern, Wahllisten für die kommende Legislaturperiode 2024 bis 2029 aufzustellen. Die Schöff*innen – auch Laienrichter*innen genannt – werden für eine Dauer von fünf Jahren gewählt.
Bei jeder Wahl werden an den Amtsgerichten bundesweit circa 100.000 ehrenamtliche Richter*innen benötigt. 70.000 von ihnen üben ihr Ehrenamt an Strafgerichten aus, der Rest hat seinen Arbeitsbereich in Sozial-, Verwaltungs- oder Arbeitsgerichten. Die meisten Ehrenamtler*innen beschäftigen sich daher mit Verbrechen der „mittleren Kriminalität“, bei denen die Straferwartung der Fälle zwischen zwei bis vier Jahren Freiheitsstrafe liegt.
Schöff*in kann in Deutschland jede Person werden, die das 25. Lebensjahr vollendet hat, die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ein sauberes Vorstrafenregister besitzt, nicht im öffentlichen Dienst tätig ist, kein Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit war und eine „Verfassungstreue“ besitzt, die im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) allerdings nicht genauer definiert ist. Die Rolle von Laienrichter*innen ist auch historisch in der Bundesrepublik von großer Bedeutung. So lautet Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“Somit fungieren Schöff*innen als Bindeglied zwischen Volk und Judikative. Das Ehrenamt entspricht einer Kontrollinstanz, welches die Lebensrealität der „einfachen Bevölkerung“ im Gerichtssaal garantieren soll. Dahinter steckt die Absicht des Staates sicherzustellen, dass die Bürger*innen stets ein Grundvertrauen in den Justizapparat besitzen.
Aber das Interesse an diesem Ehrenamt sinkt in der Bevölkerung stetig. Häufig kommt es, vor allem in Großstädten, zum Losverfahren über das Melderegister der Städte und Gemeinden, um die fehlenden Plätze zu belegen. Sich gegen diese verpflichtende Berufung zu wehren, ist fast unmöglich. Das Nichterscheinen zu Prozessen, in denen man als Schöff*in eingetragen wird, kann eine Ordnungsstrafe von bis zu 1.000 Euro nach sich ziehen.
Der Begriff „Ehrenamt“ ist jedoch irreführend, da Schöff*innen eine Entschädigungspauschale von 7 Euro die Stunde erhalten und bei Verdienstausfall einen stündlichen Anspruch auf bis zu 29 Euro besitzen. Auch Anreise- beziehungsweise Fahrtkosten werden erstattet. Insgesamt ist ein Hauptschöffe für jährlich zwölf Sitzungstage im Kalenderjahr eingeplant. Die Termine werden für das gesamte Jahr im Voraus von den Amtsgerichten bekannt gegeben.
In den meisten Belangen besitzen die Laienrichter*innen die gleichen Rechte wie Berufsrichter*innen. Dies wird vor allem im Stimmrecht deutlich. So haben an den Schöffen-Strafgerichten die Ehrenamtlichen ein gleichwertiges Stimmrecht wie der vorsitzende Berufsrichter. Da zur Urteilssprechung eine Zweidrittelmehrheit nötig ist, können in der Theorie die zwei Laienrichter*innen das Urteil der Berufsrichter*innen kippen.
Diese Einflussnahme von Ehrenamtlichen an der Rechtsprechung ist, so vermuten Rechtsexperten wie Joachim Wagner (siehe Interview), jedoch sehr selten. Die Kompetenz der Berufsrichter*innen ist häufig ausschlaggebend für eine einstimmige Urteilssprechung. Eine genaue Datenlage gibt es nicht, da sowohl Amtsgerichte wie Schöff*innen der Verschwiegenheit verpflichtet sind und auch nach Ende ihrer Schöffenzeit keine Auskunft über ihre Urteilssprechung geben dürfen.
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