Geflüchteter sucht Arbeit in Bayern: Leben mit angezogener Handbremse
2018 floh Issa Koroma aus Sierra Leone nach Deutschland. Er will arbeiten, doch die Ausländerbehörde verbietet es. Nun hofft er auf einen Ausbildungsplatz.
Es gibt eine einfache Antwort und eine komplizierte. Es geht um asylrechtliche Feinheiten, um Ermessensspielräume von Behörden, um Anforderungen, die quasi unmöglich zu erfüllen sind. Ohne Pass keine Arbeitserlaubnis – das ist die einfache Antwort. Koromas Asylantrag wurde Anfang 2019 abgelehnt.
Seitdem duldet die Bundesrepublik ihn, ohne Pass kann sie ihn nicht abschieben. Zwar können Geduldete eine Arbeitserlaubnis erhalten, aber nur, wenn sie bei der Klärung ihrer Identität mitwirken. In Koromas Fall verweigert die zuständige Zentrale Ausländerbehörde Niederbayern (ZAB) die Ausstellung einer Arbeitserlaubnis.
„Herr Koroma hat eine Geburtsurkunde und ein Standardschreiben der Botschaft der Republik von Sierra Leone vorgelegt“, erklärt eine Sprecherin der Regierung Niederbayerns auf taz-Anfrage. Doch nach den Vorgaben des Landesamts für Asyl und Rückführungen (LfAR) sei „für die Klärung der Identität in diesem Fall ein Reisepass erforderlich.“
Per Schlauchboot nach Europa
Hier beginnt die komplizierte Antwort. Einen Reisepass kann Koroma nur in Sierra Leone beantragen. In dem Land also, aus dem er 2016 floh. Nach dem Tod seines Vaters habe Koroma dessen Posten in der Poro-Gesellschaft übernehmen müssen, erzählt er. Poro ist ein einflussreicher männlicher Geheimbund in Westafrika, in dem etwa traditionelles Wissen und kulturelle Praktiken weitergegeben werden. Mit Initiationsriten im Hinterland werden zudem Jugendliche auf das Erwachsenenleben vorbereitet.
„In der Poro-Gesellschaft passieren sehr schlimme Dinge“, sagt Koroma. Welche genau, darüber möchte er nicht sprechen. Doch die Mitglieder hätten ihm mit dem Tod gedroht, sollte er die Nachfolge seines Vaters nicht antreten. Also floh er aus seiner Heimat. Über mehrere Länder gelangte er bis nach Libyen, wo er monatelang Zwangsarbeit verrichten musste, und kam schließlich per Schlauchboot übers Mittelmeer nach Europa.
Dort steckt der Geflüchtete nun in einem Dilemma: Er braucht einen Pass, um arbeiten zu dürfen. Doch mit Ausweisdokument könnte ihm die Abschiebung drohen. Denn im vergangenen Herbst wurde Koroma, genau wie rund 300 andere Sierra Leoner:innen aus Bayern, in München vor einer Delegation seines Heimatlandes angehört.
Das Ziel war laut LfAR die Klärung der Staatsangehörigkeit – für die Ausstellung von Heimreisedokumenten. Mit solchen Laissez-passer-Papieren können Menschen auch ohne Reisepass abgeschoben werden.
In der Debatte über Bleibeperspektiven für geduldete Menschen geht es immer wieder um die Passproblematik. „Die Beschaffung eines Passes ist oft die größte Hürde bei der Identitätsklärung“, erklärt Pro Asyl in einer Stellungnahme zum neuen Migrationspaket der Bundesregierung, dem sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht.
Wer zum Stichtag 1. Januar 2022 seit mindestens fünf Jahren in Deutschland lebte und nicht straffällig geworden ist, soll eine Aufenthaltserlaubnis bekommen können. Ein Meilenstein in den Augen der Ampelkoalition. Von der Passpflicht will die Regierung aus SPD, Grünen und FDP allerdings nicht abrücken, kritisiert Pro Asyl.
Auch die Union übt Kritik am neuen Gesetzentwurf, wenn auch aus anderen Gründen. „Die neuen Regeln sind so angelegt, dass Tausende ein Bleiberecht erhalten, ohne zu arbeiten“, sagt etwa Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).
Sehr enttäuscht
Zudem schaffe das neue Gesetz eine Bleibeperspektive auch für Geduldete, die sich nicht um Integration bemüht hätten. „Der Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung für die Ausbildung zum Bäcker wird abgelehnt.“ Es ist ein Schreiben der ZAB vom 19. August 2021, das Koromas Hoffnungen zerstört. Der Geflüchtete zieht den Brief aus einer hellgrauen Mappe und legt ihn auf den Cafétisch. Koroma habe bei der Klärung seiner Identität nicht ausreichend mitgewirkt, erläutert die Ausländerbehörde auf mehreren Seiten.
„Ich war so enttäuscht und wusste nicht, was ich noch tun soll“, erzählt Koroma. Er spricht mit lauter Stimme, untermalt das Gesagte mit ausladenden Gesten. Immer wieder streut er deutsche Begriffe wie „Duldung“ oder „Ausbildung“ in sein Englisch ein oder kramt Behördenschreiben aus der Mappe hervor.
