Rassismus bei Sicherheitsbehörden: Polizei verschleppt Aufarbeitung
Die Polizei tut sich schwer, in den eigenen Reihen gegen Rassismus und Hetze vorzugehen. Es geht zwar um eine Minderheit – aber die ist gefährlich.
Der Bundestagsabgeordnete Sebastian Fiedler (SPD), langjähriger Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, erklärte bei einem Fachgespräch, dass gerade die Sicherheitsbehörden im besonderen Fokus von Gegner:innen der Demokratie stünden. Rechtsextreme, aber auch Verschwörungsextremist:innen würden sich auf diese Zielgruppe „besonders stürzen“, sagte er. Er verteidigte allerdings zugleich die Polizei gegen den grundsätzlichen Vorwurf einer zu schlechten Fehlerkultur.
Rassismus, Hass und Hetze werde sehr wohl entgegengetreten. Die neue Bundesregierung sei bei diesem Thema „so aktiv wie keine zuvor“. Als ein Beispiel nannte er das neue Hinweisgeberschutzgesetz, das auch in Behörden – also auch den Sicherheitsbehörden – dafür sorgen soll, dass Rechtsverstöße aufgedeckt, untersucht, verfolgt und unterbunden werden.
Aber tun Bund und Länder wirklich alles Mögliche, um Rassismus, Antisemitismus oder auch Antiziganismus bei der Polizei weitgehend zu verhindern? Die Recherche des Mediendienstes Integration lässt Zweifel aufkommen.
Anti-Rassismus-Workshops oft spärlich besucht
Als eines der zentralen Ergebnisse heißt es, dass solche Diskriminierungen bei der Polizeiausbildung kaum Thema seien. Module zu Rassismus und Antisemitismus in der Polizei – etwa zum Thema Racial Profiling – gebe es bisher nur in fünf Bundesländern. Verpflichtend für alle angehenden Polizist:innen nur in Berlin, im Saarland und in Thüringen, in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg lediglich beim Polizeistudium für den gehobenen Dienst.
Auch in der späteren Laufbahn von Polizist:innen würden Rassismus und Antisemitismus kaum behandelt – und verpflichtend schon gar nicht. Entweder sind die Fortbildungen freiwillig. Oder sie richten sich nur an Führungskräfte. Wie das dann aussieht, zeigt ein Beispiel aus Sachsen: Dort gab es im vergangenen Jahr bei der Polizei eine Fortbildung „Rassismus und Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübung“. Mit gerade einmal drei Teilnehmer:innen.
Weitere Kritikpunkte im Papier des Mediendienstes: Erst in sieben von 16 Bundesländern gibt es unabhängige Polizei-Beschwerdestellen, und sogar nur in drei Bundesländern gibt es Referent:innen für Antidiskriminierung bei der Polizei, die sich um solche Fälle innerhalb der Behörde kümmern sollen.
Fragt man verschiedene Expert:innen, so fällt die Bilanz sehr unterschiedlich aus. Maria Scharlau hat im September 2021 für die Nichtregierungsorganisation Amnesty International ein Positionspapier zu menschenrechtswidrigen Personenkontrollen, zu sogenanntem Racial Profiling, veröffentlicht. Nach ihren Worten machen People of Color und Schwarze Menschen in Deutschland diese Diskriminierungserfahrung nahezu täglich. „Trotz zahlreicher Anhaltspunkte und internationaler Kritik bestreitet die Bundesregierung, dass Racial Profiling in Deutschland praktiziert wird“, schrieb sie in ihrem Positionspapier.
Es wird zu wenig geforscht
Auch beim Fachgespräch des Mediendienstes Integration werden Lücken benannt. So habe zwar das Bundesverwaltungsgericht bereits 2019 eine Kennzeichnungspflicht von Polizist:innen als rechtmäßig erachtet, in vielen Bundesländern sei dies aber längst nicht umgesetzt worden, sagte der Düsseldorfer Rechtsanwalt Blaise Francis Ndolumingo, der Personen kostenfrei berät, die von rassistischer Diskriminierung betroffen sind.
Seine Kritik an Rassismus unter Beamt:innen betreffe „ganz klar“ nicht die Mehrheit der Polizei. Doch von einer Minderheit gehe eine „enorme Gefahr“ aus.
Aus Angst um den Ruf der Polizei fehle es aber auch am Aufklärungswillen. Der Politikwissenschaftler Markus End, der unter anderem zu antiziganistischen Ermittlungsansätzen bei Polizei- und Sicherheitsbehörden publiziert hat, sieht mit Hinweis auf sein Spezialgebiet, dass Sinti* und Roma* „kollektive Erfahrungen von Fehlverhalten bei der Polizei“ machen. Die Polizei spiele bei Antiziganismus seit Jahrzehnten eine „zentrale Rolle“ – vor dem Nationalsozialismus, während des Nationalsozialismus und auch noch danach.
Worin sich die Fachleute aber derzeit einig sind: Es fehlt an Forschung in diesem Bereich. Auch die neue Polizeistudie auf Bundesebene – das Forschungsprojekt Megavo zu Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamt:innen – kann das nicht leisten, so die einhellige Meinung. Schon auf der Startseite des Webauftritts zur Erhebung heißt es dann auch, es handele sich „nicht um die von der Öffentlichkeit geforderte sogenannte Rassismusstudie“. Anwalt und Berater Blaise Francis Ndolumingo sagte dazu ernüchtert: „Wir wissen viel zu wenig.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Obergrenze für Imbissbuden
Kein Döner ist illegal
Wahl in den USA
Sie wussten, was sie tun
Streitgespräch über den Osten
Was war die DDR?
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
SPD nach Ampel-Aus
Alles auf Olaf
Ausschreitungen in Amsterdam
Ein hitziges Nachspiel