Seit einigen Jahren können Geduldete wie er durch Ausbildungsplätze Bleibeperspektiven erlangen. Im Jahr 2016 schuf die damalige schwarz-rote Bundesregierung das erste bundesweite Integrationsgesetz. Es enthält die sogenannte 3+2-Regelung: Geduldete, die einen Ausbildungsplatz haben, bekommen für die gesamte Dauer (meist drei Jahre) eine Ausbildungsduldung. Anschließend dürfen sie in ihrem Beruf arbeiten und erhalten einen Aufenthaltstitel, der zunächst für zwei Jahre gilt, aber verlängerbar ist.
„Dieses Gesetz würde auf Issa eins zu eins zutreffen“, sagt Stephan Reichel. Er ist Vorsitzender des christlichen Flüchtlingshilfevereins „matteo – Kirche und Asyl“ und kennt Koroma seit einigen Jahren. Mit einer „großen Boshaftigkeit“ habe die ZAB es dem Sierra Leoner verbaut, sagt Reichel. „So jemanden nicht arbeiten zu lassen, da gehört auch eine große menschliche Charakterschwäche dazu.“
Das Problem sei, dass viele Sachbearbeiter:innen ihren Ermessensspielraum „brutal negativ“ anwendeten. Schon seit Jahren gibt es Kritik an den bayerischen Ausländerbehörden. Immer wieder beklagen Aktivist:innen und Geflüchtete, aber auch Wirtschaftsakteur:innen willkürliche Entscheidungen etwa zu Arbeitserlaubnissen und Duldungen. „Das ist einfach zum Teil auch politischer Wille“, sagt Katharina Grote vom Bayerischen Flüchtlingsrat.
„Keine ausländerrechtliche Zuständigkeit“
Die niederbayrische ZAB handele lediglich nach Bundesgesetzen und nach Vorgaben des LfAR, betont die Sprecherin der Regierung Niederbayerns. Das LfAR äußert sich nicht zu den Vorwürfen, Geflüchtete würden je nach Ausländerbehörde unterschiedlich behandelt. Hierfür bestünde im LfAR „keine ausländerrechtliche Zuständigkeit“, erklärt ein Mitarbeiter.
Während viele Geflüchtete nicht arbeiten dürfen, suchen bayerische Unternehmen händeringend nach Mitarbeiter:innen. Nach Angaben der bayerischen Arbeitsagenturen gab es im Juni etwa 160.000 offene Stellen und über 48.000 bislang unbesetzte Ausbildungsplätze. Issa Koroma würde sich im Herbst gern zum Sozialpfleger ausbilden lassen. Eine Ausbildung zum Pflegefachhelfer hatte er 2020 schon einmal begonnen. Da es sich um eine schulische Ausbildung handelte, brauchte er keine Arbeitserlaubnis.
Koromas Mund verzieht sich zu einem Lächeln, als er vom Alltag im Pflegepraktikum erzählt: „Ich mochte es, den Menschen zu helfen.“ Doch abschließen konnte er die Ausbildung nicht – die Pandemie kam dazwischen.
Die Internetverbindung seiner Asylunterkunft in Ringelai, einer kleinen Gemeinde im Bayerischen Wald, sei überlastet gewesen, erzählt er. Ohne WLAN kein Online-Unterricht, ohne Unterricht kein Abschluss. Danach habe er nicht nur herumsitzen wollen. Also suchte er sich Arbeit und fand die Bäckerei, die ihm nach einem Praktikum einen Ausbildungsplatz anbot.
„Issa ist ein extrem engagierter und fleißiger Mensch“, sagt Mduduzi Khumalo. Er habe viele Deutschkurse belegt, Beratungstermine wahrgenommen und versuche jetzt, Ausbildungsvorbereitungskurse an der Volkshochschule zu besuchen. Khumalo ist Aktivist bei Plus X Black Definition Matters, einer antirassistischen Gruppe aus München.
Traum von Arbeit in München
Koroma kennt er aus dem Protestcamp, zu dem sich sierra-leonische Geflüchtete aus ganz Bayern zusammengeschlossen haben. Seit den Botschaftsanhörungen protestieren sie gegen die drohende Abschiebung, ihre Zeltpavillons haben sie auf einem Platz im Münchner Westend aufgeschlagen.
Khumalo unterstützt sie bei Behördengängen und Demonstrationen, Lokalpolitiker:innen und Aktivist:innen setzen sich für sie ein. Vor einigen Monaten war Kardinal Reinhard Marx zu Besuch im Camp. Doch an der Lage der Sierra Leoner:innen hat sich nichts geändert: Ihre Zukunft ist ungewiss. Koroma ist fast täglich im Camp, hat hier Mitstreiter:innen und Freund:innen gefunden.
Er würde gerne nach München ziehen und arbeiten. „Wenn ich meinen Ausbildungsplatz habe, werde ich anfangen, glücklich zu sein“, sagt er. Geht sein Plan auf, könnte er endlich ankommen – und seine Zukunft selbst gestalten.
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